Für Fotos zu posieren kostet Nicole Hostnik ein bisserl Überwindung. Auch in ihrem Café Bräunerhof bleibt sie lieber im Hintergrund. Auf eine Melange würde sie am liebsten mit ihrem Vater gehen. Die Liebe zur Altwiener Kaffeehauskultur lebt in ihr weiter.

Nicole Hostnik
Nicole Hostnik schätzt im Bräunerhof die Diskretion. "Wir reden nicht über unsere Stammgäste und lassen sie in Ruhe."
Regine Hendrich

STANDARD: Wie lange pflegen Ihre Stammgäste bei einer Melange oder einer Tasse Tee zu verweilen?

Hostnik: Zwischen einer halben und einer Dreiviertelstunde. Manche lesen in der Früh die ersten Zeitungen, kommen mittags zum Essen. Seit wir nicht mehr bis 22 Uhr offen halten, sind fünf Stunden bei einem Achterl Wein und zehn Zeitungen aber sehr selten geworden. Mehr Personal als Gäste zu haben, das ist wirtschaftlich nicht mehr möglich.

STANDARD: Das Kaffeehaus ist ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht, schreibt die Unesco. Ein Schnittlauchbrot macht die Rechnung wohl nicht viel fetter.

Hostnik: Mein Vater sagte immer: Der Gast gewinnt. Er trinkt eine Melange, zwei, drei Gläser Wasser und liest Zeitungen, Zeitschriften um 30 Euro. Wir zahlen dafür jeden Monat 1300 Euro. Vor allem internationale kosten viel Geld. Dafür kommen unsere Stammgäste jedoch fast täglich. Sie sind unsere Stütze, die wir hegen und pflegen, für die wir Tische freihalten, auch wenn viel los ist.

STANDARD: In Wien liegen Leben und Sterben nahe beieinander. Klassische Cafés in Familienhand wichen der Systemgastronomie. Jüngst wurde bekannt, dass das legendäre Prückel am Stubenring die Besitzer wechselt. Warum gibt es den Bräunerhof noch?

Hostnik: Unsere Stammgäste schätzen die Diskretion, wir reden nicht über sie und lassen sie in Ruhe. Sie fühlen sich bei uns wohl. Wir versuchen, klassisch zu bleiben, was den Touristen gefällt. Und wir kalkulieren knapp. Die Miete ist zum Glück bezahlbar, weil mein Vater die Übergabe über viele Jahre vorbereitete.

STANDARD: Ihre Stammgäste nicken einander zu, bleiben aber meist unter sich. Wer zu laut wird, den weisen sie freundlich, aber bestimmt zurecht. Allein sein und doch in Gesellschaft – beschreibt dies die Seele Altwiener Cafés?

Hostnik: Vormittags ist nur das Zeitungsrascheln zu hören. Läutet ein Handy, gibt es scharfe Blicke. Telefoniert jemand ungehemmt, gar mit Freisprechanlage, oder nimmt sich zu viele Zeitungen auf einmal, fallen schon einmal lautere Worte. Unsere Gäste regeln das untereinander. Wir mischen uns nicht ein.

STANDARD: Viele Besucher suchen im Bräunerhof den Geist des Literaten Thomas Bernhard, der hier bis knapp vor seinem Tod täglich Gast war, nicht ohne seine "unheilbare Kaffeehausaufsuchkrankheit" bitter zu beklagen.

Hostnik: Viele Deutsche und Franzosen reisen auf seinen Spuren, lesen bei uns aus seinen Büchern und fragen nach seinem Stammtisch. Reiseleiter führten Gruppen zu uns – im Glauben, wir seien ein Museum. Um das ein wenig hintanzuhalten, ließ ich eine Zeitlang sein Plakat am Fenster hängen, bis ich in einer Zeitung las, Thomas Bernhard würde sich angesichts dessen im Grab umdrehen. Auch unser Fensterputzer war froh, als wir es abnahmen.

STANDARD: Wo saß Bernhard?

