Eine Person rollt einen Joint mit Cannabis
Je früher man Cannabis konsumiert, desto stärker kann es sich auswirken. Das gilt aber auch für Alkohol und alle anderen Drogen. Denn das Gehirn ist erst mit etwa 25 Jahren voll ausgereift.
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Die deutsche Regierung plant eine Teillegalisierung des Cannabisanbaus und -konsums, das wurde vor zwei Tagen bekannt. Der Besitz von 25 Gramm Cannabis für erwachsene Privatpersonen soll straffrei sein, außerdem können Privatpersonen bis zu drei Cannabispflanzen selbst anbauen, so sieht es der Entwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor.

Seither gehen auch in Österreich die Wogen hoch. Die österreichische Polizei plant etwa verstärkte Kontrollen an der Grenze zum Nachbarland, sobald das Gesetz – spätestens mit Jahreswechsel – in Kraft tritt, berichtete der Fernsehsender Puls 4. Es sei mit grenzüberschreitendem Handel, aber auch mit suchtgiftbeeinträchtigten Lenkern zu rechnen. Deshalb "werden im Grenzbereich verstärkt kriminalpolizeiliche Maßnahmen sowie Verkehrskontrollen durchgeführt", ist aus dem Innenministerium zu hören.

Dass sie einer eventuellen Legalisierung in Österreich sicher nicht zustimmt, darauf hat sich die FPÖ bereits festgelegt. Der freiheitliche Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak zeigte sich angesichts der Cannabis-Legalisierung in Deutschland "entsetzt": "Dieser links-grüne Drogenlegalisierungswahn ist ein Anschlag auf unsere Jugend. Die Folgen sind Angststörungen und Depressionen. Die Gefährlichkeit von Cannabis wird verharmlost und unterschätzt", echauffiert er sich in einer Aussendung – und ignoriert dabei, dass für Jugendliche unter 18 der Konsum weiterhin verboten bleibt.

Und tatsächlich gibt es viele Menschen, die in jungen Jahren sehr intensiv gekifft haben – und die Folgen scheinbar auch heute noch spüren. Was ist also wirklich dran an den Vorwürfen und den Ängsten rund um das Rauschmittel? DER STANDARD hat bei Ana Weidenauer, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin an der Med-Uni Wien und Expertin für Cannabinoide, nachgefragt.

Körpereigenes Cannabinoidsystem

Ist die Rede von Cannabiskonsum, spricht man in erster Linie von dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC), dabei handelt es sich um eines von vielen Cannabinoiden, die in der Cannabispflanze vorkommen. Ein weiterer bekannter Wirkstoff ist Cannabidiol (CBD), dieser wirkt aber nicht berauschend und hat, ebenso wie THC, mehrere medizinische Einsatzgebiete. DER STANDARD hat hier darüber berichtet.

Prinzipiell hat der Körper ein eigenes Cannabinoidsystem mit entsprechenden Rezeptoren. Die sogenannten Endocannabinoide, die er selbst produziert, wirken indirekt auf andere Neurotransmitter wie zum Beispiel Dopamin und GABA und managen etwa die Stressantwort. An diesen Cannabinoidrezeptoren dockt das THC an. Bei längerfristigem Konsum kann es durchaus sein, dass das körpereigene Cannabinoidsystem herunterreguliert wird und etwa die Stressantwort dadurch aus dem Lot gerät, weiß Weidenauer. "Das kann sich vor allem dann, wenn die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, negativ auswirken."

Generell sind unerwünschte Auswirkungen umso stärker, je früher man beginnt, Cannabis zu konsumieren, und auch, je öfter man dazu greift. "Das kann zu kognitiven Störungen führen wie zum Beispiel Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen." Normalerweise verschwinden diese Probleme gleich oder spätestens einige Wochen nach Konsumende wieder. Doch in seltenen Fällen können diese auch dauerhaft bestehen bleiben.

Cannabis hat dabei ein deutlich geringeres Suchtpotenzial als Alkohol und vor allem Nikotin, es liegt zwischen neun und 17 Prozent, mit steigender Tendenz, wenn man täglich konsumiert. Auch hier gilt wiederum: Vor allem, wenn man bereits im jungen Teenageralter sehr oft zu Cannabis greift, erhöht sich das Suchtpotenzial. Weiters können depressive Symptome eine Folge des Konsums sein.

Gefahr der Schizophrenie minimal

Ein Thema, das immer wieder als Schreckgespenst gegen den Cannabiskonsum ins Rennen geführt wird, ist die Gefahr einer Psychose oder einer Schizophrenie. Und tatsächlich kann es zu einer Cannabispsychose kommen, bestätigt Weidenauer: "Man kann von Cannabis eine drogeninduzierte Psychose entwickeln und kurzfristig zum Beispiel paranoide Ideen oder Halluzinationen entwickeln. Aber das ist meistens nur vorübergehend."

