Biber und Harpyien treffen in "Against the Storm" aufeinander. Und das ist noch nicht einmal der ungewöhnlichste Aspekt dieses Spiels.
Eremite Games

Das Fantasyrollenspiel "Baldur's Gate 3" begeistert derzeit seine Fans, und das aus einem bestimmten Grund: Es ist fertig. Das ist leider eine Besonderheit in einer Zeit, in der Publisher ihre Werke oft in einem katastrophalen Zustand auf den Markt werfen, garniert mit diversen Aufforderungen zu Zusatzkäufen. Dem Release war vorausgegangen, dass sich "Baldur's Gate 3" etliche Jahre in einer "Early Access"-Phase befand: Das Spiel war noch nicht fertiggestellt, die Fans konnten es aber schon mal ausprobieren und Feedback geben. In eine ähnliche Kerbe schlägt das postapokalyptische Aufbauspiel "Against the Storm".

Noch nicht fertig, aber heiß begehrt

Auf der Spielplattform Steam ist "Against the Storm" bereits verfügbar, ebenfalls im genannten Early Access, in dem sich das Spiel laut Website des Developers seit Oktober 2021 befindet. Das finale Produkt soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 erscheinen, allerdings gibt sich der Developer in dieser Hinsicht auf Steam auch flexibel: "Je nachdem, wie sich die Ideen mit dem Feedback der Spieler entwickeln", heißt es dort. Und das Feedback, das hat es in sich: Rund 12.500 Rezensionen hat das Spiel schon vor seiner offiziellen Veröffentlichung auf Steam gesammelt, der Schnitt liegt in der begehrten Kategorie "äußerst positiv". Auf der Konkurrenzplattform Gog.com kommt das Aufbauspiel auf 4,6 von fünf möglichen Punkten.

Against the Storm - Official Announcement Trailer
GameTrailers

Neben dem Spielkonzept per se dürfte vor allem für Liebe sorgen, wie intensiv an dem Game gemeinsam mit der Community gearbeitet wird. Denn wer das Spiel – bei Steam und Gog.com kostet es aktuell 29,99 Euro – auf seinem PC installiert hat, dem fällt vor allem eines auf: Es findet sich absurd oft in der Update-Warteschleife, weil die Developer mal wieder neue Funktionen hinzugefügt haben. Damit geht einher, dass im Rahmen eines Updates manchmal der Spielstand der Spieler wieder auf den Anfang zurückgesetzt werden muss. Doch das nimmt die Community ohne Beschwerden hin, da es im Gegenzug ja wieder neue Inhalte und Funktionen gibt.

Während die Entwicklung bei anderen Studios öfters brachliegt, arbeitet man beim Developer Eremite Games also konsequent weiter – und zeigt den eigenen Fortschritt auch transparent in einer Roadmap:

Roadmap von
Screenshot

Auffällig ist, dass bei diesem Screenshot von Anfang August schon viele Punkte der Roadmap abgehakt sind, es bis zum finalen Release also nicht mehr lange dauern dürfte. Auch schreiben die Developer im Kontext eines Updates, dass sie regelmäßig Anregungen aus der Community kriegen – dafür gibt es im Spiel sogar einen eigenen Button –, sich diese aber teils gegenseitig widersprechen und man daher abwägen müsse. Zum Einholen von Feedback gibt es außerdem einen Discord-Channel, öffentliche Boards, Abstimmungen und gemeinsame Brainstormings. Die fertige Version soll sich vom Early-Access-Status durch mehr Funktionen unterscheiden.

Das "Elden Ring" der Aufbauspiele

Wie bitte? Noch mehr Funktionen? Das klingt schon äußerst ambitioniert, wenn man sich "Against the Storm" in seinem aktuellen Stadium – nochmals betont: Eigentlich ist es noch nicht fertig – ansieht. Denn schon jetzt kann man wohl zig Stunden in dem Game verbringen, dessen eher funktionale Grafik zwar nicht mehr ganz frisch aussieht, das aber vor allem durch abwechslungsreiches Gameplay mit einem knackigen Schwierigkeitsgrad zu überzeugen weiß.

Das Setting von "Against the Storm" ist eine postapokalyptische Welt, in der es noch öfter regnet als im Sommer 2023 in Österreich. Menschen leben hier Seite an Seite mit aufrecht gehenden Bibern, Echsenmenschen, Harpyien und Füchsen, und gemeinsam wollen sie die Wildnis wieder besiedeln. Hierzu beginnt jede Spielrunde auf einer Waldlichtung mit ein paar Gebäuden. Weitere Bauwerke müssen errichtet und Bäume gefällt werden, um neue Lichtungen zu erschließen. Der Spieler verwaltet die Siedlung in der Rolle eines Vizekönigs, dessen Verhalten anhand von zwei Balken laufend von der Königin beurteilt wird: Nimmt der Negativbalken überhand, so ist die Runde verloren, in die andere Richtung ist die Runde gewonnen.

