Eisen für die Ewigkeit versprach einst ein nahe dem Leopoldsteinersee gefangener Wassermann den Bergbewohnern, erzählt eine Sage. Noch lagern mehr als 100 Millionen Tonnen verkaufsfähiges Erz im Gestein.
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Florian Kainrath (Anm.: nicht mit der Autorin verwandt) hat keine Lust, in den Chor der Klagen über den Niedergang seiner Heimatstadt einzustimmen. In der Zeit, in der andere jammerten, arbeite er und sei damit nie gescheitert, sagt der Eisenerzer.

Kainrath ist gelernter Tischler, Biathlet, Bergretter und Landwirt. Den kleinen Hof der Eltern erweiterte er auf mehr als 50 Rinder in Muttertierhaltung. Ein Gutteil ihres Fleisches vermarktet er direkt. Vor einem Jahr kaufte er in der Eisenerzer Ramsau eine Alm, renovierte die Hütte und verköstigt seit kurzem Wanderer, die es auf die umliegenden Gipfel zieht.

An Lebensqualität fehle es in hinter dem Präbichl am Fuße des Erzberges in der Steiermark nicht, ist er überzeugt. "Man muss nur den Mut haben, selbst was auf die Beine zu stellen." Er könne dabei wenig falsch machen, ergänzt er schmunzelnd. Außer dem Erz sei rundum ja bisher nicht viel da.

1890 begann der stufenförmige Abbau des Erzberges. Heute sind es exakt 39 Stufen, die nach Heiligen und verdienten Bergleuten benannt sind.
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Über Generationen bestimmte der Bergbau das Leben der Eisenerzer. Er gab ihnen sichere Arbeit und Einkommen, sorgte für Ausbildung, Unterkunft und soziale Netze. In seiner Hochblüte blähte er die Stadt auf. Die Krisen der Stahlindustrie und der Einsatz moderner Maschinen ließen die Zahl der Einwohner jedoch wieder sinken. Zurück blieben verwaiste Arbeitersiedlungen, leer stehende Gasthöfe und dem Zerfall preisgegebene Prachtbauten aus der Zeit des 13. bis 16. Jahrhunderts.

Junge Industriebetriebe, die Ersatzarbeitsplätze bringen sollten, wanderten bald ins Ausland ab. Touristen, die der herbe Gebirgscharme lockt, gab es stets reichlich. Da Infrastruktur fehlt, blieb die Wertschöpfung aus ihrem Zustrom aber gering.

Steyr und Leoben, die der Eisenhandel eng mit dem Talkessel verflocht, lebten auf. In Eisenerz fasste in seiner von Höhen und Tiefen geprägten Geschichte Neues nur schwer Fuß.

Die steirische Pyramide zieht jährlich rund 60.000 Besucher an, die von Haulys aus Bergleuten bei der Arbeit zusehen.
Harald Tauderer

Wie Kainrath vermisst auch Markus Riedler Unternehmergeist im Schatten des Erzberges. Dass sich jedoch auch von kleinen Orten aus Innovatives vorantreiben und Abwanderung bremsen lässt, beweist er seit 20 Jahren.

Riedler gründete Napalm Records und baute seinen Betrieb zum weltgrößten unabhängigen Musiklabel für Metal und Rock aus, das Bands wie Smashing Pumpkins, Alter Bridge und Powerwolf unter Vertrag hat.

2020 eröffnete er in seiner Heimatgemeinde ein neues Logistikzentrum, von dem er jährlich 60.000 Artikel, von Vinyl über Tickets bis T-Shirts, in alle Welt versendet. Napalm unterhält Büros von Berlin bis New York – die Zentrale mit 40 von 100 Beschäftigten blieb in Eisenerz.

Eisen und harte Musik

Das Musikgeschäft sei international, reisen müsse er in jedem Fall, sagt Riedler. Klar gebe eine Adresse in Wien was her. Das Risiko, damit gute Leute zu verlieren, die tief in der Region verwurzelt seien, stehe aber nicht dafür. Der Sitz in der "Irontown" sorge in der Branche für Aufsehen. "Eisen und harte Musik passen gut zusammen." Auch die Internetverbindung sei hinterm Präbichl besser als in Berlin.

