Gastbeitrag: Stephan A. Jansen

Businessfrau hält ein Meeting in einem modernen Büro
Laut einer Analyse blieben Männer 2010 durchschnittlich sechs Jahre und elf Monate im Vorstand, Frauen hingegen nur drei Jahre und zwei Monate – also nicht einmal halb so lang.
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Die Ent-Führung der deutschen und österreichischen Unternehmen ist im vollen Gange. Warum bleiben Manager und vor allem Managerinnen so viel kürzer in ihren Positionen? Die Düsseldorfer Betriebswirtschaftsprofessorin Janine Maniora hat für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einer Analyse die Verweildauer von Männern und Frauen in den Vorständen großer deutscher Unternehmen betrachtet. Konkret: alle Unternehmen der Börsenindizes Dax und M-Dax seit dem Jahr 2010 mit insgesamt 1142 Vorständen, davon 137 Frauen. Der durchschnittliche Mann blieb sechs Jahre und elf Monate im Vorstand, die durchschnittliche Frau nur drei Jahre und zwei Monate – also nicht einmal halb so lang.

Zum Vergleich: 2010 lag die durchschnittliche Verweildauer nach Angaben der Wirtschaftsprüfung PwC noch bei 8,3 Jahren – und sank dann kontinuierlich. In Deutschland wie Österreich – die beide im internationalen Vergleich eher für ein auf Kontinuität setzendes Managementsystem stehen – sitzt das Topmanagement insbesondere in Branchen mit hohem Innovationsbedarf eher auf dem Schleudersitz als auf dem Bürosessel. Ein Drittel musste bereits im Jahr 2010 vor Vertragsende den Stuhl räumen. Tendenz seitdem: schleudernder!

Und aktuell? Die Zahlen geben keinen Hinweis auf einen Trendwechsel, vielmehr bleibt die gleiche Feststellung: Alle gehen früher, Frauen aber deutlich schneller als Männer. Ausnahmen bleiben Frauen wie Ariane Reinhart bei Continental oder Claudia Nemat bei der Deutschen Telekom, die seit zehn Jahren dabei sind.

Die Frauenanteile steigen regulatorisch bedingt. So sind in Deutschland im Jahr 2022 im Dax 40 erstmals mehr Frauen als Männer in den Vorstand berufen worden, und ihr Anteil liegt nun knapp 23 Prozent. In den im MDax notierten mittelgroßen Aktiengesellschaften stieg der Frauenanteil in den Vorständen von 11,7 auf aktuell 13,7 Prozent. Dabei wird allerdings noch die Hälfte aller MDax-Unternehmen allein von Männern geführt. In Österreich ist der Frauenanteil bei den 200 umsatzstärksten Unternehmen von 5,6 Prozent im Jahr 2013 auf aktuell 10,5 Prozent gestiegen. Bei den Aufsichtsräten liegt Deutschland mit einem Frauenanteil von 37,3 Prozent vor Österreich mit 29,8.

Die Forschungslage der früheren Frauenfluktuation ist noch dünn – und das Eis der Hypothesen auch. Ein erster vorsichtiger Überblick:

1. Change the Management statt Change-Management?

Der Druck auf das Management steigt in volatilen Marktumfeldern und technologischer Disruption stärker. Die Komplexität von Entscheidungen mit Blick auch auf Compliance und Reportings nimmt deutlich zu, damit das Risiko von Fehlentscheidungen und so in Folge das Absicherungsverhalten über externe Beratung und Gutachten, was wiederum zu Entscheidungsverlangsamung führen kann. Falsche oder zu späte Entscheidungen führen zu vorzeitigen Beendigungen. Es zeigt sich aber auch, dass eine höhere Fluktuation von Führungskräften die Organisation eher langsamer macht – und dies teurer wird. Ein Dilemma auch für Aufsichtsorgane.

2. Überzuversicht siegt über Selbstzweifel?

