Ruhrtriennale Sommernachtstraum Burgtheater
Der Athener Wald, in dem sich bei Shakespeare so herrlich träumen lässt, besteht in Barbara Freys Inszenierung aus verbrannter Erde.
Matthias Horn, Ruhrtriennale 2023

Viel zu selten finden sich auf den Bühnen dieses Planeten Menschen in Eselstracht, im Idealfall verheddert in schwülstige Träume. Und deutlich zu selten auch wagt sich eine Truppe Handwerker an die selbst ausgedachte Darbietung einer Liebestragödie mit Löwenbiss. Über solche Ideen und noch mehr davon verfügt das märchenhaft-chaotische Drama Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare (aufgeführt vor 1598), weshalb es seit vier Jahrhunderten weltweit ein Dauerbrenner ist.

Ruhrtriennale

Einen Sommernachtstraum, wie ihn Barbara Frey jetzt bei der Ruhrtriennale inszeniert hat, bekommt man allerdings nicht alle Tage zu sehen. Wien-Premiere der Koproduktion mit dem Burgtheater ist am 3. September.

"Vier frohe Tage beginnen", sagt der Athener Herzog Theseus (Markus Scheumann) zu Beginn des Stücks. Und man hört in diesem mäßig begeisterten Herrscherraunen schon jenen emotionsgebremsten Grundton, den Frey als Gesamtes diesem nachtschattigen Spiegelwerk (Herrscherhof in Athen versus Elfenkönigstaat im Wald) angedeihen hat lassen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie anders sie den Text kanalisiert, mit wie viel Scheu und Ruhe sie die Komödie hier unterspielt. Ein finsterer Abend, von dem man zwei Stunden zwanzig die Augen nicht lassen kann.

Lahmgesichtig

Samt seiner lahmgesichtigen Festgesellschaft – Theseus feiert Hochzeit mit der Amazonenkönigin Hippolyta (Sylvie Rohrer) – steht er angewurzelt in einem mit Blümchen austapezierten Glaskubus und ahnt schon, dass es anstrengend wird. Denn good news gibt es keine, indes gilt es, Liebesstreit zu schlichten. Unter den Edelleuten sind Hermia und Lysander, Helena und Demetrius falsch ineinander verliebt. Hermia (Meike Droste) will von dem väterlich für sie vorgesehenen Demetrius (Langston Uibel) nichts wissen, dafür aber von Lysander (Marie-Luise Stockinger), auf den bedauerlicherweise auch Helena (Lili Winderlich) fixiert ist.

Unterdessen befindet sich im Athener Wald auch das Elfenkönigspaar Oberon und Titania im Streit, das Barbara Frey gegengeschlechtlich besetzt und damit den Weg geebnet hat für ein heiter-befreites Körperspiel. Im waldgrünen Bodycon-Kleid (Kostüme: Esther Geremus) balanciert Scheumann als Titania unter turmhoher Frisur aus den Tiefen des Märchendämmers und entwindet sich dann aufreizend und mächtig den Begehrlichkeiten Oberons (Rohrer). Anno 2007 gaben noch Peter Simonischek und Andrea Clausen das Paar in Theu Boermans’ Burgtheater-Inszenierung.

Unterdessen beginnen auch die Handwerker ihre Theateraufführung zu konzipieren, ein verzagt-verpeiltes Häufchen unter der schüchtern-leisen Führung Peter Squenz’ (Gunther Eckes). Hervor tut sich der motivierte Meister Zettel (Oliver Nägele), der selber aber auch nicht besser performt als ein Baum. In der entschlackten deutschen Fassung von Jürgen Gosch in Zusammenarbeit mit Angela Schanelec und Wolfgang Wiens darf er einen der sprichworttauglichen Reime nachsetzen: "Liebe und Verstand gehen heutzutage selten Hand in Hand."

Verbrannte Erde

Und jetzt kommt’s. Der Athener Wald ist eine in dämmriges Licht getauchte Halde mit verkohlten Autos und verbrannter Erde. Eine Landschaft der Gegenwart oder auch der Zukunft. Vier grün belaubte Bäumchen sprießen auf Martin Zehetgrubers Autograbhügel, mehr Wald – ein zentrales Stichwort unserer Zeit – ist nicht mehr. Deren wenige, bei jedem Zusammenstoß erzitternde Blätter können kein Mikroklima der Welt abkühlen. Dieses indes keineswegs traurige Bild versorgt Josh Sneesby auf Schlagwerken mit einem hell glöckelnden Soundtrack.

Eine der tollsten Nummern gehört den Elfen (Sabine Haupt und Gunther Eckes in bemerkenswerter Synchronizität), die Zettels Liebestraum mit einer langsamen Rap-Version von Simon und Garfunkels Feelin Groovy quittieren. Müdes Rappen hat seinen Reiz!

Ohne Euphorie

Spielt Shakespeares Traummotiv (allzeit sinkt jemand schlafend zu Boden) mit den verborgenen und verbotenen Fantasien der Nacht und des Unterbewussten, so ist das Müdesein – wenngleich in der Kraftzentrale der stillgelegten Industriearchitektur – hier ein Weltzustand, dem keiner entkommt, mag er mächtig sein oder nicht.

Sogar Puck (Dorothee Hartinger), der Lebensberater und Gehilfe Oberons, zaubert ohne Euphorie und kann für die Menschenprobleme nur träge Blicke erübrigen.

Das Kunststück war nun, aus diesem nur scheinbaren Niedrigenergietheater eine besondere Wirkkraft zu ziehen, und das ist Barbara Frey, heuer im Schlussjahr ihrer Ruhrtriennale-Intendanz, auf ganzer Strecke gelungen. Sie weicht jedem billigen Witz aus, arbeitet rätselhafte Gedanken heraus und setzt neue Behauptungen in Gang. Ein Werk ganz eigener Komik. (Margarete Affenzeller, 12.8.2023)