Wer Standbeine abseits des Erzes schaffen wolle, müsse seine gewohnte Vorstellung von Arbeit sprengen, gibt der Rock-Produzent zu bedenken. Mit Ideen und Leidenschaft gelinge dies auch weit fernab großer Städte. An guten Ausbildungsmöglichkeiten in Eisenerz fehle es sicherlich nicht.

Um ihre Schulen auszulasten, wirbt die Gemeinde auch in anderen Tälern um Jugendliche. Diese langfristig in der Region zu halten ist freilich schwierig: Kleinere Betriebe halten mit hohen Löhnen wie fixen Arbeitszeiten potenter obersteirischer Konzerne nicht mit – und ziehen im Wettlauf um Nachwuchs vielfach den Kürzeren.

Schwerlastkraftwagen auf dem Erzberg werden seit dem Vorjahr über Oberleitungen mit Strom anstelle von Diesel betrieben.
Harald Tauderer

Kupfer geschmolzen wurde in Eisenerz bereits in der Bronzezeit. Auch die Römer gruben hier nach Rohstoffen. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Erzberg 1171. Anfang des 16. Jahrhunderts führten die Wege seines Eisens bis nach Amerika und Russland. Bis die Reformation und der 30-jährige Krieg seine Radmeister in eine tiefe Krise stürzten.

1625 rettete die Gründung einer Union die Werke. 1931 stand der Bergbau erneut vor dem Ruin. Diesmal brachten der Zweiten Weltkrieg und der Hunger der Rüstungsindustrie nach Eisen die Wende. Tausende Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge schufteten am Berg.

Das schwärzeste Kapitel der jüngeren Geschichte schrieb Eisenerz im April 1945 knapp vor Kriegsende. Tausende ungarische Juden wurden über den Präbichl nach Mauthausen getrieben. Der Eisenerzer Volkssturm metzelte mehr als 200 Frauen und Männer nieder.

"Vor der Hacke ist es duster"

Eisen für die Ewigkeit versprach einst ein nahe dem Leopoldsteinersee gefangener Wassermann den Bergbewohnern, erzählt eine Sage. Wie lange reicht das Erz wirklich? Vielleicht noch 35 Jahre, vielleicht länger, vielleicht aber auch kürzer, sinniert Josef Pappenreiter, Chef der VA Erzberg. "Ein altes Sprichwort besagt: Vor der Hacke ist es duster."

Je besser die Aufbereitung sei, desto langsamer erschöpften sich die Vorräte. Noch lagern mehr als 100 Millionen Tonnen verkaufsfähiges Erz im Gestein. Im Vorjahr wurden 3,3 Millionen Tonnen gesprengt und in Hochöfen der Voest, die von kurzen Transportwegen per Bahn profitiert, in Donawitz und Linz verhüttet.

Für Motocrossfahrer ist der Erzberg einmal im Jahr fünf Tage lang Bühne für halsbrecherische Rennen.
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Vorbei sind die Zeiten, als der Staat als früherer Eigentümer den Bergbau stilllegen wollte. Die neue Herausforderung, der sich Bergleute stellen müssen, heißt Dekarbonisierung, der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien. Lösungen gegen den Klimawandel finden sich nur über neue Technologien, ist Pappenreiter überzeugt, "nicht indem man sich an der Straße festklebt".

Bis zu 4.000 Menschen bot der Berg in der Vergangenheit Arbeit. Bis 1870 wurde das Erz in Sackzügen händisch ins Tal gezogen, nachdem auf schwankenden Leitern zu dritt ins Gestein gebohrt worden war. Der Männermangel im Ersten Weltkrieg erforderte es, im Abbau auch Frauen einzusetzen. Als "Klauberinnen" und "Brecherweiber" sortierten diese bis 1967 das Erz händisch aus wertlosem tauben Gestein.