Studien zu unternehmensinternen Auswahlverfahren zum Beispiel von den US-Amerikanern Anand M. Goel und Anjan V. Thakor zeigten, dass sich Manager wie Managerinnen mit Überzuversicht locker gegen die rational handelnde Konkurrenz durchsetzen können. Und Chefs und Aufsichtsräte besetzten – meist zur eigenen Entlastung – eben lieber Menschen ohne Selbstzweifel, also die "Kein Problem"- und "Kann ich auch"-Typen. Vereinfacht: Männer seien überzuversichtlicher und damit riskanter in ihrem Management, was die sie einstellenden Organe, zumeist eben auch noch Männer, lieber haben als selbstbewusste, also auch selbstkritische Frauen.

3. Männerbünde gegen Frauen?

Die Geschichte, dass Frauen keine Netzwerke bilden würden, war das frühe Argument für die geringere Repräsentanz und Verweildauer. Das aber verändert sich: Die Kommunikation in Vorständen ändert sich, wenn dort die erste oder zweite Frau auftaucht, Frauennetzwerke haben sich gebildet. Frauen ziehen Frauen an. Aber es fehlt oft noch an systematischer Führungsentwicklung von Mixed Teams.

4. Turbokarrieren als Sternschnuppen?

Frauen sind durch Quoten oftmals früher in Positionen gekommen – und damit mit weniger Gremienerfahrung, wie es auch die Chefin des Deutschen Corporate Governance Kodex und Multiaufsichtsrätin Clara Streit anführt. Männer sprechen hier mitunter von "Sternschnuppen", also den schnellen leuchtenden wie verglühenden Frauenkarrieren. Auch Personalberater berichten von dem Phänomen der anspruchsvollen internen Übersprungskarriere.

5. Outsider schneller draußen?

Aufgrund fehlender systematischer interner Führungskräfteentwicklung kommen mehr Frauen als Männer von außen. Abgeworbene Frauen bleiben zwar länger als von außen abgeworbene Männer, wie die Allbright-Stiftung ermittelte. Aber Outsider bleiben kürzer als intern aufgestiegene Vorstände.

6. Gelegenheit macht Wege?

Durch die regulatorischen Vorgaben sind Frauen so begehrt, dass sie deutlich öfter wechseln, weil sie abgeworben werden und neue Wege gehen. Damit ist eine kürzere Verweildauer eben Ent-Führung bei dem einen Unternehmen durch Ver-Führung von einem anderen – und das ist kein Scheiterungsgrund.

7. Verwaltung statt Kerngeschäft?

Frauen werden oft in die Funktionen berufen, die es in unterschiedlichen Branchen vergleichbar gibt (Personal, Finanzen, Digitalisierung). Diese Positionen sind schneller ersetzbar – und Männer scheitern hier wohl genau so häufig wie Frauen.

8. Der Vorstandsmarkt als Frauenmarkt?

Der Markt hat sich gedreht: Frauen können wählen, müssen nicht mehr notgedrungen mehr ertragen und können wechseln – und machen dies offenkundig häufiger. Berufungen wie Niederlagen von Frauen fallen aber noch immer mehr auf. Anforderungen, Doppelfunktionen mit Aufsichtsratspositionen und Vorbildfunktionen sind aktuell anspruchsvoller als bei männlichen Kollegen. Und daher ist die Verweildauer auch selbstbestimmt und selbstbewusst mitunter kürzer.

Zwei klare Tendenzen

Verweildauern werden sich zwischen Männer und Frauen langsam angleichen, so langsam, wie eben auch die Anteile im Management selbst. Die Tendenz ist klar paritätisch: Im ersten Halbjahr 2023 sind fast genau so viele Frauen berufen worden wie Männer, so die Allbright-Stiftung. Wichtiger scheinen dabei die Aufsichtsräte zu werden. Daher gibt es zwei klare Tendenzen:

1. Wenn mehr Frauen in den Vorständen sind, werden sie auch länger bleiben.

2. Wenn mehr Frauen in Aufsichtsräten sind, werden die Unternehmen profitabler, wie eine aktuelle Studie der Universität Tübingen aufzeigte. (Stephan A. Jansen, 22.8.2023)