Against the Storm Screenshot
Jede Spielrunde beginnt auf einer Waldlichtung, weitere müssen erschlossen werden.
Screenshot

Und das ist der Punkt, an dem das Spiel so wirklich knackig wird: Denn zwar gibt es ein kurzes Tutorial, doch dieses deckt nur einen Bruchteil der Möglichkeiten ab, mit denen man in der Gunst der Königin steigen kann. So können bestimmte Produkte an das Schloss der Königin geliefert werden, für deren Erstellung allerdings bestimmte Gebäude nicht nur gebaut, sondern überhaupt zuerst freigeschaltet werden müssen – wofür wiederum sorgsam darauf geachtet werden muss, worauf man den Schwerpunkt des eigenen Spielstils legt.

Fehlen Produkte, so können sie von Händlern erworben werden, die aber nur zu bestimmten Zeiten eintreffen. Und auch das nur, wenn man das passende Gebäude errichtet hat. Geld gibt es nicht, sondern nur Tauschhandel: Es müssen also gleichwertige Waren als Gegenleistung angeboten werden. Oder aber man raubt den Händler aus, wodurch man wiederum in der Gunst der Königin sinkt und die nächsten Händler später eintreffen.

Händler überfallen in Against the Storm
Wir haben den Händler überfallen. Das wird Konsequenzen haben.
Screenshot

Manche der neue entdeckten Lichtungen bergen wiederum Gefahren, denen man sich widmen muss, bei Erfolg wird man entsprechend belohnt. Allerdings sinkt dadurch auch das Unbehagen der Bevölkerung, die bei Laune gehalten werden muss. Jedes Volk hat dabei spezielle Ansprüche – Echsenmenschen essen gerne Fleisch – und kann manches besser als andere: Biber können zum Beispiel besser Bäume fällen und sollten daher als Holzfäller eingesetzt werden. Aber das klappt nur, wenn es im Dorf auch genug Biber gibt, und regelmäßig treffen neue Siedler aus verschiedenen Völkern ein, auch hier müssen Entscheidungen getroffen werden.

Erwähnte ich außerdem bereits, dass es in diesem Spiel ständig regnet? Das Regenwasser kann gesammelt werden und muss richtig genutzt werden. Unterkünfte müssen gebaut werden, um sich vor dem Sturm zu schützen, und hier hat wieder jedes Volk eigene Ansprüche. Dekorationen werten Gebäude auf. Rohstoffe müssen mit den richtigen Gebäuden und Völkern geerntet und den Produktionsprozessen korrekt zugeordnet werden. Wegzeiten berechnet werden, damit die Produktion nicht zu lange dauert. Und ist eine Partie abgeschlossen, so steigt man im besten Fall um ein Level auf und kann anschließend im königlichen Schloss neue Funktionen freischalten.

Und, und, und. Habe ich ein Feature vergessen? Vermutlich ja. Der Vergleich mag ein wenig abgedroschen sein, er sei mir aber an dieser Stelle erlaubt: Mit seiner hohen Komplexität, seinen vielfältigen Lösungswegen und seinem knackigen Schwierigkeitsgrad kann "Against the Storm" getrost als das "Elden Ring" der Aufbauspiele bezeichnet werden.

Fazit: Da fehlt nicht mehr viel

Was ist also das Fazit dieses inzwischen mehrere Monate dauernden Tests? Wenn man in diesem Stadium überhaupt schon ein Fazit ziehen darf? Dass Developer Eremite Games und Publisher Hooded Horse das schaffen, worin so viele Große versagen: Sie arbeiten mit voller Ambition an ihrem Produkt. Sie legen eine klare Roadmap vor. Sie arbeiten eng mit ihrer Community zusammen. Und sie werden am Ende ein astreines, fertiges Spiel abliefern. Das lässt sich schon jetzt mit guter Gewissheit sagen. Denn selbst in der Early-Access-Phase hat mich "Against the Storm" schon mehr Lebenszeit gekostet als so mancher Blockbuster. Und auch wenn ich ob der knackigen Schwierigkeit so gut wie jede Runde verliere: Non, je ne regrette rien. (Stefan Mey, 12.8.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Exemplar des Spiels wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.