Hostnik: Am dritten Tisch nach dem Eingang links. Claus Peymann saß genau vis-à-vis, weil Bernhard nicht wollte, dass er neben ihm saß. Teils redeten sie miteinander, teils nicht. Es muss interessant gewesen sein.

STANDARD: Blieb er auch im Bräunerhof unnahbar?

Hostnik: Der Erzählung meiner Mutter nach, ja. Er soll kein einfacher Gast gewesen sein. Ich selbst habe ihn nie erlebt. Er war vormittags da, während ich in der Schule saß. Ich musste mich jedoch durch all seine Werke ackern. Es war harter Tobak.

STANDARD: Was hat es mit der Wanduhr auf sich, die vor einem Jahrzehnt auf kurz vor zehn stehen blieb?

Hostnik: Erst heute haben wir darüber geredet. Sie wird mit Strom betrieben. Die Ober haben jetzt eine Idee, woran es liegen könnte, wohl an den Kabeln. Es ist halt ein altes Gemäuer, langweilig wird uns hier nie.

Frühstück Bräunerhof
Vormittags ist im Café Bräunerhof nur Zeitungsrascheln zu hören. Wer sein Handy läuten lässt, riskiert scharfe Blicke der Stammgäste.
Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben den Bräunerhof von Ihrem Vater übernommen. Nolens volens, oder war Ihr Weg in die Gastronomie vorgezeichnet?

Hostnik: Meine Eltern haben mir nie Druck gemacht. Es ergab sich, und auszusteigen war später nicht mehr drin, ich war ja das einzige Kind. (lacht) So fleißig wie meine Eltern bin ich aber nicht. Ab und zu nehme ich ein paar Tage Auszeit.

STANDARD: Was wäre ohne Sie aus dem Kaffeehaus geworden? Eine Modefiliale, eine Zahnarztpraxis?

Hostnik: Mein Vater hätte viel dafür getan, damit es als Bräunerhof weiterlebt. Er war von der alten Schule, weiterhin jeden Tag hier, wenn er in Wien war. Allein aber hätte er es nicht länger geschafft. Aber ich behalte vieles bei, wie er es hielt.

STANDARD: Vor gut 25 Jahren musste Ihr Vater Insolvenz anmelden. Dem Bräunerhof drohte das Ende.

Hostnik: So etwas kann schnell gehen, es fiel in die Zeit, als wir noch keinen kleinen Garten für den Sommer hatten. Medial war damals die Hölle los. Es war nicht lustig.

STANDARD: Was braucht es, um Generationswechsel alteingesessener Betriebe im Herzen Wiens zu erleichtern?

Hostnik: Mieten sind teils horrend. In Betrieben unserer Größe ist kein Geschäftsführer drin, und viele Junge fragen sich, warum sie sich das antun sollen. Viele meiner Kollegen führen ihre Kaffeehäuser aber mit viel Herzblut. Sie haben Kinder. Es wird weitergehen. Schlimmeres als Corona werden wir hoffentlich nicht erleben. Für alle, die es überstanden haben, kann es nur aufwärtsgehen.

Bräunerhof Menü
Eiernockerl, Knödel mit Ei und der Suppentopf pflegen im Bräunerhof wegzugehen wie warme Semmeln.
Regine Hendrich

STANDARD: Infolge von Corona blieb Ihr Café insgesamt mehr als ein Jahr geschlossen. Hat die Pandemie die Kaffeehauskultur nachhaltig verändert?

Hostnik: Uns, die wir im Winter das meiste Geschäft machen, hat es extrem getroffen. Nach den Lockdowns ging es erst zögerlich bergauf. Mittlerweile sind wir wieder auf dem Niveau von vor der Krise. Ich kann mich nicht daran erinnern, je so viele Touristen in Wien gesehen zu haben wie heuer. Die Gewohnheiten der Stammgäste haben sich nicht geändert. Abschaffen mussten wir aus hygienischen Gründen leider Würfelzucker. Ich finde die Zuckersticks immer noch schrecklich.

STANDARD: WLAN, bargeldloses Zahlen und Steckdosen begehrt im Bräunerhof nach wie vor keiner?