Dass Cannabiskonsum ursächlich eine Schizophrenie auslösen kann, ist sehr unwahrscheinlich. Weidenauer erklärt: "Für Menschen, die eine Veranlagung zu Schizophrenie haben, ist Cannabis womöglich ein unspezifischer Trigger. Aber ohne Veranlagung geht die Forschung davon aus, dass es eher nicht oder nur bei extrem hoher Dosis möglich ist."

Wer eine Schizophrenie entwickelt, tut das üblicherweise im jungen Erwachsenenalter, zwischen 18 und 25 Jahren. "Das ist aber auch das Alter, in dem viele Substanzen ausprobieren und konsumieren." Betroffene verspüren außerdem oft bereits im Vorfeld Unruhe, haben Schlafstörungen und ähnliche Symptome. Deshalb greifen viele im Zuge der Selbstmedikation zu Cannabis. Für Weidenauer ist die Frage nach der Psychose "ein Henne-Ei-Problem".

Je später, desto besser

Klar ist aber, je später man mit dem Cannabiskonsum beginnt – wenn überhaupt –, umso besser. Denn je weniger gut das Gehirn ausgereift ist, desto mehr Einfluss kann der Missbrauch haben – wie übrigens bei allen Suchtsubstanzen, das gilt auch für Alkohol, Nikotin und sämtliche weiteren Drogen. Mit etwa 25 Jahren ist die Gehirnreifung abgeschlossen. Je früher davor man mit Substanzmissbrauch beginnt und je intensiver dieser ist, desto höher ist die Suchtgefahr.

Dazu kommt, dass mittlerweile der THC-Gehalt in Cannabis wesentlich stärker ist als noch vor einigen Jahren, Pflanzen werden gezielt auf hohen THC-Gehalt gezüchtet. Weidenauer berichtet, dass der THC-Gehalt in Cannabispflanzen im Verhältnis zu CBD in den vergangenen 30 Jahren bis zu 80 Mal so hoch wurde. Doch gerade deshalb wäre eine geordnete Abgabe wichtig. Nur so könne man den THC/CBD-Gehalt prüfen, bei illegalen Produkten sei das nicht der Fall.

Wie man Cannabis konsumiert, das beeinflusst übrigens die unmittelbare Auswirkung, aber nicht die Langzeitfolgen. Wenn man Cannabis raucht, dauert es nur wenige Minuten, bis sich die Wirkung entfaltet. Dafür ist es nicht wichtig, ob man mit Tabak oder ohne raucht – gegen den Tabak spricht nur, dass man damit auch noch das Suchtmittel Nikotin konsumieren würde. Auch eine Bong hat keine anderen Langzeitwirkungen, außer dass es unmittelbar eine sehr hohe Dosis ist.

Konsumiert man THC dagegen in Speisen, etwa als Kekse, flutet das THC viel langsamer an. Es kann drei bis vier Stunden dauern, bis sich die maximale Wirkung entwickelt, und es bleibt auch länger im Organismus.

Ob überhaupt und warum eine Sucht entsteht, lässt sich insgesamt nur schwer sagen, es gibt keine klaren Faktoren bis auf den frühen Beginn und den hohen THC Gehalt. Es kommt vor, dass Menschen nach einmaligen Konsum Nebenwirkungen entwickeln, andere konsumieren sehr viel und haben weder unmittelbare noch Langzeitfolgen.

Besser keine Selbstmedikation

Schließlich warnt Weidenauer noch vor Selbstmedikation. Gerade Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS) greifen sehr oft zu Cannabis, weil es sie entspannt, die motorische Unruhe und das Gedankenrasen lindert. Generell sind bei Menschen mit ADHS Suchtmittelerkrankungen stärker verbreitet. "Diesen Menschen fehlt Dopamin, deshalb greifen viele zu Substanzen, die die Dopaminausschüttung erhöhen", erklärt Weidenauer.

Insgesamt habe THC aber keine positive Auswirkung auf ADHS, es dämpfe nur die Aufmerksamkeit. "Dieser unmittelbaren Entspannung stehen die potenziellen Langzeitwirkungen gegenüber, und da sollte man sich schon fragen, ob man für die bereit ist."

Um THC ohne Bedenken, rein als Genussmittel, zu konsumieren, sollte man mindestens 25 Jahre alt sein und nur ganz selten zu THC greifen. Ähnliches gilt aber auch für Alkohol. Deshalb bleiben Anbau und Erwerb von Cannabis in Deutschland für Minderjährige auch weiterhin verboten, zwischen 18 und 21 Jahren sind die monatliche Maximalmenge und der THC-Gehalt darin begrenzt.

Und zumindest einen Tipp gibt es, wenn man das Kiffen am Tag danach spürt – oder wenn man sogar dauerhaft davon loskommen will: Sport. Denn dadurch werden körpereigene Cannabinoide nachgebildet, man spürt den Abfall womöglich weniger stark. (Pia Kruckenhauser, 19.8.2023)