Es geht in die heiße Phase. Und bis Ende September soll die Sache besiegelt sein, ist aus dem Heeresressort zu hören. "Bis zum Sommer" solle zumindest die grundsätzliche Typenentscheidung fallen, hatte man in den vergangenen Monaten immer wieder angekündigt. "Und der Sommer geht ja noch bis 21. September", sagt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) auf STANDARD-Nachfrage.

Eine C-130J-30
Lockheed Martins Super Hercules als Ersatz für die Hercules – oder doch der Jet des brasilianischen Konkurrenten Embraer? Bis maximal Ende September will sich das Heeresressort für diese Entscheidung noch Zeit lassen.
Locheed Martin

Die anstehende Typenentscheidung ist, diplomatisch formuliert, keine ganz unwesentliche. Denn es geht um die Nachfolge der Hercules C-130 aus 1967. Die drei in die Jahre gekommenen großen Transporter sollen durch vier bis fünf neue Flugzeuge ersetzt werden – drei sollen auch bei Wartungsarbeiten stets einsatzbereit sein, lautet das Anforderungsprofil des Ministeriums.

Dreistelliger Millionenbetrag

Der Rüstungsdeal wird mit einem dreistelligen Millionenbetrag eine der teuersten Investitionen des aktuellen Bundesheer-Aufbauplans werden, in dessen Rahmen das Ressort bis 2032 insgesamt mehr als 16 Milliarden Euro ausgeben kann. Eine Entscheidung also, die schon allein wegen ihres Volumens gut überlegt sein sollte.

Darüber hinaus ist der Entscheid auch eine Weichenstellung mit langfristigen Auswirkungen auf das Bundesheer über Jahrzehnte. Denn als militärische Transportflugzeuge in der geforderten Größe kommen de facto nur zwei Typen infrage: eine modernisierte Version der Hercules von US-Hersteller Lockheed Martin – die C-130J-30 Super Hercules; oder die neu entwickelte KC-390 des brasilianischen Flugzeugbauers Embraer.

Auswirkungen über Jahrzehnte

Die Auswahl eines der beiden Modelle bedeutet, wie immer in solchen Fällen, eine Entscheidung für ein System. Von der Wartung, Instandhaltung und Nachrüstung, bis hin zu Kooperationen mit anderen Ländern mit den gleichen Flugzeugen: Auf all das hat die Vertragsunterzeichnung Auswirkungen – und das wohl über mehrere Jahrzehnte.

Die Vor- und Nachteile der beiden Varianten für die heimischen Streitkräfte liegen recht offen auf dem Tisch. Die Hercules ist ein äußerst bewährtes Flugzeug: Mehr als 2.600 Stück der gesamten Baureihe liefen bislang vom Stapel, für den Einsatz in 69 Ländern – das mit Abstand meistgebaute militärische Transportflugzeug der Welt. Und: Die heimischen Luftstreitkräfte kennen den Flieger grundsätzlich seit Jahrzehnten. Die Vorteile davon können von bestehender Infrastruktur bis zum bereits geübten Umgang der Piloten mit dem Transporter reichen. Auch die Umschulung auf das neue Hercules-Modell ginge wohl schneller als bei der bislang unbekannten KC-390 von Embraer.

Frage der Einsatzgebiete

Der brasilianische Jet hat indessen zwei andere Trümpfe: Erstens ist er im Vergleich zur technisch immer wieder upgedateten Hercules, deren Grundkonstruktion aus den 1950ern stammt, ein völlig neu entwickeltes Flugzeug – der Erstflug fand erst 2015 statt. Und: Der Laderaum, vor allem aber die Ladeluke der KC-390 ist etwas größer als beim US-Konkurrenten. In die Embraer ließe sich daher auch ein vollständiger Pandur-Panzer heben. Ein Szenario, das allerdings nicht gerade zum täglichen Geschäft des Bundesheers gehört – die Hauptaufgabe der großen Transporter ist die Versorgung österreichischer Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Ein- bis zweimal pro Woche fliegt aktuell eine Hercules in den Kosovo oder nach Bosnien-Herzegowina und beliefert die heimische Truppe mit Gütern.

