Schlamm vor Haus
Die Situation in Obergottesfeld nach den schweren Unwettern.
APA/FF MÖLLBRÜCKE

Der Feuerwehrmann Martin Zechner ist einiges gewohnt. Aber was sich Anfang August in seinem Heimatdorf Gosdorf an der steirisch-slowenischen Grenze abgespielt hat, will noch immer nicht in seinen Kopf. Der Starkregen lässt den kleinen Bach, der den Ort durchquert, binnen kürzester Zeit um zwei Meter ansteigen. Das Wasser kann auf den gepflasterten Höfen und asphaltierten Straßen nicht versickern. Mit einem Mal ist ein Teil der Ortschaft in einem See versunken.

"Wir konnten nur noch mit den Booten zu den Hilfseinsätzen fahren", erinnert sich Zechner einige Tage später beim Lokalaugenschein des STANDARD. Die Wassermassen drangen in die Keller ein, zerstörten ganze Wohnhäuser. Viele Bewohner verloren im Hochwasser alles. Am schlimmsten erwischte es die Familie Leitgeb. "Von den Möbeln konnt’ ma grad noch einen Tisch, drei Sessel und den Spiegel retten. Sonst: alles kaputt", sagt Michaela Leitgeb. Ihr kleines Anwesen wurde, wie viele Wohngebäude in der Südsteiermark und in Kärnten, durch die katastrophalen Unwetter unbewohnbar.

Drei Wochen ist das her. Seitdem ist die Familie Leitgeb vorübergehend in einem leerstehenden Haus in der Nachbargemeinde untergekommen. Jeden Tag fahren Michaela und ihr Mann zur Baustelle, die zuvor ihr Zuhause war. Der Schlamm muss raus, der nasse Putz von den Wänden, neue Möbel müssen her. Der Wiederaufbau wird teuer, die Schuldenlast ist drückend. Aber die Leitgebs wollen zurückkehren nach Gosdorf, in ihr Haus.

Herta Trabi musste große Teile des Bodens im Haus entfernen.
Guido Gluschitsch

"Ans Wegziehen denkt hier niemand"

So wie sie denken so ziemlich alle, die in diesem südsteirischen Landstrich von der Umweltkatastrophe betroffen sind. Wegziehen wolle hier niemand, sagt Harald Eitner, Chef der Katastrophenschutzabteilung des Landes Steiermark. "Ganz im Gegenteil. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Menschen gerade in Gebieten, die schon öfter von Katastrophen betroffen waren, eine sehr hohe Standorttreue entwickeln. Sie bauen ihr Zuhause immer wieder auf."

Der beeindruckende Wille zum Durchhalten bestimmt auch das Bild in Guntschach in Kärnten. Schon seit Dezember vergangenen Jahres ist die Ortschaft südlich von Klagenfurt immer wieder von der Außenwelt abgeschnitten. Damals ruinierte ein Steinabbruch die Zufahrtsstraße, durch die Unwetter im August zerstörte dann eine Mure auch noch den Notweg an drei Stellen. Seitdem bringt eine Personenfähre des Bundesheeres die 70 Einwohner Guntschachs fünfmal am Tag zum Einkaufen oder zur Arbeit.

Ab September kann Guntschach auch nicht mehr mit der Fähre erreicht werden, diese wird eingestellt.
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Nur mit der Fähre zum Haus

Es ist ein Ort im Ausnahmezustand, auch wenn das nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird. Nur ein hoher Kran stört die friedliche Idylle. Er hebt einen tonnenschweren Stein in das kleine Bachbett. Der unverbaute Bach verwandelte sich während der Unwetter zu einem reißenden Fluss und drohte das Grundstück und Erdreich des Hauses von Natalie Drobitsch und ihrer Familie zu unterspülen. Mit den Steinen soll ein Abrutschen des Gebäudes verhindert werden. Drobitsch und ihre Familie mussten in ein Ersatzquartier in der nahen Gemeinde Ferlach ausweichen. Auf der Wassergefahrenzonenkarte des Landes Kärnten liegen in dieser Gegend zwei Häuser in der roten Zone – eines davon ist das der Familie Drobitsch. Aber deshalb endgültig aufgeben und in eine andere Ortschaft ziehen? So einfach dahingesagt, wenn es nicht um die eigene Existenz, die Wurzeln geht.

Die Personenfähre wird ihren Betrieb Anfang September einstellen. Spätestens dann sollen alle Guntschacher in Ersatzquartiere ziehen. Zumindest bis die Zufahrt Ende des Jahres wieder repariert und der Ort wieder über den Landweg erreichbar ist. So weit der Plan. Doch es wollen nicht alle Einwohner weg – wie etwa Rupert Pogoriutschnig. Wie das gehen solle, fragt er. Viele hier hätten so wie er einen landwirtschaftlichen Betrieb, sagt Pogoriutschnig. Den könne man doch nicht einfach vier Monate sich selbst überlassen.

