Die Schülerinnen und Schüler der Berufsschule für Schönheitsberufe in Wien
Die Schülerinnen und Schüler der Berufsschule für Schönheitsberufe in Wien löcherten die Forschenden von Scientists for Future mit Fragen.
Jürgen Kugler

Österreich ist weniger wissenschaftsfeindlich als befürchtet, für Interesse und Begeisterung reicht es aber auch nicht. So könnte man die Erkenntnisse einer umfangreichen Studie zusammenfassen, die vom Institut für Höhere Studien (IHS) und der Aarhus University ausgearbeitet und vergangenen Montag veröffentlicht wurden (DER STANDARD berichtete). Als Auftraggeber fungierte das österreichische Wissenschaftsministerium, das alarmiert von einer desaströsen Eurobarometer-Umfrage, ein Bündel von Maßnahmen gegen die Wissenschaftsskepsis in der österreichischen Bevölkerung formulierte.

Ein Schwerpunkt in diesem Zehn-Punkte-Plan sind junge Menschen, deren Interesse an Wissenschaft und Forschung bereits in der Schule geweckt werden soll. Neben einer Info-Webseite für Schulen, auf der etwa 500 bestehende Angebote wie Workshops, Führungen, Laborbesuche, Exkursionen, Podcasts, aber auch spielerische Apps angeführt sind, fand im Juni erstmals eine "Wissenschaftswoche" für polytechnische Schulen statt. Zudem regte das Ministerium auch Schulbesuche von sogenannten Wissenschaftsbotschaftern und -botschafterinnen an, um Schülerinnen und Schüler für das eigene Fach begeistern und die Wichtigkeit von Wissenschaft vermitteln zu können.

"Oida, wos geht mi des an?"

In drei Wiener Berufsschulen wurde dieses Vorhaben vor dem Sommer bereits erfolgreich in die Tat umgesetzt. Klimaforschende der Scientists for Future stellten sich in Workshops den Fragen der Jugendlichen rund um die Klimakrise. Begleitet wurde das von der Agentur Science Communications und vom IHS organisierte und von der Stadt Wien geförderte Projekt "Oida, wos geht mi des an?" von einem Rahmenprogramm. Dazu zählten Unterrichtseinheiten, Videos, eine Ausstellung und eine Abschlussveranstaltung mit dem früheren Science Buster und Physiker Werner Gruber.

Ist die Kuh der größte Klimakiller?
Video zum Projekt "Oida, wos geht mi des an?"
Scientists For Future AT

Auch wenn die abschließende Evaluierung noch aussteht, steht für Projektleiter Bertram Schütz, Geschäftsführer von Science Communications, jetzt schon fest: "Von Desinteresse konnte bei den jungen Menschen keine Rede sein, im Gegenteil." Je nach Schule seien die Fragen sehr konkret gewesen. Lehrlinge für Schönheitsberufe wollten wissen, welche chemischen Mittel für die Umwelt und das Klima besonders schädlich sind oder wie man etwa in Friseurberufen bei der Haarpflege Wasser sparen könne. In der Berufsschule für Maschinen- und Elektrotechnik wiederum ging es um konkrete technische Lösungen und die Frage, welche Auswirkungen die Klimaerwärmung auf Kühlkonzepte und Wärmepumpen haben wird.

Die Mär der "bildungsfernen Schicht"

"Bisher kamen polytechnische und Berufsschulen in der Wissenschaftskommunikation nicht wirklich vor. Diese Jugendlichen zur bildungsfernen Schicht zu zählen ist ein großes Missverständnis, sie sind auch nicht schwerer als AHS-Schülerinnen und -Schüler zu erreichen", sagt Schütz. Das Thema Wissenschaft müsse jedoch so vermittelt und aufbereitet werden, dass die Relevanz für den beruflichen Alltag und die eigene Ausbildung ersichtlich werde. "Mit Wissenschaft als abstraktem Begriff kann niemand etwas anfangen, für die Jugendlichen muss nachvollziehbar sein, wie sich Wissenschaft in ihrem Bereich auswirkt und auch welche Lösungen sie für bestimmte Probleme bietet."

Damit diese Art der Vermittlung funktioniere, brauche es neben Aufwands- und Zeitentschädigungen für Forschende aber auch eine zentrale Schnittstelle, über die solche Projekte koordiniert und einheitliche Curricula für die diversen Schultypen erarbeitet werden. Besonders gute Erfahrungen habe man zudem mit interaktiven Formaten gemacht, bei denen die Schülerinnen und Schüler aktiv eingebunden waren und auf Augenhöhe mitdiskutieren konnten. "Wenn es uns gelingt, die Relevanz von Wissenschaft, etwa auch in Kombination mit politischer Bildung, im Unterricht zu verankern, wirkt sich das früher oder später auch positiv auf das Demokratieverständnis aus", ist Schütz überzeugt.

Wissenschafts- und Demokratieskepsis: Weniger als vermutet, aber Datenlage komplex
APA

Dass Wissenschaftsfeindlichkeit und eine Ablehnung von demokratischen Strukturen Hand in Hand gehen, ist empirisch gut belegt. Auch an Österreichs Geschichte lässt sich gut ablesen, dass autoritäre Strukturen und etwa das Nazi-Regime für die Wissenschaft nicht förderlich waren, sondern sogar zerstörend wirkten, wie die etwa 400 Seiten lange Ursachenstudie eindrücklich herausarbeitet. (Martin Stepanek, 2.9.2023)