Der wohl größte Nachteil der KC-390: Es gibt noch keine Langzeiterfahrungen mit dem Jet. Erst fünf Stück des brasilianischen Transporters sind im Einsatz. Rund zwei Dutzend weitere sind geordert – aber noch nicht ausgeliefert. Auch Kooperationen mit anderen Ländern sind dadurch nur eingeschränkt möglich.

"Inmitten von Sandstürmen gestartet"

Weil es beim Deal mit dem Bundesheer um eine beträchtliche Summe geht, werfen sich die beiden Flugzeugbauer für den Auftrag in die Bresche. Ende Mai besuchte DER STANDARD als einziges österreichisches Medium den "Media Day" vom Embraer in Alverca bei Lissabon, wo man auch die Vorzüge seines militärischen Transportjets nach allen Regeln der Marketingkunst anpries.

Aber auch Lockheed Martin schickte vergangene Woche eine kleine Delegation in Sachen Hercules nach Wien. Und beim US-Hersteller ist man vom eigenen Produkt ebenso wenig überraschend recht überzeugt. "Ich war in etlichen Auslandseinsätzen für die US Air Force", sagt Richard Johnston dem STANDARD. In Afghanistan, im Irak, nach dem großen Erdbeben in Japan 2011 und nach dem Tsunami in Südostasien 2004 sei er zum Beispiel gewesen. "Ich habe aus dem Cockpit Tornados und Hurricanes erlebt und bin inmitten von Sandstürmen gestartet", sagt er. Das habe er mit den Turboprop-Triebwerken einer Hercules getan. "Aber das würde ich mit einem Flugzeug mit Jettriebwerk niemals tun."

Geschwindigkeit versus Flexibilität

Johnston ist ein erfahrener Pilot, der für die US-Luftwaffe über Jahrzehnte Hercules-Maschinen flog. Heute arbeitet er als Director of International Business Development für Lockheed Martin. Und der Hintergrund seiner Aussage betrifft einen der wesentlichsten Konstruktionsunterschiede zwischen einer Hercules und dem neuen Konkurrenten von Embraer: Die brasilianischen Flieger verfügen über moderne Jettriebwerke. Der Lockheed-Klassiker wird dagegen von vier Propellerturbinen angetrieben.

Was dem Brasilianer einen Geschwindigkeitsvorteil bringt, hat aber eben auch eine Kehrseite: Jetturbinen sind empfindlicher gegen Verschmutzungen, was bei bestimmten Bedingungen wie Stürmen oder Starts von unwegsamen, sandigen Pisten ein Nachteil sein kann. Wie oft der für heimische Piloten in der Praxis relevant wäre, ist eine andere Frage. Schließlich bricht das Bundesheer vor allem zu regulären Versorgungsflügen auf und nicht etwa zu Kriegseinsätzen im Nahen Osten wie die US-Luftwaffe. Bei Lockheed hat man den von der südamerikanischen Konkurrenz abweichenden Antrieb wohl trotzdem als entscheidendes Unterscheidungsmerkmal auserkoren. Für Verkaufsgespräche mit den Bundesheer-Verantwortlichen wie auch für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.

Abweichende Auffassungen

Dass aus Sicht der Amerikaner auch sonst die Vorteile ihres Flugzeugs eindeutig überwiegen, ist nicht besonders überraschend, allein schon wegen der Linie der Verkaufsstrategie aber doch interessant zu hören. Neben dem Antrieb spreche vor allem die langjährige Erfahrung für die Hercules. Mehr als 2,5 Millionen Flugstunden und über 525 gebaute Exemplare der seit 1999 ausgelieferten Super Hercules würden ihre Verlässlichkeit zeigen.

Bei der gesamten Hercules-Baureihe über die Jahrzehnte seien es gar 24 Millionen Flugstunden. Oder wie man es in einer Presseunterlage formuliert: "Die beste Art, eine Hercules zu ersetzen, ist mit einer Super Hercules." Dabei hatte die Marketingabteilung von Embraer das in Lissabon doch noch ganz anders gesehen. Über die Auffassungsunterschiede können die beiden Hersteller aber unbesorgt sein. Denn treffen wird man die Typenentscheidung ohnehin im Verteidigungsressort. (Martin Tschiderer, 27.8.2023)