Der Mensch kämpft auch in Österreich längst gegen die Folgen des Klimawandels. Wie sehr, darüber entscheidet vor allem die Wohnlage. Wer zum Beispiel am Fluss lebt, muss umdenken, rät die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. "Wenn Menschen nach Schäden durch Extremwetter am selben Ort wieder aufbauen wollen, dann sollten sie sich erstens erkundigen, ob das Sinn macht. Meteorologen, Hydrologen und Risikoforscher können dabei helfen. Sie müssen darauf achten, dass sie nicht nur eine ähnliche Situation, sondern auch schlimmere gut überstehen, denn mit dem Klimawandel wird die Situation extremer." Auch Versicherer klagen, dass in Überschwemmungsgebieten nach wie vor zu viele Häuser gebaut werden.

Die Gemeinde Guntschach in Kärnten ist immer wieder komplett von der Außenwelt abgeschnitten.
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Suche nach Lösungen

Ferdinand Weber, Vizebürgermeister im steirischen Ort Wagna, hat jetzt zumindest einen Plan. Als sein Haus und der angrenzende Bürocontainer unter Wasser standen, war er gerade im Urlaub. Erst hieß es, er brauche nicht nach Hause kommen, er könne derzeit "eh nichts tun". Der Bürocontainer ist inzwischen komplett ausgeräumt, vom Boden bis zu den Computern ist alles kaputt, das Erdgeschoß seines Hauses ist unbewohnbar. Erst vor einem Jahr hat er eine neue Küche eingebaut. Die ist jetzt zum Großteil herausgerissen, genau wie der Boden und die Türstöcke.

Im Haus ist es wegen der Absauggeräte heiß, schwül und laut. Die Familie wohnt – so gut es eben geht – im ersten Stock. Ein Provisorium, denn ans Wegziehen denkt Weber nicht. Er sucht Lösungen. "Wir werden einen Hochwasserzaun errichten, der bis zur Höhe der Fenster im Erdgeschoß reicht", sagt er. Sollte das Wasser beim nächsten Starkregen noch höher steigen, "dann ist eh schon alles egal".

Weber ärgert sich, genau wie seine Nachbarn. Seit neun Jahren wird in der Gemeinde über einen Damm nachgedacht, gebaut wurde er bis heute nicht. Dabei standen schon bei dem verheerenden Hochwasser von 2014 in dem Gebiet die Keller unter Wasser.

In der Steiermark versucht man, das "schwebende Haus" in St. Johann im Saggautal und den Hang zu sichern.
Guido Gluschitsch

Unverkäuflich

Herta Trabi wohnt ebenfalls in Wagna, an einer anderen Stelle des Orts. "Überschwemmungen gab es hier immer wieder", erinnert sie sich, das Wasser stand schon öfter bis zur Tür. "Aber seit sie die Unterführung der Bahn gebaut und dabei die Auffangbecken entfernt haben, schießt das Wasser nun von mehreren Seiten zu uns", erzählt Trabi, während sie auf den Mann von der Versicherung wartet. Wegziehen? Nein, das wird sie nicht. Auch wenn ihr Grund jetzt angeblich hinter ihrem Rücken vom Land als Überschwemmungsgebiet definiert wurde. "Verkaufen können wir das Haus jetzt nie wieder", alteriert sich Frau Trabi.

Im gut 20 Kilometer entfernten St. Johann im Saggautal beruhigt ein Handwerker eine Familie: "Das wird alles wieder, ich bin Spezialist für solche Arbeiten." Mit zwei Kollegen arbeitet er an der Befestigung eines Hauses. Es gelangte nach den Unwettern vor drei Wochen in die Schlagzeilen. Eine Mure schwemmte das Erdreich weg, seither schwebt ein Teil des Gebäudes in der Luft. Das sieht spektakulär aus, bewohnbar ist es seitdem nicht mehr. Eisenfundamente und Spritzbeton sollen das Haus nun so absichern, dass die Besitzerin in wenigen Wochen wieder einziehen kann.

