Junger Mann sitzt vor einem Notebook und bezahlt online mit Kreditkarte
Wer bei Scalping-Angeboten als Käufer die Karte zückt, hält den Teufelskreis am Leben.
Getty Images

Herr G. staunte nicht schlecht, als er die Ticketpreise für das Coldplay-Konzert sah: 1.600 Euro verlangte ein Verkäufer auf dem Onlinemarktplatz Willhaben für vier Stehplätze, die regulär eigentlich nur 125 Euro pro Karte kosten sollten. Über die Foreneinträge unter einem STANDARD-Artikel ist Herr G. auf die Anzeige gestoßen, weil er für seine Freunde auf der Suche nach Tickets war. Wenige Stunden nach Beginn des öffentlichen Ticketvorverkaufs gingen Angebote für das Konzert bei Willhaben online, die bis zu 4.000 Euro kosteten. Wie kann es sein, dass solche überteuerten Preise möglich sind?

Tatsächlich sind Konzertkarten nur eines von vielen Angeboten mit begrenzter Verfügbarkeit, die auf Onlinemarktplätzen wie Willhaben von Privatpersonen zu massiv erhöhten Preisen weiterverkauft werden. Die Bandbreite reicht von Kinderhörspielfiguren über Sneaker und Spielkonsolen bis hin zu PC-Hardware – spätestens dann, wenn ein Produkt mit dem Label "Limited Edition" oder "Collector's Edition" versehen ist, ist das ein Garant dafür, es zu überhöhten Verkaufspreisen im Internet wiederzufinden.

Vom Aktienhandel zum Onlinemarktplatz

Privatpersonen scheinen mit solchen Verkäufen offenbar ein schnelles Zubrot zu wittern. Und für Konsumentinnen und Konsumenten tritt beim Onlineshopping immer wieder ein Spielverderber zum Vorschein, der sich in den letzten Jahren unter der Bezeichnung "Scalping" verfestigt hat. Der Begriff stammt eigentlich aus dem Aktienhandel, wo sich das symbolische Abziehen der Kopfschwarte auf eine Handelsstrategie bezieht, bei der Händler versuchen, kleine Kursbewegungen für Gewinne auszunutzen.

Verlässt Scalping das Börsenparkett, geht es aber einfach nur um den Kauf bzw. das Aufkaufen von Artikeln mit begrenzter Verfügbarkeit oder von zeitlich begrenzten Sonderangeboten, für die der Käufer eine hohe Nachfrage annimmt. So kann er sie anschließend auf Onlinemarktplätzen wie Ebay Kleinanzeigen oder – in Österreich vorzugsweise – Willhaben zu absurd hohen Preisen weiterverkaufen.

Das geht mittlerweile so weit, dass sich ganze Communitys dazu im Internet gebildet haben, die mithilfe automatisierter Bots komplette Produktchargen oder Ticketbestände, die nicht personalisiert sind, "wegkaufen" können, um sie später verteuert wieder auf den Markt zu werfen. Dahinter stecken Computerprogramme, die vordefinierte Aufgaben, etwa den Kauf eines Produkts auf einer Website, binnen Sekunden selbständig ausführen. Das menschliche Reaktionsvermögen von Otto Normalverbraucher hat in solchen Fällen meist das Nachsehen – oder bestenfalls nur sehr begrenzten Handlungsspielraum.

Scalping nicht illegal

Herr G. ärgerte sich über die überzogenen Preise in der Anzeige und wandte sich zunächst direkt an den Verkäufer. Mit der Erwähnung des Begriffs "Finanzpolizei" in der Nachricht nahm der Verkäufer das Angebot sofort offline. Diese Reaktion lässt zunächst vermuten, dass der Verkauf wie in vielen anderen Scalping-Fällen am Finanzamt vorbeigehen sollte.

Während die Handelsstrategie an sich nicht illegal ist, ist es eine Steuervergesslichkeit der Verkäufer sehr wohl. Wenig überraschend unterliegt der Onlineverkauf von Produkten unter gewissen Umständen tatsächlich gesetzlichen Vorgaben: "Verfolgt man solche Praktiken regelmäßig, sind die damit üblichen Verpflichtungen verbunden: Man muss das Gewerbe anmelden, Umsatzsteuer abführen und die Gewinne versteuern", sagt Karl Gledt, Leiter der Internet Ombudsstelle. Beim Onlineverkauf ist dann von gewerblichem Handel die Rede, wenn jemand regelmäßig Produkte auf eigene Rechnung kauft, um sie online mit Profit weiterzuverkaufen. Dies steht im Gegensatz zum Verkauf eigener, bereits genutzter Artikel zu einem deutlich niedrigeren Preis.

Solange Interessenten nicht absichtlich getäuscht werden, sei Scalping an sich jedoch rechtlich nicht problematisch, so Gledt, denn "der Umstand, dass man im Eigentum einer Sache ist, die am Markt sehr nachgefragt ist, und sie deshalb teuer verkauft, ist nicht illegitim". Generell betrachtet man Scalping bei der Internet Ombudsstelle immer noch als Randerscheinung, die davon abhängt, ob es gerade ein Produkt am Markt gibt, das stark nachgefragt ist. Zuletzt sei das die Spielkonsole Playstation 5 gewesen, aber auch Konzertkarten würden laut Gledt oft in diese Kategorie fallen. In diesem Fall helfe nur eine Personalisierung der Karten, die einen Weiterverkauf erheblich erschwere.

