Autorin Ronja von Rönne (31)
Die Autorin Ronja von Rönne (31) ist der Rolle der jungen Wilden entwachsen und legte es zuletzt nachdenklicher an.
Carolin Saage

Mit einem Tusch tauchte Ronja von Rönne 2015 auf. 2012 hatte sie den Blog Sudelheft über Hipster, Rauchen oder Geburtstage gestartet. Ironie war Wasserzeichen jedes Beitrags, und irgendwie stieß die deutsche Zeitung Welt auf sie. Gerade 23 Jahre alt, schrieb sie dort nun eine Kolumne darüber, wie sehr sie der Feminismus anekle.

Sie habe nie Nachteile davon erlebt, eine Frau zu sein, stellte von Rönne in dem Text fest. Und: "Wenn Firmen ihre Produkte mit nackten Frauen bewerben, halte ich das für gerechtfertigt, offensichtlich gibt es ja den Markt dazu." Der Text ging viral. Aber die Reue folgte auf dem Fuß, als Sprachrohr des Antifeminismus hatte sie nicht gelten wollen.

Egal, die Karriere hatte gezündet. Im selben Jahr fuhr sie zum Bachmannpreis, wo sie krachend durchfiel, und trat im Video zu Wandas Hit Bussi Baby auf – mit bis oben zugeknöpfter Bluse, mit Sänger Marco Michael Wanda balgend, rauchend. So wie das für sie typisch hochgebundene Haar oszillierend zwischen brav und rotzig, lässig und kritisch.

Desaster und Depression

Was als fulminanter Karrierestart erscheint, war hinter den Kulissen ein Desaster. Von Rönne hat in den letzten Jahren keinen Hehl daraus und ihre Depressionen und Panikattacken öffentlich gemacht, etwa 2022 im Roman Ende in Sicht. Im Essayband Trotz greift sie diese schwierige Phase jetzt wieder auf. Es sind die besten Stellen in einem sonst mal künstlich aufgedrehten (eine Neuerzählung des Sündenfalls im Garten Eden unter dem Gesichtspunkt des Trotzes) und mal allzu rechtschaffen dozierenden Band.

Dann reflektiert von Rönne nämlich Selbstzweifel und ihren Start in die Literaturszene, wo Lesungen sie anöden und Lektoren Autorinnen anmachen. Sie meint, sie könnte das Spiel mitspielen, ohne Teil des Betriebs zu werden. Aber das klappt nicht so ganz. Sie hat einen (verrissenen) Roman geschrieben, betreibt einen Podcast und verdient viel Geld, fühlt sich aber nirgendwo zugehörig. Mit 25 liefert sie sich am Tiefpunkt in eine Klinik ein.

Von Rönne versucht auf den nur hundert Seiten von Trotz, die widerständige Gefühlsregung als gesellschaftliche Kraft sowie privaten Faktor zu betrachten. Manches klingt dabei nach Kalenderspruch. Man darf Gründe für das Interesse aber in Oberbayern suchen, wo die 1992 Geborene aufgewachsen ist und "Obrigkeitsgehorsam (...) jedwede Form von Individualismus unterbinden wollte". Glaubt man Ausführungen in Trotz, hatte sie wenig Lust, das Buch zu schreiben, und hat es schnell heruntergetippt. Vielleicht ist das bloß Koketterie, aber wo aus der Suchbewegung im Persönlichen ein Erklärmodus zum Allgemeinen wird, würde man auch als Leser das Buch tatsächlich lieber weglegen.

Klimawandelleugner und AfD-Wähler

2000 Jahre Christentum, die Aufklärung: Irgendwie lässt sich mit dem nötigen Willen alles auf positive oder negative Trotzreaktionen hin gedreht erzählen, und die Autorin tut genau das. Es geht auch um Widerstandsgeist, der sich in Impfgegnertum, Klimawandelleugnung und AfD-Wählern manifestiert. Das gut Gemeinte liest man all dem leider an.

Entweder war sie wirklich nicht inspiriert und hat Material zusammengekratzt, oder es kommt daher, dass von Rönne seit einigen Jahren einen Bildungsauftrag erfüllt. Von der gern konservativ provozierenden Welt ging es 2017 nämlich weiter zur Zeit, und von Rönne wurde ein gemäßigt unangepasstes Liebkind derer, die eine junge Stimme im Programm haben wollten. 2017 moderierte sie in der ARD eine Talkshow, in der sich Politiker vor der Bundestagswahl den Fragen Jugendlicher stellen mussten. Auf Arte bekam von Rönne die Sendung Streetphilosophy, im Oktober startet dort ihr neues Format Unhappy rund um die Frage, wie man glücklich lebt.

Diese Frage kann man auch Trotz stellen. Trotz habe sie oft gerettet, schreibt von Rönne. Im Juni hat sie sich scheiden lassen, dem Ex via Instagram ein "okayes life" gewünscht.

Mit Ronja von Rönne ist eine gescheite Autorin am Werk, sensibel für Befindlichkeiten und das Wahrnehmen von Nuancen, in Ton (ironisch bis lakonisch, mit Anglizismen) und Themen (Hipster, Polyamorie, Langeweile, Selbstbespiegelung) knallhart gegenwärtig, an Social Media geeicht, aber nicht davon glattpoliert. Als Literatur werden ihre Bücher aber nach wie vor durchwachsen aufgenommen, scheinen zu flapsig, roh, der Bonus der jungen Wilden wird irgendwann wegfallen. Versuche, nachdenklicher zu sein, zünden bisher mittel. Sie könne sich inzwischen, da alle Schauspieler Bücher schrieben, vorstellen, "denen auch die Jobs wegzunehmen", sagte sie gerade. Man kann aus der Lektüre mitnehmen: Trotz muss man als "Werkzeug" nutzen! (Michael Wurmitzer, 18.8.2023)