Hostnik: Natürlich sagen manche: Um Gottes Willen! Aber was Tablets und Wlan betrifft bin ich altmodisch. Steckdosen haben wir nur wenige, versteckt unter Polstern, die sich senkten. Auf den kleinen Tischen ist für Computer auch kaum Platz. Es wird schon schwer mit großen Zeitungen. Die Touristen würden mitunter gern bargeldlos zahlen. Aber der Prozentsatz jener, die deswegen gehen, ist verschmerzbar.

Bräunerhof
"Öfter kommen Gäste zu mir und sagen, dass meine Kellner ja gar nicht so grantig sind, wie es überall geschrieben steht", erzählt Nicole Hostnik.
Regine Hendrich

STANDARD: Die starke Inflation jagte die Preise für den kleinen Braunen teils empfindlich nach oben. Haben die Wiener eine Schmerzgrenze, ab der sie seinem Genuss entsagen?

Hostnik: Vor allem Touristen sparen. Man teilt sich Kaffee und Torte, bestellt dazu literweise Wasser. Wir suchen die preisliche Mitte, wir sind ja kein glamouröses Ringstraßencafé. Auch ich selbst bekomme angesichts kleiner Kaffees anderswo manchmal die Schnappatmung. Ich verstehe ihre hohen Preise – aber es muss nicht sein, denn wer sie trinkt, trinkt ja meist mehrere am Tag.

STANDARD: Wie halten Sie es mit dem berüchtigten Grant der Wiener Ober? Gehört er zum Inventar, oder ist die Grenze zum Schmäh fließend?

Hostnik: Als ich ins Kaffeehausgeschäft einstieg, gab es noch ganz andere Kaliber. Ich war mir damals nie ganz sicher, ob der Grant nicht vielleicht doch gespielt war. Heute ist er moderat, manchmal auch verständlich, wenn viel los ist und die Leute keine Geduld haben. Öfter kommen Gäste zu mir und sagen, dass meine Kellner ja gar nicht so grantig sind, wie es überall geschrieben steht.

STANDARD: Die Gastronomie ringt landauf, landab um Lehrlinge. Könnte eine vegane Kochlehre neuen Schwung in die Ausbildung bringen?

Hostnik: Es gibt viele vegane Lokale. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es so viele Mischbetriebe gibt, außer großen Hotels und Sternegastronomie, die Köche brauchen, die kein Fleisch anrühren. Das erste vegane Kaffeehaus in Österreich möchte ich nicht werden. Da tät ich mir schwer.

STANDARD: Fragen Ihre Gäste nach Sojamilch und Seitanschnitzerl?

Hostnik: Ganz selten. Seit wir wegen fehlender Nachfrage die lactosefreie Milch wegschütten mussten, habe ich nur noch normale. Wer Milch nicht verträgt, trinkt den Kaffee schwarz. Das hat zugenommen. Ein, zwei Tage in der Woche kochen wir mittags fleischlos. Wir wollen ein klassisches Wiener Kaffeehaus bleiben. Unsere Spitzenreiter sind Eiernockerl, Knödel mit Ei und der Suppentopf.

Nicole Hostnik
Sie arbeite gerne, sagt Nicole Hostnik. "Solange ich gesund bin und es mir weiter Freude macht, habe ich vor, noch viele Jahre dranzuhängen."
Regine Hendrich

STANDARD: Mit wem würden sie gerne auf eine Melange gehen?

Hostnik: (überlegt lange) Mit meinem Papa. Wenn er noch da wäre. Obwohl wir beide selten Kaffee getrunken haben. Mein Vater hat ja hier bei uns im Lokal nie Kaffee getrunken.

STANDARD: Sie werden des Kaffeehausgeschäfts nicht müde?

Hostnik: Seit 15 Jahren wird mir alle drei Jahre über fünf Ecken zugetragen, dass ich verkauft habe. An ein anderes Café, an eine Kunstgalerie, was weiß ich. Es ist ein altes Spiel. Aber ich arbeite gerne. Solange ich gesund bin und es mir weiterhin Freude macht, habe ich vor, noch viele Jahre dranzuhängen. (Verena Kainrath, 13.8.2023)