Im Westen wurde das von Jewgeni Prigoschin gegründete Wagner-Bataillon durch brutalste Kampfeinsätze in der Ukraine bekannt.
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Nun also gilt Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin offiziell als tot – auch wenn eine Identifizierung seiner Leiche durch DNA-Abgleich noch aussteht. Russlands Präsident Wladimir Putin kondolierte am Donnerstagabend und sprach bereits in der Vergangenheitsform von einem "talentierten Geschäftsmann".

Gerichtet wohl auch an Prigoschins Söldner, schlug der Kreml-Chef vordergründig versöhnliche Töne an, auch wenn eine unterschwellige Warnung mitschwang. Prigoschin sei ein Mensch mit einem schwierigen Schicksal gewesen, "und er hat ernsthafte Fehler gemacht", sagte Putin. Von "Verrat", wie noch während der Rebellion der Wagner-Kämpfer im Juni, war nicht mehr die Rede. Denn er will die Wagner-Truppe nicht verlieren, er braucht Prigoschins kampferprobte Söldner. Als Schattenarmee, die möglicherweise in der Ukraine auftritt, vor allem aber für Sonderaufträge in Afrika. Noch am Freitag unterzeichnete Putin ein Dekret, wonach alle Söldner in Russland dem Staat Treue und Loyalität schwören müssen.

Ukrainer zu Prigoschin-Absturz: "Hoffen wir, dass es wahr ist"
Der mutmaßliche Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist von den Menschen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Genugtuung aufgenommen worden. Viele äußern jedoch Zweifel am Wahrheitsgehalt der Nachrichten vom tödlichen Flugzeugabsturz mit dem Boss der russischen Söldnergruppe an Bord
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Verhängnisvolle Interessen

Prigoschins großer Fehler bestand darin, dass er sich ohne Putins Erlaubnis an die Bürger wandte, "um Popularität und eine Art politisches Mandat zu erlangen", meint der Publizist Alexander Baunow vom Thinktank Carnegie Politika. Prigoschin ist tot, seine Söldner aber wird es wohl weiter geben – vielleicht unter neuem Firmennamen, sicher unter neuer Führung. Im Gespräch ist ein Stellvertreter von Wagner-Kommandant Dmitri Utkin, der beim Flugzeugabsturz ebenfalls ums Leben kam: Andrej Troschew – militärischer Rufname "Sedoi", zu Deutsch "Graues Haar".

Seinerzeit, beim Treffen mit den Wagner-Kommandanten nach der gescheiterten Juni-Rebellion, hatte Putin selbst vorgeschlagen, dass Troschew die Wagner-Armee übernehmen könne. Prigoschin lehnte das damals ab. Nun dürfte der 61-Jährige, so wie vom Kreml-Chef gewünscht, doch zum Zug kommen.

Demonstrierende mit Plakat
Tatsächlich aber braucht der Kreml die Söldner vor allem in Afrika – zur Unterstützung und Durchsetzung seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen.
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Zukunftshoffnung Afrika

In Afrika liegt die Zukunft von Wagner. Dort hat Russland viele Interessen. Politische wie wirtschaftliche. Kurz vor seinem Tod noch hatte sich Prigoschin in einem 40 Sekunden langen Videoclip zu Wort gemeldet: Zu sehen war er in Tarnkleidung, mit Gewehr in der Hand, im Hintergrund Bewaffnete und ein Pick-up-Truck. Laut dem Prigoschin-nahen Telegram-Kanal "Grey Zone" wurde das Video in einem afrikanischen Land aufgenommen.

Im Video sagt Prigoschin: "Wir arbeiten. Die Temperatur beträgt mehr als 50 Grad." Dann erklärt er, dass seine Wagner-Truppe Aufklärungsarbeiten durchführe. Diese machten "Russland noch größer auf allen Kontinenten. Und Afrika noch freier." Seine Söldner machten das Leben der Mitglieder von Terrorgruppen wie "Islamischer Staat" und Al-Kaida zum Albtraum.

Kampf um Vorherrschaft

Moskau ringt um die Vorherrschaft auf dem afrikanischen Kontinent. "Russland spielt eine wichtige Rolle als Waffenlieferant, als Käufer und lizenzierter Schürfer von wertvollen Rohstoffen, als Exporteur von landwirtschaftlichen Geräten", sagt Philani Mthembu vom Institute for Global Dialogue, einem südafrikanischen Thinktank.

