Vom Hochofen in der Stahlerzeugung über die Ölraffinerie bis zum Zementwerk, auf Österreichs Industrielandschaft kommen gewaltige Umwälzungen zu. Die Wende Richtung Klimaschutz wird wie kaum eine andere Frage darüber entscheiden, ob österreichische Unternehmen auch künftig am Weltmarkt gegen die internationale Konkurrenz bestehen können.

Weil die Transformation Milliarden Euro kosten wird, braucht es staatliche Unterstützung für grüne Investitionen – in dieser Frage stimmt die türkis-grüne Regierung mit der Opposition und den meisten Expertinnen und Experten überein. "Unternehmen werden bei der Transformation und den notwendigen Anpassungsmaßnahmen unterstützt", liest man im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen aus dem Jahr 2020.

Ein Hochofen der Voestalpine in Linz: Österreichs Industrie soll auf Klimaneutralität umrüsten.
Ein Hochofen der Voestalpine in Linz: Österreichs Industrie soll auf Klimaneutralität umrüsten.
APA/HANS KLAUS TECHT

Im Oktober des Vorjahres schritt man diesbezüglich zur Tat. Die Regierung setzte einen milliardenschweren sogenannten Transformationsfonds auf, aus dem Unternehmen Gelder beziehen können. Dies sei nötig, um den Umbau weg von fossilen Brennstoffen zu unterstützen und Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Österreich zu erhalten, erklärte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bei der Präsentation des Fonds. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sekundierte: "Nur so können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auch auf internationaler Ebene erhalten und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren."

Milliardenschwerer "Transformationsfonds"

Das eigentliche Programm läuft im Klimaschutzministerium unter Leonore Gewessler (Grüne). Dort können sich seit Mai – noch bis Mitte September – Unternehmen um Fördergelder bewerben. Voraussetzung: Sie müssen "Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion von Treibhausgasemissionen" setzen. Gefüllt ist der Transformationsfördertopf mit der stattlichen Summe von 2,975 Milliarden Euro, die bis zum Jahr 2030 ausbezahlt werden soll. Zum Vergleich: Das ist ungefähr so viel, wie Österreich pro Jahr als Mitgliedsbeitrag an die EU nach Brüssel überweist. 175 Millionen von der Gesamtsumme sollen noch heuer fließen.

Allerdings, wer das Kleingedruckte zur Förderaktion nachliest – und ein wenig nachrechnet –, beginnt sich zu wundern. Denn der Topf ist mit drei Milliarden extrem voll. Derart voll, dass sogar noch Gelder übrigbleiben würden, selbst wenn alle Betriebe in Österreich, die die Förderkriterien erfüllen, die Höchstsumme an Förderung kassieren würden.

Darüber hinaus zeigt sich: Die Förderaktion ist, wenn man so will, noch gar nicht fertig konzipiert. Wichtige Bewilligungen der EU sind ausständig. Dennoch läuft die Bewerbungsphase bereits. Unternehmen, die vor wichtigen hohen Investitionsentscheidungen stehen, wissen aus diesem Grund gar nicht, wie viel Geld sie letztlich erhalten werden. Fazit: Die große türkis-grüne Förderaktion für die grüne Zukunft der Industrie läuft bei genauem Blick reichlich holprig ab.

30 Millionen pro Projekt

Um das Problem zu verstehen, muss man sich ein wenig die Details der Förderaktion ansehen: Laut Förderleitfaden darf kein einzelnes Projekt mit mehr als 30 Millionen Euro unterstützt werden – eine Zahl, die man sich merken sollte. Dazu kommt ein zweites wichtiges Kriterium: Es kommen nur jene Industrieanlagen für die Subvention infrage, die mindestens 15.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen – ein ziemlich hoher Wert.

Das führt zur Frage, wie viele Industrieanlagen es in Österreich gibt, die mehr als 15.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Eine Annäherung erlaubt das sogenannte Emissionshandelsregister des Umweltbundesamts (UBA). Dort sind österreichweit 105 Anlagen verzeichnet, die diese Voraussetzung erfüllen. Spitzenreiter: die Voestalpine Stahl (knapp neun Millionen Tonnen), die Schwechater OMV-Raffinerie und die Fluglinie Easyjet (jeweils mehr als zwei Millionen Tonnen). Allerdings finden sich in diesem Emissionshandelsregister nicht alle energieintensiven Anlagen im Land – sondern nur jene, die dem sogenannten EU-Emissionshandel unterliegen, einem EU-weiten System des Handels von CO2-Rechten. Zu den 105 Anlagen kommen also noch einige wenige andere, die nirgendwo katalogisiert sind. Es handelt sich dabei aber höchstens um eine Handvoll, schätzen Experten, die DER STANDARD um Einschätzung gebeten hat. Fazit von alledem: Knapp mehr als hundert Industrieanlagen in Österreich erfüllen die Voraussetzung der Förderaktion, weil sie mehr als 15.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen.