In der Steiermark und in Kärnten waren zehntausende Haushalte direkt und indirekt, etwa auch durch Stromausfälle oder Erdrutsche, betroffen. Die genaue Schadenssumme steht nach wie vor nicht fest. Zweistellige Millionenbeträge haben beide Landesregierungen als Soforthilfe bereitgestellt, sie werden nun sukzessive ausgezahlt. Aber muss man damit rechnen, dass es zur Regel wird, dass bald ganze Landstriche in Österreich unbewohnbar werden? Das zeichne sich nicht ab, "aber in gefährdeten Gebieten muss die Bevölkerung damit rechnen, dass es auch zukünftig zu schweren Unwettern kommen könnte", sagt der Klimaexperte Stefan Kienberger vom Risc Lab der Geosphere Austria, der Nachfolgeinstitution der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Das Potenzial für Naturgefahren sei in einem alpinen Land wie Österreich allgegenwärtig. Durch den Klimawandel nähmen Extremwetterereignisse zu. "In den jetzt schon gefährdeten Gebieten muss die Bevölkerung damit rechnen, dass es auch zu weiteren Verschärfungen und Ausdehnungen von extremen Ereignissen kommen könnte."

Schlimm war die Situation auch in Sachsenburg in Kärnten.
APA/FF MÖLLBRÜCKE

Absiedelung eines Orts

Während in Kärnten und in der Steiermark noch niemand daran denken mag, mussten in Oberösterreich bereits extrem anmutende Konsequenzen getroffen werden. Nach zwei "Jahrhunderthochwässern" in nur elf Jahren wurden, um künftige Flutschäden zu vermeiden, nicht nur neue Dämme gebaut, sondern auch ganze Ortschaften abgesiedelt.

In Enns, der ältesten Stadt Österreichs, war beispielsweise der Ortsteil Enghagen betroffen. Es ist ein geschichtsträchtiger Boden: Die Römer hatten hier, nahe der Mündung der Enns in die Donau, eine Flottille stationiert. Ab dem späten Mittelalter entstand hier der wichtigste Salzhafen Österreichs. Danach verschwand die Siedlung mit 52 Gebäuden fast in der Bedeutungslosigkeit. Bis der Ortsteil von den Unwettern Anfang der 2000er-Jahre großteils dem Erdboden gleichgemacht wurde und so wieder in die Schlagzeilen geriet.

Wo einst die Häuser standen, markieren heute nur mehr Ketten und "Betreten verboten"-Schilder die Grünflächen. Bereits beim Hochwasser im Sommer 2002 erreichte die Donau die Siedlung. Anschließend erwog man den Bau eines Dammes, erinnert sich Franz Stefan Karlinger, damals für die SPÖ Bürgermeister von Enns. "Im Laufe der Zeit hat man dann aber davon Abstand genommen." Denn durch den Schotterboden wäre bei einer Flut das Grundwasser nach oben gedrückt worden, es wären große Pumpwerke nötig gewesen, um den Ort trocken zu halten. Für deren Betrieb und Wartung hätte aber die Stadt aufkommen müssen, was finanziell kaum leistbar war.

Die Natur beschleunigte die Entscheidung. Beim Sommerhochwasser 2013 schwappte die Donau neuerlich durch Enghagen. Das Land Oberösterreich und die Stadt entschieden, es sei kostengünstiger, die Häuser abzureißen und die Bewohner abzusiedeln. "Emotional tut es mir noch immer extrem weh", sagt Alt-Bürgermeister Karlinger. "Manche sind mit Tränen in den Augen bei mir gesessen: ‚Bitte, Herr Bürgermeister, Sie müssen das verhindern, ich will hier nicht weg!‘" Andere hätten gefordert: "Sie müssen so schnell wie möglich für einen neuen Baugrund sorgen!" Zwanzig Prozent der Kosten für Abriss und Rekultivierung mussten die Bewohner selbst zahlen.

In Sachsenburg liefen zum Teil auch die Keller voll.
APA/AFK SPITTAL/LURNFELD

"Es geht so schnell"

Im nahen Stadtteil Lorch waren es nur zwei Gebäude, die abgetragen wurden. In einem davon, im "Kampnerhäusl", wohnte 40 Jahre lang Renate M. mit ihrem Mann und den Söhnen. Der Bauernhof stand schon 1790 im Grundbuch. "Ab den 70er-Jahren ist das Wasser mehrmals bis zur Zufahrt gegangen", erinnert sie sich. Aber 2002 sei man plötzlich mitten in einem See gewesen. Ob sie Angst gehabt habe, als das Wasser gekommen sei? "Nein, dafür geht alles zu schnell." Elf Jahre später kam es noch schlimmer. Da musste die Familie tagelang mittels Zillen versorgt werden.

2015 entschied sich die Familie für den Neubau auf einem höhergelegenen Grundstück "Ich habe lange gebraucht, bis ich auch gedanklich weg war." Immerhin müsse sie keine Angst mehr vor der Flut haben.

Viele Bewohner der Südsteiermark und Kärntens müssen mit ihr wohl auch in den nächsten Jahren weiterleben. (Luca Arztmann, Guido Gluschitsch, Michael Möseneder, Walter Müller, 27.8.2023)