Artwork zu Immortals of Aveum
Der neue Titel von Publisher Electronic Arts wirkt innovativ, wird es aber nicht leicht haben.
Electronic Arts

In der Welt der Videospiele hat FIFA als Name offiziell ausgedient. Egal, denn was in Kürze unter dem sperrigen Titel "EA Sports FC 24" für Konsolen und PC an den Start geht, wird für die meisten weiterhin das "neue FIFA" bleiben. Kein Wunder, schließlich hat sich der Knopferl-Kick von Spielepublisher Electronic Arts (EA) über die Jahrzehnte als Nummer 1 der Fußballspiele in die Köpfe der Spieler eingebrannt. Ob gerechtfertigt oder nicht, ist an anderer Stelle auszudiskutieren - die Zahlen sprechen eine klare Sprache: "FIFA 23" war 2022 das meistverkaufte Spiel in Europa. Vor "Call of Duty", vor "Elden Ring", vor "Pokémon Legends", vor "GTA V" und – kein Witz – vor "FIFA 22" auf Platz 5.

EA hat also immer noch ein riesiges Zugpferd im Stall, das aufgrund seiner Ingame-Verkäufe wohl auch als dicke Cashcow durchgeht. Sieht man von "Apex Legends" und in bestimmten Regionen "Madden NFL" ab, haben bewährte Marken im restlichen Portfolio des Publishers aber schon bessere Zeiten erlebt. Das letzte "Battlefield" legte einen veritablen Bauchfleck hin und der jüngste Auftritt von "Need for Speed" war mit "Unbound" dank Entwicklerstudio Criterion zwar spielerisch hochwertig, entsprach hinsichtlich Spielerzahlen aber eher nicht den Erwartungen.

Das heißt nicht, dass EA in der Zwischenzeit nichts angeboten hätte: Mit einem Remake des Horror-Klassikers "Dead Space" und Fortsetzungen zu "F1" und "Star Wars Jedi" lehnte man sich heuer allerdings nicht weit aus dem Fenster, wenn es darum geht, etwas wirklich Neues auf die Beine zu stellen. Der große Publisher tat, woran man sich als Spieler über die Jahre eben gewöhnt hat. Frischere Töne schlug am ehesten noch "Wild Hearts" an: Die Zusammenarbeit mit Koei Tecmo entpuppte sich allerdings gar zu schnell als Möchtegern-Rivale zu "Monster Hunter", der zum Release im Februar technisch strauchelte und schon kurz danach kaum noch Schlagzeilen machte.

Egoshooter mit Zauberei

Umso überraschender war es, als ausgerechnet der innovationsarme Publisher EA im April dieses Jahres wie aus dem Nichts einen sehr unkonventionellen Egoshooter ankündigte: "Immortals of Aveum" will bewusst mit traditionellen Spielmechaniken des Genres brechen. Zugespitzt formuliert übernimmt man als Spieler die Rolle eines mächtigen Zauberers, der sich den Weg in bester Egoshooter-Manier durch eine Fantasywelt bahnt.

Zu Beginn stehen dem Spieler drei Grundschulen der Magie zur Verfügung, wobei jede Zauberschule Funktionen konventioneller Schusswaffen nachahmt. Während die meisten der Kollegen nur eine Magie beherrschen, kann Protagonist Jak gleich drei magische Elemente kontrollieren. Die Verwendung verschiedenfarbiger Magie hat nicht nur eine dekorative Funktion, die die Grafikchips von Konsole und PC zum Glühen bringen soll. Spätere Gegner erfordern spezifische Waffen, um besiegt zu werden, was den Spieler dazu zwingt, verschiedene Angriffsstrategien anzuwenden.

Ist ein Magiekristall erschöpft, muss der Spieler ihn "nachladen", ähnlich wie bei einer echten Waffe. Interessanterweise gibt es keine Zielfunktion, um sich auf den Feind zu konzentrieren. Stattdessen können Spieler die Gegner näher zu sich ziehen. Diese und ähnliche Kampftechniken, kombiniert mit akrobatischen Einlagen und Erkundungen der Spielwelt im Stil von Metroid Prime, stellen rasch ein vielseitiges Gameplay in Aussicht.

Technisch läuft das Spiel von Entwickler Ascendant Studios auf der Unreal Engine 5, was mit "bunter Magie" für beeindruckende visuelle Effekte und flüssiges Gameplay sorgt. Kurzum: "Immortals of Aveum" macht trotz kleinerer Schwächen auch nach den ersten Spielstunden noch viel Spaß und wirkt so, als dürfte sich bis zum Schluss der Kampagne kaum etwas daran ändern.