Trotz Heiliger Barbara wenige Frauen

Leistungsstarke Bagger und Sortieranlagen machen die schwere körperliche Arbeit längst überflüssig. Gut 240 Beschäftigte zählt die VA Erzberg heute, um die Hälfte mehr als vor 20 Jahren.

Pappenreiter ist laufend auf der Suche nach zusätzlichen Leuten und bildet verstärkt Lehrlinge aus. "Früher haben sie sich bei uns beworben, nun bewerben wir uns bei ihnen. Bist am Berg, bleibst am Berg – so etwas spielt es nicht mehr."

Auch Frauen will der Erzberg vermehrt als Arbeitskräfte gewinnen. Länder wie Schweden oder die USA seien Österreich mit ihrem hohen Anteil an weiblichen Beschäftigten im Bergbau um Jahrzehnte voraus. Zu lange hielt sich in Österreich trotz der Heiligen Barbara als Schutzpatronin der Aberglaube, dass Frauen unter Tage Unglück brächten, bedauert Pappenreiter.

Der Schichtturm über der Altstadt als Wahrzeichen von Eisenerz: Seine Glocke ruft Knappen seit 1581 zur Arbeit.
Verena Kainrath

Gearbeitet wird am Berg in vier Schichten rund um die Uhr. Still steht der Betrieb nur zu Weihnachten und während des Erzbergrodeos, bei dem Motorsportler in einem der härtesten Rennen der Welt über die Trassen brettern und den Berg in eine Staubwolke hüllen.

Was Besucher aus aller Welt erstaunt, sei, dass Rohstoffabbau am Rande einer Stadt möglich sei, nicht im Outback von Australien oder im Regenwald des Amazonas, sagt Pappenreiter.

Innovationen gegen den Klimawandel

Wer aus seinem Bürofenster bergwärts sieht, blickt auf riesige Schwerlastkraftwagen, die über Oberleitungen mit Strom anstelle von Diesel betrieben werden. Ein Drittel der Energie erzeugt die VA Erzberg über Fotovoltaik und Kleinwasserkraft selbst. Das Projekt stieß international auf großes Interesse, wie Pappenreiter betont. Nachsatz mit Augenzwinkern: "Ein bisserl innovativ sind wir ja auch im Bergbau."

Sieht man talwärts, bleibt der Blick an verlassenen Werkswohnungen hängen. Der Versuch der Gemeinde, Infrastruktur in einem finanziellen Kraftakt rückzubauen und auf die in den vergangenen 70 Jahren von 13.000 auf 3.500 gesunkene Zahl ihrer Einwohner anzupassen, blieb auf halber Strecke stecken.

Eisenerz
Der Leopoldsteinersee: eiskalte Erfrischung nach schweißtreibenden Bergtouren.
Verena Kainrath

Für bunte Farbtupfer sorgen neue Feriensiedlungen im Münichtal. Wo einst Arbeiter lebten, nächtigen heute Urlauber aus aller Welt. Vorausgesetzt, sie sind Selbstversorger.

Menschen, für die die alten Gebäude seit Jahrzehnten Heimat war, dazu zu bewegen, in den Ortskern zu übersiedeln, war nicht einfach, räumt Bürgermeister Thomas Rauninger offen ein. "So etwas braucht viel Begleitung." Einige wenige Eisenerzer verblieben in der Siedlung und wohnten nunmehr harmonisch neben den Urlaubern.

Es ist sanfter Tourismus, in den Rauninger, im Brotberuf Lehrer, große Hoffnungen setzt. Half dieser seiner Region doch auch unbeschadeter als andere Orte durch die Pandemie zu tauchen. 40.000 Nächtigungen zähle Eisenerz im Jahr, und es gehe stetig bergauf.

Doch auch wenn es auf dem Papier so einfach aussehe: "Der Wandel von der Schwerindustrie zum Tourismus ist ein Prozess, der eine Generation braucht, wenn nicht länger. Eine Gemeinde kann ihrer Bevölkerung Selbstständigkeit nicht vorschreiben." (Verena Kainrath, 26.8.2023)