Baldur's Gate 3
Augen verdrehen hilft ja nichts, der Test muss raus!
Larian

"Ausgerechnet an einem Sonntag kamen die Presse-Keys. Abends. Rund 100 Gigabyte Download. Doppelt, weil ich Larians Monsterprojekt mit meiner Partnerin Claire teste. Als wir das Teil endlich starten, ist es Mitternacht. Kaffee. Energydrinks. Earl Grey, hot. Als wir aufhören, ist es kurz vor zehn Uhr morgens. Einige Stunden gepennt und direkt die nächste Nacht durchgezockt. Jetzt sitze ich hier und soll diesen Artikel schreiben. So viele Gedanken und Gefühle, ich kann sie gar nicht ordnen."

Diese Zeilen stammen vom Games-Redakteur Sascha Penzhorn. Er verbringt seit Ende Juli sehr viel Zeit mit dem neuen Hype-Rollenspiel "Baldur's Gate 3" und geht dafür offenbar an seine Grenzen, und das auch noch öffentlich. Penzhorn ist kein Einzelfall. Content-Creator wie Jessirocks erzählen im STANDARD-Interview, wie sie vor einem Games-Release wie "Diablo 4" vorschlafen, um dann möglichst lange von Release weg streamen zu können.

Man muss nicht Medizin studiert haben, um zu sehen, dass dieses Engagement nicht gesund sein kann. Aber das über die Maßen kompetitive Umfeld des Games-Journalismus und Game-Streamings bringt seit Jahren schon seltsame Früchte zum Vorschein, die zeigen, dass man eigentlich nur noch Nischen bedienen kann.

1.000 Spiele pro Tag

2002 habe ich bei einem kleinen österreichischen Videospielmagazin begonnen, mir meine ersten Sporen als Journalist zu verdienen. Pressereisen zu Entwicklerstudios auf der ganzen Welt, Vorschauen aufgrund von Vorabversionen schreiben und natürlich testen, testen, testen, um am Ende den Eindruck unter anderem in eine Prozentzahl quetschen zu können. Die Bezahlung war immer schlecht, genau wie in der Branche üblich. Das "Hobby zum Beruf machen" ist als Tennisspieler oder Fußballer etwas lukrativer.

Dennoch strömen natürlich immer noch junge Leute nach, die sich diesen Traum erfüllen wollen. Doch seit Jahren werden dem Berufsbild Grenzen aufgezeigt. Angefangen hat es wohl mit dem Relevanzanstieg von Mobile Games, die ein echter Gamer eigentlich nicht angreifen wollte. Außerdem kamen, genau wie auf der PC-Spieleplattform Steam, immer mehr Titel. 1.000 pro Tag auf Steam, war mal eine grobe Schätzung vor ein paar Jahren. Unmöglich, hier den Überblick zu behalten.

Dann waren auf einmal Service-Games gefragt. Spiele, die über Jahre ihre Fans bedienen, sich immer leicht verändern und somit nur einigermaßen kompetent gecovered werden können, wenn der- oder diejenige regelmäßig eben jenes Game spielt.

Nun sind die Redaktionen in den letzten Jahren nicht gewachsen, sondern eher geschrumpft. Pressereisen sind zum Luxus geworden, weil man damit ja im "daily business" fehlt. Während die Branche immer wichtiger wurde, wurde das Berichten darüber immer schwieriger. Große Tageszeitungen nahmen sich des Themas an, Wochenmagazine und jede Redaktion, die zumindest einen ambitionierten Gamer in ihren Reihen hatte.

200 Stunden Freizeit

Nun kann ein Kulturredakteur in der Arbeitszeit zwei bis drei Stunden ins Kino oder ins Theater gehen und danach etwas darüber schreiben. Bei Games sitzt man wie im Falle von "Baldur's Gate 3" 100 bis 200 Stunden, bis der Abspann über den TV flackert. Spiele wie "Diablo 4" halten mit neuen Inhalten und Patches auf Trab, die man auch nur dann intensiv verfolgen kann und will, wenn man selbst ab und zu auf Monsterjagd geht.

Was bleibt, ist, in der Freizeit zu spielen. Am Wochenende oder eben am Abend. Eh schön, werden viele denken. Sind ja Videospiele. Unter Zeitdruck ein storybasiertes Spiel zu konsumieren, für das jeder halbwegs Vernünftige empfiehlt, sich Zeit zu nehmen, um alles in Ruhe zu entdecken, ist genau das Gegenteil.

Zynisch, wenn man daran denkt, dass die Games-Branche selbst immer wieder in der Kritik steht, ganze Studios im Dauerbetrieb laufen zu lassen, um Deadlines zu halten oder ein Mindestmaß an Qualität zu sichern. Die Folge sind junge Leute, die als Artist, Programmierer oder Producer bei Studios wie Blizzard oder Moon Studios anfangen, um Monate oder Jahre später öffentlich oder im privaten Umfeld darüber zu sprechen, wie furchtbar das eigentlich war.

Kein Test, aber Eindrücke

Zurück auf Journalisten- und Content-Seite ist es ebenfalls kompliziert geworden, weshalb sich Nischen-Streamer über die Jahre groß entfalten konnten. Für jedes relevante Spiel gibt es deshalb Content-Creator, die sich allein auf dieses stürzen. Mittlerweile werden dann auch diese zu Vorab-Sessions mit Nachfolgern oder DLCs eingeladen, wie das Mitglied der Chefredaktion bei Gamestar Michael Graf zuletzt in einem Podcast zu "City Skylines 2" zähneknirschend feststellte.

Jammern nutzt aber bekanntlich nichts, auch wenn es manchmal raus muss, wie vor vier Jahren bei unserem Freelancer Rainer Sigl. Da aber beim STANDARD kein Redakteur für zwei Wochen freigespielt werden kann und wir versuchen auf unsere Gesundheit im Haus zu achten, wird es zu "Baldur's Gate 3" hier wohl primär Kolumnen und Eindrücke zu einem späteren Zeitpunkt geben. Wer einen Test lesen will, der findet ja bereits so manchen davon im Netz.

Ich hoffe, wir können trotzdem mit unserer Games-Berichterstattung unsere Leser einigermaßen auf dem Laufenden halten und mit diversen Meinungsbeiträgen ein wenig über die Branche selbst verraten. (Alexander Amon, 9.8.2023)