Crowdsurfing ohne Publikum

Klingt eigentlich ganz fein, möchte man meinen – was stimmt dann nicht? Tatsächlich ist es so, dass "Immortals of Aveum" unter einem schlechten Stern steht, obwohl das Spiel selbst eigentlich Vieles richtig macht. Auch wenn es oft heißt, dass Spielerinnen und Spieler neue Erlebnisse fordern, ist die Realität für Publisher eine undankbare Gratwanderung zwischen alten Stärken und behutsamer Neuausrichtung – egal, ob es sich um Fortsetzungen oder komplett neue Titel handelt.

Ein Egoshooter ohne klassische Schusswaffen in einer Fantasywelt? Könnte für viele schon zu steil sein und zwischen zwei Zielgruppen fallen, wo sich kaum jemand wiederfindet. Fans etablierter Spielereihen können sehr spezifische Vorstellungen und Erwartungen an Fortsetzungen oder neue Spiele derselben Publisher entwickeln. Und wer Innovation sucht, hat in den letzten Jahren hingegen gelernt, eher im Indie-Bereich fündig zu werden – weniger Risiko geht man ohnehin ein, weil man in der Regel auch keinen Vollpreis bezahlt. Mit einem völlig neuen Konzept kann es also passieren, dass Spieler verunsichert werden oder gar enttäuscht sind, weil das Resultat nicht ihren Erwartungen entspricht.

Geboren in der Todeszone

Hinzu kommt eine enorm hohe Marktsättigung. Abgesehen vom heurigen Ausnahmejahr mit überdurchschnittlich vielen Spieleperlen, die Monat für Monat neu erschienen sind, werden jährlich tausende Spiele veröffentlicht. Selbst ein noch so innovatives Konzept kann in dieser Flut untergehen - insbesondere dann, wenn der Veröffentlichungszeitpunkt unglücklich gewählt wird.

Selbst wenn sich also eine Zielgruppe findet, die für Neues aufgeschlossen ist, und Genre-Mix sowie Setting von "Immortals of Aveum" etwas abgewinnen kann, ist die Veröffentlichung am 22. August denkbar ungünstig. Zwischen den Rollenspielen "Baldurs Gate 3" und "Starfield" angesiedelt ist höchstwahrscheinlich kein Bedarf für einen AAA-Titel - schon gar nicht, wenn es sich um ein reines Einzelspieler-Abenteuer zum Vollpreis handelt, das nicht länger als 25 Stunden dauern soll. Die Blockbuster davor und danach sorgen dafür, dass es kaum wahrgenommen wird.

Schnell vergessen

Apropos: Es mag vielleicht nebensächlich klingen, aber auch der Titel legt keinen kometenhaften Aufstieg nahe. Immortals of…wie war das nochmal? Ironischerweise erinnert der Titel an ein Spiel unter der Schirmherrschaft von EA, das ein mögliches Schicksal bedrohlich ähnlich vorzeichnete. Wer sich an "Kingdoms of Amalur: Reckoning" nicht erinnern sollte: Das gelungene Action-Rollenspiel eines damaligen Newcomers aus dem Jahr 2012 wurde von Kritikern weitgehend gefeiert, verschwand aber ziemlich schnell wieder in der Versenkung. Schließlich sicherte sich Publisher THQ Nordic die Rechte an der Marke und ließ vor drei Jahren ein liebloses Remake unter dem Titel "Kingdoms of Amalur: Re-Reckoning" auf seinem Zombie-Kirtag für scheintote Spielemarken aus dem Käfig. Kein schönes Ende.

Tendenziell zeigt sich bei Spielen wie "Immortals of Aveum", dass große Entwicklerhäuser trotz gelegentlicher Innovationsbereitschaft in einem System gefangen zu sein scheinen, das sie fast schon dazu zwingt, weniger Risiken einzugehen. Ohne echte Anerkennung und Belohnung für frische Ideen (und wohl auch mit dem Druck von Aktionären im Hintergrund) ist die Wahrscheinlichkeit wiederum hoch, lieber doch nur auf Nummer sicher zu gehen. Mit der Konsequenz, dass sich Spiele zunehmend ähnlicher werden und überraschende Neuerungen ausbleiben. Das nächste "neue FIFA" kommt bestimmt, "Immortals of Aveum 2" ziemlich sicher nicht. (Benjamin Brandtner, 20.8.2023)