Junge Frau spielt Wohlfühl-Games.
Während in herkömmlichen Computerspielen Action und Adrenalin im Vordergrund stehen, geht es bei Cozy Games um Entspannung und ums Wohlfühlen.
Oana Rotariu

Ich bin eine kleine schwarze Spinne und hüpfe durch eine bunte Inselwelt mit Bäumen, Wiesen und Pilzen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, es begleiten mich fröhliche Flöten- und Harfenklänge. Mit meinem Spinnenfaden kann ich mich abseilen, wohin ich will, Netze bauen und Gegenstände einfangen. Wenn ich Angst vor meinem Erscheinungsbild habe, rolle ich eben im "Arachnophobie-Modus" als Kugel durch die Gegend.

Vorsichtshalber aktiviere ich auch die Fähigkeit, über Wasser zu gehen. Wer weiß, ob ich schwimmen kann. An einem Teich fragt mich mein neongrüner Artgenosse Arti, ob ich ihm beziehungsweise den Eichkätzchen helfen kann. Gut, dass unsere Dada-Fistelstimmen mit Sprechblasen hinterlegt sind, sonst wäre ich schon aufgeschmissen. Na klar helfe ich! Nachdem ich gekonnt drei Eicheln aus dem Teich gefischt habe, ist der Winter für die Eichkätzchen gerettet.

Die Szene entstammt keinem Bachmanntext, sondern einem Computerspiel. Der Puls ist während des Abenteuers kaum gestiegen, das Erfolgserlebnis hinterlässt ein wohliges Gefühl. Damit ist auch das wichtigste Ziel der sogenannten Wholesome Games erreicht: kein Herumballern, kein Wettbewerb, kein Stress, stattdessen flauschige Behaglichkeit beim kreativen Bewältigen handzahmer Hindernisse. Das vorläufig nur als Demo-Version erhältliche Spiel "A Webbing Journey" (Fire Totem Games) wurde von Studierenden des Masterstudiums Game Studies & Engineering an der Uni Klagenfurt entwickelt und erlebt auf der Plattform Tiktok gerade einen Höhenflug.

Ethik und Herzfrequenz

Den Mitgründer und Leiter des Lehrgangs macht dieser Erfolg stolz. Seit Felix Schniz vor knapp sechseinhalb Jahren das "sehr mutige Experiment" antrat, einen Masterstudiengang an der Schnittstelle von Technik und Geisteswissenschaften anzusiedeln, hat sich viel getan. Mittlerweile zählen die Game-Studies knapp 90 aktive Studierende, jedes Jahr nimmt die Zahl der Bewerbungen zu, und Indie-Studios haben sich bereits in Klagenfurt niedergelassen.

Schniz und sein Team arbeiten sich an einem breiten Spektrum kulturwissenschaftlicher Fragestellungen ab, etwa welche Rolle das Videospiel in der Gesellschaft spielt oder was in diesem Kontext Ethik bedeutet. Theoretische Überlegungen sowie Befragungen von Spielenden werden dann am Department of Information Technology (ITEC) der Uni Klagenfurt mit biometrischen Daten wie Herz-Kreislauf-Werten abgeglichen, erklärt Schniz das Alleinstellungsmerkmal des Lehrgangs in Österreich. Auf einer abstrakteren Ebene geht es ihm auch um grundlegende Begriffe, von Genre über Virtualität und Spiritualität bis hin zur Affekttheorie, "also wie evozieren Videospiele Emotionen oder Sentimentalitäten, die wir mit dem Begriff der Emotionen beschreiben, weil uns eben noch die konkreten Begrifflichkeiten dafür fehlen".

Im Zentrum des Forschungsinteresses steht die Erfahrung selbst: "Wir müssen der Subjektivität wieder einen ganz anderen Raum in der Forschung geben. Wir haben natürlich immer noch dieses Klischeedenken im Hinterkopf: Subjektivität und Forschung, das passt nicht zusammen. Aber ab dem Moment, wo ich als Spieler in einem Videospiel mit drin bin, steht das Ich wortwörtlich im Vordergrund."

Blumenbeet statt Gewalt

Ruhig gehaltene Spiele mit Fokus auf das individuelle Erleben haben als Antithese zum Stress der Corona-Pandemie großen Zulauf bekommen. Allen voran "Animal Crossing", über das es bereits wissenschaftliche Publikationen gibt – etwa im Fachmagazin "Frontiers in Psychology". Schniz zieht solche Studien zur Diskussion mit Studentinnen und Studenten heran und beschäftigt sich auch selbst mit den Phänomenen hinter den Cozy Games: Das seien Videospiele, die ohne Zeitdruck funktionieren, ohne kritische Herausforderungen, erklärt der Forscher.

"Die Pandemie war eine Zeit, die uns alle sehr gestresst hat und uns mit einem ganz großen Risiko in der Welt konfrontiert hat, das wir alle nicht einschätzen konnten, dem wir uns gleichzeitig auch nicht entziehen konnten", beschreibt Schniz. "Dann habe ich aber auf einmal ein Videospiel wie eben "Animal Crossing", in das ich mich zurückziehen kann, das mir die Autonomie gibt, in dem eigenen, für mich abgegrenzten, sicheren Raum meine Blumen zu gießen", schließt er.

Für die Computerspieleexpertin Johanna Pirker sind die Cozy Games Teil eines Gegentrends zu AAA-Spielen – also jenen Spielen, mit den höchsten Entwicklungs- und Werbebudgets im Hintergrund. "Man merkt einen ganz großen Shift in der Spieleentwicklung in Richtung der Indie-Entwicklung", sagt die vielfach prämierte Informatikerin, die an der TU Graz und der LMU München forscht und lehrt.

Ein großes Anliegen ist es ihr, "cozy" oder andere Gaming-Erfahrungen abseits ermüdender Stereotype à la Sucht und Gewalt mehr in den Vordergrund zu rücken, oder wie sie es nennt, "rauszukommen aus der Schmuddelecke". Sei es als "Prince of Persia" oder "Super Mario", aufgewachsen ist sie in einer Welt, in der sie praktisch in jedem einzelnen Spiel die Prinzessin retten durfte oder musste.

Toxische Rollenklischees

"Das ist dann nachträglich schon kritisch zu betrachten, in welche Rollenklischees man sich da einfach einlebt", erläutert Pirker, die selbst unter anderem Lernspiele entwickelt und toxisches Verhalten in Spielen erforscht. Nicht zuletzt der Indie-Boom und die leichtere Zugänglichkeit von Programmiertools hätten zu einer Demokratisierung der Spieleentwicklung geführt und Trends wie Cozy Games erst möglich gemacht.

Zwischen dem, was Spiele für die mentale Gesundheit, aber auch für soziale Zwecke, Bildung oder Kultur leisten können, und deren öffentliche Wahrnehmung könnte der Spagat nicht größer sein. Einerseits fehle es an Förderungen für Forschung und Entwicklung im Games-Bereich. Andererseits sei es traurig, dass sich ein von der jüngeren Generation als positiv und divers wahrgenommenes Medium nicht genauso in den Kulturseiten der österreichischen Massenmedien widerspiegle wie Kabaretts oder Konzerte, sagt Pirker: "Für mich sind Spiele Kulturgut." (Mario Wasserfaller, 19.8.2023)