In seinem Gastkommentar klärt Nationalökonom Daniel Gros über die Gründe für das Anhalten der Inflation auf.

Die Zentralbanker scheinen sich ihren Sommerurlaub verdient zu haben. Mit einer Reihe drastischer Zinserhöhungen scheinen sie eine Inflationswelle zurückgedrängt zu haben, die nach allgemeiner Auffassung durch eine beispiellose Kombination negativer Schocks ausgelöst wurde. Doch bevor man die Zentralbanker für die Eindämmung der Inflation lobt, sollte man ihre Rolle bei deren Entstehung betrachten.

Die Entscheidung der Politik, den massiven Ankauf von Vermögenswerten fortzusetzen, war eine Überreaktion auf einen vorübergehenden Schock.
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Der am häufigsten genannte Faktor für den jüngsten Inflationsanstieg sind die hohen Energiepreise, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine in die Höhe schnellten, da der Westen befürchtete, dass russische Kohlenwasserstoffe nicht auf den Markt gelangen würden. Anfang 2023 waren die Rohölpreise jedoch wieder auf das Niveau vor der Invasion gesunken.

Noch wichtiger ist, dass der Preisanstieg 2022 kein Einzelfall war. Die Ölpreise sind in der Vergangenheit ähnlich schnell gestiegen und haben ähnliche Höchststände erreicht, etwa 2008 und 2011/12, aber in keinem dieser Fälle kam es zu einem spürbaren Anstieg des Preisniveaus. Selbst in Europa, wo der Anstieg der Erdgaspreise nach der Invasion beispiellos war, erreichten die Energiepreise wieder das Vorkriegsniveau, lange bevor die Inflation zu sinken begann.

Bisher hat kein Zentralbanker den begründeten Zweifel eingeräumt, dass der Energiepreisschock des letzten Jahres die Ursache für den Anstieg der Preise für Nichtenergiegüter war. Die Zentralbanker haben lediglich einen zweiten Schuldigen ausgemacht: Unterbrechungen in der Lieferkette.

Aber auch hier war der Schock nur vorübergehend. Der zusammengesetzte Indikator der Federal Reserve Bank of New York für den weltweiten Druck auf die Lieferketten zeigt, dass es 2022 einen noch nie dagewesenen Anstieg gab, der Index aber Anfang 2023 wieder in den Normalbereich zurückkehrte. Heute liegt er im negativen Bereich, was darauf hindeutet, dass die Lieferketten besonders gut funktionieren.

Verblüffende Asymmetrie

Die meisten makroökonomischen Modelle – und nicht zuletzt der gesunde Menschenverstand – legen nahe, dass ein vorübergehender Angebotsschock zu einem ebenso vorübergehenden Anstieg des Preisniveaus führen sollte. Mit anderen Worten: Wenn die jüngste Inflation durch die beiden Angebotsschocks im Jahr 2022 verursacht worden wäre, wäre sie zunächst über das kanonische Ziel von zwei Prozent gestiegen und dann, als die Schocks nachließen, unter dieses Ziel gefallen. Dies ist jedoch weder in den USA noch im Euroraum der Fall, wo die Inflation ohne Berücksichtigung der Auswirkungen sinkender Energiepreise weiterhin bei etwa vier bis fünf Prozent liegt.

Man könnte natürlich argumentieren, dass Asymmetrien zu einem unterschiedlichen Verhalten der Gesamtpreise bei steigenden und fallenden Energiepreisen führen könnten. Es ist jedoch nicht klar, worin die relevanten Asymmetrien in diesem speziellen Fall bestehen würden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben trotz angespannter Arbeitsmärkte Reallohnverluste hingenommen. Und obwohl es notwendig sein könnte, dass einige Preise sinken, wenn die Energiepreise fallen, gibt es keine Anzeichen dafür, dass eine Abwärtsstarrheit der nominalen Preise oder Löhne derzeit eine Rolle spielt.

Warum hält die Inflation also an? Ein wahrscheinlicher Grund ist, dass wir die verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik der Vergangenheit erleben. In den Jahren 2020 und 2021, als die Pandemie die Weltwirtschaft erschütterte, begannen die Zentralbanken, riesige Mengen an Vermögenswerten aufzukaufen. In den ersten Monaten des Jahres 2020 verfolgte diese Politik ein klares Ziel: die Stabilisierung der Finanzmärkte. Aber auch nachdem dieses Ziel erreicht war, kauften die Zentralbanken weiter Vermögenswerte auf.

Damals waren die Zentralbanker von der Angst vor einer Deflation getrieben. Zwar ging die Inflation 2020 bis 2021 zurück, doch war dies hauptsächlich auf einen vorübergehenden Rückgang der Energiepreise zurückzuführen. Die Entscheidung der Politik, den massiven Ankauf von Vermögenswerten fortzusetzen, war eine Überreaktion auf einen vorübergehenden Schock.

Geldpolitik in der Pandemie

Es sollte nicht überraschen, dass diese Politik inflationäre Auswirkungen hatte oder dass es eine Weile dauerte, bis diese Auswirkungen spürbar wurden. Wie der Wirtschaftswissenschafter Milton Friedman erklärte, wirkt sich die Geldpolitik mit "langen und variablen Verzögerungen" auf die Wirtschaft aus. Geht man von einer Verzögerung von zwölf bis 24 Monaten aus, hätten die pandemiebedingten Ankäufe von Vermögenswerten durch die Zentralbanken Ende 2021 begonnen, sich auf die Inflation auszuwirken, wobei die stärksten Auswirkungen 2022 und 2023 zu verzeichnen gewesen wären, als die Lage auf dem Arbeitsmarkt besonders angespannt war. Die Lage am Arbeitsmarkt könnte erklären, warum die pandemiebedingte Geldpolitik die Kerninflation stärker angeheizt hat als die Welle unkonventioneller Geldpolitik von 2015 bis 2018.

Es ist schwer zu sagen, welcher Anteil der aktuellen Inflation auf die Käufe von Vermögenswerten während der Pandemie zurückzuführen ist. Basierend auf der eigenen Einschätzung der Europäischen Zentralbank ihrer Politik 2015 bis 2018 könnte man jedoch zu dem Schluss kommen, dass die Käufe einige Prozentpunkte beigetragen haben. Hätten die US-Notenbank und die EZB ihre Ankäufe beendet, sobald sich die Finanzmärkte Anfang 2020 stabilisiert hatten, läge die Kerninflation heute vielleicht bei drei Prozent und nicht bei fünf.

Sicherlich haben auch die umfangreichen fiskalischen Stützungsmaßnahmen während der Pandemie zur Inflation beigetragen, insbesondere in den USA. Das entlässt die Geldpolitik aber nicht aus der Verantwortung. Im Gegenteil: Auch wenn sich die US-amerikanischen und europäischen Notenbanker lieber auf ihre Fortschritte bei der Eindämmung der Inflation konzentrieren, sollte man nicht so tun, als hätten sie bei der Entstehung des Problems keine wichtige Rolle gespielt. (Daniel Gros, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 13.8.2023)