Preiskampf bleibt unter Usern

Und was sagt der Onlinemarktplatz selbst dazu? Als sich Herr G. mit den konkreten Fällen und der Bitte an Willhaben wandte, "Aktivitäten in Richtung Schwarzmarkt" zu unterbinden, erhielt er wenige Tage später eine recht ernüchternde Antwort. Zwar habe man Verständnis für die Verstimmung von Herr G., "gerade bei Artikeln, die über Marktwert angeboten werden, setzen wir auf die Mündigkeit unserer User, die sich eigenverantwortlich dafür oder dagegen entscheiden können, einen Artikel zu solch einem Preis über dem UVP (unverbindlichen Verkaufspreis, Anm.) zu erwerben", so die Antwort von Willhaben.

Schließlich wird ausdrücklich betont, dass man nicht in der Preisgestaltung eingebunden sei und die User selbst für Inhalte und Preise verantwortlich seien. "Aus Sicht eines Unternehmens ist es natürlich verständlich, dass es das toleriert, Willhaben will ja Klicks generieren und Marktpräsenz zeigen. Auf der anderen Seite fühle ich mich persönlich mit so einer Standard-Antwort einfach nur abgespeist", zeigt sich Herr G. sichtlich enttäuscht.

Gegenüber dem STANDARD betont Willhaben seine Rolle als Plattform, "um VerkäuferInnen und potenzielle KäuferInnen bestmöglich zusammenzubringen". Das "bestmöglich" inkludiert aber offenbar keinen Schutz der Käuferinnen und Käufer vor stark überhöhten Preisen: "Der Angebotspreis so gut wie jeder Anzeige liegt im Ermessen und in der Verantwortung der InserentInnen", sagt Manuel Hacker, Teamleiter Moderation & User Security bei Willhaben.

Kein Interesse daran, einzugreifen

Darüber hinaus überprüfe ein spezialisiertes Team bei Willhaben regelmäßig Anzeigen, um sicherzustellen, dass sie den Richtlinien des Unternehmens entsprechen. Wenn Anzeigen gegen diese Regeln verstoßen, werden sie entweder schnell entfernt oder gar nicht erst veröffentlicht. Willhaben versichert auch, alle eingegangenen Meldungen ernst zu nehmen, und bemüht sich wie im Fall von Herrn G. um eine Rückmeldung. Wie die Überprüfungsverfahren von Anzeigen funktionieren, könne man aus "bearbeitungstaktischen Gründen" nicht bereitstellen, heißt es auf Anfrage.

Großes Interesse, in eine künstliche Verknappung und das damit einhergehende Reselling einzugreifen, ist aus dem Statement nicht zu entnehmen. Man beruft sich darauf, dass sich Preise immer nach Angebot und Nachfrage orientieren würden und Scalping ohnedies kein häufig auftretendes Thema sei. Gegenüber gesetzlicher Regelung zeigt man sich in diesem Zusammenhang vor allem skeptisch, was Preisgrenzen betrifft. "Es bräuchte im Fall der Fälle eine sehr präzise und in der Umsetzung machbare gesetzliche Vorgabe, um Umgehungskonstruktionen sowie Willkür bei der Auslegung verschiedener Details zu vermeiden", sagt Hacker abschließend.

"Die" Lösung lässt auf sich warten

Zwar sind mittlerweile verschiedene Strategien entwickelt worden, um Scalping einzudämmen. Außer für Verkäufer, die den Hals nicht vollkriegen können, scheint aber noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden worden zu sein. Einige Hersteller haben Einkaufslimits pro Kunde festgelegt, Loyalitätsprogramme eingeführt oder Warteschlangensysteme implementiert, die potenzielle Käufer zufällig für einen Kauf auswählen.

Technische Lösungen wie Captchas sind mitunter auch im Einsatz, um den automatisierten Kauf durch Bots zu erschweren, während einige Unternehmen sogar so weit gehen, Bestellungen individuell zu stornieren, die den Anschein von Scalping erwecken. Vereinzelt haben sich auch Ansätze als wirksam erwiesen, Transparenz gegenüber Kunden zu beweisen, indem Informationen über Lagerbestände und Verkaufsstarts klar kommuniziert werden. Damit soll der Druck eines Erstverkaufstags verringert werden. Ein "Allheilmittel" gegen Scalping gibt es jedoch nicht.

Im Fall von Herrn G. konnte das Problem nicht gelöst werden: Seine Freunde sind verärgert, dass die Tickets so schnell ausverkauft waren und jetzt nur noch zu horrenden Preisen verfügbar sind. Aufs Konzert gehen sie nicht, weil sie nicht bereit sind, einen derart hohen Aufpreis zu zahlen. Das mag für Fans schmerzhaft, aber auch verständlich und richtig sein: Denn so wie es aussieht, muss man jede Möglichkeit nutzen, um gegen Scalping vorzugehen. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Strategie auch zu Leuten durchdringt, bei denen Geld nur eine untergeordnete Rolle spielt, und die Scalper dann auf ihren Angeboten sitzenbleiben. Denn in einem Punkt dürfte man sich schnell einig werden: Die Sympathie für solche Verkäufer ist schnell enden wollend. (Benjamin Brandtner, 21.8.2023)