Im Globalen Süden steht Russland in Konkurrenz zum eigentlich verbündeten China. Das wurde auch auf dem soeben zu Ende gegangenen Brics-Gipfel in Südafrika deutlich: Wladimir Putin wurde per Video zugeschaltet. Er war zu Hause geblieben, offensichtlich, um einer drohenden Verhaftung wegen des gegen ihn ausgestellten internationalen Haftbefehls zu entgehen. An seiner statt reiste Außenminister Sergej Lawrow persönlich an.

Die Brics-Gruppe ist eine Art Gegengewicht zu den westlichen Industrieländern. Folglich kündigte Putin ein stärkeres russisches Engagement in Afrika an, erwähnte 30 Energieprojekte. Russische Exporte von Öl und Gas würden helfen, die Energiepreise in Afrika stabil zu halten. Die Brics-Staaten könnten den afrikanischen Staaten auch helfen, im Bereich der Ernährungssicherheit unabhängiger zu werden, sagte der Präsident der Komoren, Azali Assoumani. Er hat derzeit den Vorsitz der Afrikanischen Union (AU) inne.

Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin im Einsatz.
AFP/TELEGRAM/@ razgruzka_vagnera

Kampf um die Vorherrschaft

Brics repräsentiert jetzt etwa 40 Prozent, nach der Erweiterung um Saudi-Arabien, den Iran, die VAE, Argentinien, Ägypten und Äthiopien gar 46 Prozent der Weltbevölkerung – und Russland und China kämpfen um die Vorherrschaft. So sicherte der chinesische Präsident Xi Jinping gegenüber afrikanischen Staats- und Regierungschefs Chinas Hilfe zur Unterstützung bei der Industrialisierung und bei der Modernisierung der Landwirtschaft in Afrika zu.

Das international zunehmend isolierte Russland wirbt in Afrika also um Verbündete und will die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlorene weltpolitische Bedeutung zurückgewinnen. Mit Erfolg. So stimmte etwa das autoritär regierte Eritrea im März 2022 gegen eine UN-Resolution, die Russlands Einmarsch in die Ukraine verurteilte. Russische Militärs und Politstrategen sind bereits in 25 afrikanischen Ländern präsent, darunter in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen, im Sudan und Südsudan, in Madagaskar, Angola, Tschad, Kamerun, Guinea, Simbabwe und in der Demokratischen Republik Kongo.

Wagner-Strategen helfen lokalen Machthabern, die russische Interessen unterstützen, Wahlen zu gewinnen. Im vom Bürgerkrieg geschundenen Mali sind Wagner-Truppen bereits seit 2021 im Einsatz, unterstützen die Militärjunta, die blutig um ihre Macht kämpft.

Wagner-Sölder laufen vermummt eine Straße entlang.
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Militärputsch

Nach dem Militärputsch 2022 in Burkina Faso schwenkten Demonstranten Russland-Fahnen. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wird in der Bevölkerung immer mehr für Missstände im Land verantwortlich gemacht. Befehlshaber Ibrahim Traoré hat die französischen Truppen aufgefordert, das Land zu verlassen. Aufgabe der französischen Elitesoldaten war es, islamistische Terrorgruppen zu bekämpfen. Russische Militärausbilder sind jetzt im Land – unklar ist, ob es Wagner-Leute sind. Auf den Demonstrationen nach dem Putsch jedenfalls war auf Schildern "Merci Wagner" zu lesen. Und auch im Niger steht Wagner in den Startlöchern. Laut der Nachrichtenagentur AFP soll die Militärjunta die Söldnertruppe um Hilfe gebeten haben.

Zumindest in Afrika wird Kreml-Chef Putin die Wagner-Söldner also weiterhin brauchen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagt, es sei zu befürchten, "dass Russland mit oder ohne Wagner mit seinem zynischen Spiel nicht nur in der Ukraine, sondern vor allen Dingen in Afrika weitermacht".

Handfeste Interessen

Denn Russland hat in Afrika nicht nur politische, sondern auch handfeste Wirtschaftsinteressen. Der Energiegigant Gazprom ist in Algerien und auch in Libyen immer aktiver tätig. Der weltgrößte Diamantenhersteller, die russische Alrosa-Gruppe, schürft in Angola. Bereits 2019 kündigte Alrosa an, dass der Konzern auch in Simbabwe mit dem Abbau von Diamanten und Mineralien beginnen wird.

Der russische Aluminiumriese Rusal baut den Aluminium-Rohstoff Bauxit in Guinea ab. Auch in Südafrika, Madagaskar und Burkina Faso sind russische Firmen aktiv.

Die Sicherheitsdienste vieler dieser Unternehmen stellt die Wagner-Truppe. (Jo Angerer aus Moskau, 27.8.2023)