Zu viel Geld im Fördertopf

Der entscheidende Punkt: Selbst wenn nun alle dieser Betriebe voll gefördert würden – also die besagte Höchstsumme von 30 Millionen pro Projekt bekämen –, läge die Gesamtsumme gerade einmal bei etwas mehr als drei Milliarden Euro. Das entspricht ungefähr der Summe, mit der der Topf gefüllt ist. Dass aber alle Anlagen voll gefördert werden, ist aber ein höchst unrealistisches Szenario: Manche Betriebe planen vielleicht derzeit gar keine Investitionen; andere können sie sich gerade nicht leisten. Fazit: Wie man es auch dreht und wendet, es liegt viel zu viel Geld im Fördertopf.

Was sagt das verantwortliche Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) dazu? In einer schriftlichen Stellungnahme an den STANDARD heißt es zunächst: "Im Zuge der Erarbeitung der Ausschreibungsanforderungen wurden natürlich Gespräche mit Industrievertreter:innen geführt." Die aktuell verfügbaren Fördermittel seien "jedenfalls angemessen". Die entscheidende Passage folgt danach: Es werde wohl nicht bei der 30-Millionen-Höchstgrenze pro Projekt bleiben, so das Büro Gewessler: "Es wird aktuell an einer weiteren Förderrichtlinie gearbeitet, die auch höhere maximale Förderbeträge ermöglicht." Dies würde dazu führen, "dass die Fördertöpfe ausgeschöpft sein werden".

"Die Fördertöpfe werden ausgeschöpft": Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne).
APA/GEORG HOCHMUTH

Weshalb aber ist in der Förderaktion nicht von Anfang an eine höhere Höchstsumme als die 30 Millionen vorgesehen? Der Grund: Es ist EU-rechtlich nicht erlaubt und muss von der Brüsseler EU-Kommission eigens bewilligt werden. "Es bedarf einer Prüfung und einer Notifikation bei der Europäischen Kommission und ist natürlich mit entsprechender Bearbeitungszeit durch die Kommission verbunden", so das Ressort Gewessler.

Kommission lässt auf sich warten

Hintergrund: Es ist die Aufgabe der EU-Kommission, darauf zu achten, dass in der EU nicht der Wettbewerb verzerrt wird – weil Unternehmen wegen staatlicher Förderungen bessere Bedingungen als andere vorfinden. Deshalb muss die Brüsseler Behörde Förderungen ab einer Grenze von 30 Millionen Euro dezidiert zustimmen. So sieht es die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung vor, ein Regelwerk der EU.

Österreichs türkis-grüne Regierung hat also eine milliardenschwere Förderaktion gestartet, ohne den Sanctus der EU abzuwarten – und fährt zunächst einmal auf der schmalen Spur von 30 Millionen Euro, um die Unionsvorgaben nicht zu verletzen. Kennern der Materie zufolge ist mit einer Entscheidung aus Brüssel erst in frühestens einem halben Jahr zu rechnen.

Zugreifen oder abwarten?

Österreichs große Industrieunternehmen, die Pläne für umfangreiche grüne Investitionen wälzen, bringt die halbfertige Förderaktion türkis-grüner Machart in eine verzwickte Lage: Sollen sie sich gleich jetzt um eine Förderung bewerben und akzeptieren, dass dabei die Höchstgrenze von 30 Millionen gilt? Oder sollen sie abwarten und die Förderung für dieses Jahr sausen lassen – in der Hoffnung, dass sie infolge der EU-Bewilligung nächstes Jahr höher sein wird? DER STANDARD hat sich unter heimischen Großunternehmen umgehört und festgestellt, dass sie unterschiedlich mit dem Problem verfahren. Manche greifen zu; andere warten lieber ab.

Fest steht jedenfalls, dass es bei einer der größten Förderaktionen im Land, die mit der grünen Wende in der Industrie einen enorm wichtigen Bereich betrifft, bislang an klaren Vorgaben mangelt. Denn sie wurde begonnen, ehe wichtige Grundlagen geklärt worden sind, konkret die Höhe der Förderungen. Und bis der Sanctus der EU kommt, liegt jedenfalls viel zu viel Geld im Fördertopf. (Joseph Gepp, 21.8.2023)