Sie könnten einem fast leidtun, die Kapitolstürmer vom 6. Jänner 2021, die nun der Reihe nach zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Sie seien damals bloß von der Menge mitgerissen worden und hätten nichts Böses im Schilde geführt – schon gar keinen Umsturz. Sie hätten eben den "Lügen über die Wahl" geglaubt, sagten die beiden Führungsfiguren der rechtsradikalen Proud Boys, die am Donnerstag zu 17 und 15 Jahren Haft verurteilt wurden.

Donald Trump
Der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 erschütterte die US-amerikanische Demokratie. Auch der ehemalige Präsident Donald Trump steht vor Gericht.
APA/AFP/CHANDAN KHANNA

Mitleid ist nicht angebracht, der Sturm auf das Bundesparlament war ein Verbrechen, das in einem Rechtsstaat gesühnt gehört. Mit seinem harten Urteil, das auch der Abschreckung dienen soll, hat Richter Timothy Kelly indirekt auch jene Männer und Frauen für schuldig erklärt, die diese Lügen damals verbreitet haben und dies bis heute tun – allen voran Donald Trump. In Georgia sind sie ebenfalls angeklagt, und Trump zusätzlich vor einem Bundesgericht in Washington.

Doch diese Verfahren dürften sich als deutlich schwieriger erweisen als die Prozesse gegen die Männer, die damals physisch ins Kapitol eingedrungen sind. Denn Trump, sein Anwalt Rudy Giuliani und die anderen können sich auf das Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung berufen. Sie hätten ja nichts getan, sondern nur gesagt, was sie sich dachten.

Sollten sie damit durchkommen und einer Strafe entgehen, werden die Urteile gegen die Kapitolstürmer in einem anderen Licht zu sehen sein – vielleicht sogar als Unrecht. (Eric Frey, 1.9.2023)