Der Echte Speik
Mit einer Höhe von bis zu 15 Zentimetern und ein bis drei Millimeter langen, gelb-rötlichen Blüten ist der Echte Speik optisch eher unscheinbar. Umso auffälliger ist aber sein betörender Baldriangeruch.
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Wer in den vergangenen Wochen über die Kärntner Nockberge gewandert ist, hat womöglich einen intensiven Baldriangeruch wahrgenommen. Die Quelle dieses olfaktorischen Erlebnisses ist der Echte Speik, eine unscheinbare Pflanze mit wertvollen Wurzeln, die über Jahrhunderte hinweg bis in weit entfernte Weltgegenden gehandelt wurden. Ein Forschungsprojekt der Fachhochschule Kärnten befasst sich mit der Rolle des Pflänzchens in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Der Echte Speik kommt in der Unterart Valeriana celtica subsp. norica nur in den Kärntner Nockbergen und dem Salzburger Lungau vor und ist optisch eher unauffällig: Er wird 15 Zentimeter hoch und hat ein bis drei Millimeter lange, gelb-rötliche Blüten. Das Besondere an ihm liegt jedoch unter der Erde, nämlich seine Wurzel. Sie enthält große Mengen von Baldrianöl und wurde deshalb schon in der Antike als Heilmittel gegen diverse Beschwerden und in verschiedenen kosmetischen Produkten verwendet. Zu diesem Zweck wurde der Speik über Jahrhunderte massenhaft ausgegraben und vor allem in jene Länder verschickt, die damals als Orient bezeichnet wurden.

Eingeschränkte Nutzung

1936 waren seine Bestände so stark zurückgegangen, dass er unter Schutz gestellt wurde. Heute gibt es in den Nockbergen noch genau zwei Bauernfamilien, die ihn per Sondergenehmigung nutzen dürfen, und auch das nur sehr eingeschränkt: Gerade einmal 25 Kilo pro Saison dürfen sie nach der Blüte mit einem speziellen Werkzeug, dem Speikkramperl, ausgraben. Die Verarbeitung liegt in den Händen der deutschen Firma Speick, die für ihren Namen eine alte Schreibweise der Art gewählt hat. Erzeugt werden vor allem Seifen und andere Pflegeprodukte.

Ein im heurigen Frühjahr gestartetes Projekt des Unesco-Lehrstuhls an der FH Kärnten und des Unesco-Biosphärenparks Nockberge, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziert wird, befasst sich mit dem Speik als Beispiel einer natürlichen Ressource im Spannungsfeld verschiedener Interessen. Anhand der Pflanze sollen Fragen der nachhaltigen Nutzung ebenso geklärt werden wie: Wem gehört eine solche Ressource? Wie erhält man sie am besten? Wer sollte von ihr profitieren? Das sind Aspekte, die für natürliche Ressourcen auf der ganzen Welt berücksichtigt werden müssen, wie Projektleiter Michael Jungmeier von der FH Kärnten ausführt: vom heimischen Speik bis zu Wirkstoffen aus dem Regenwald.

Um diese Fragen zu beantworten, werden in dem Projekt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Speiks jeweils von einer Expertin oder einem Experten gesondert beleuchtet: Marianne Klemun, Historikerin am Institut für Geschichte der Universität Wien, arbeitet sich derzeit durch diverse Unterlagen wie Handelsaufzeichnungen, medizinische Traktate und Reiseliteratur. Sie will klären, welche der zahllosen Geschichten, die sich um den Speik ranken, sich tatsächlich belegen lassen, etwa dass schon Kleopatra ihre Schönheit durch Speikbäder unterstützt haben soll. Verbürgt ist jedenfalls, dass der Stadt Judenburg im Jahr 1460 vom Kaiser das Monopol auf den Speikhandel verliehen wurde.

Aromatische Bestrafung

Der intensive Geruch der Pflanze wurde übrigens auch in ganz anderer Hinsicht genutzt: Manche Vergehen wurden mit dem sogenannten Speiksitzen geahndet. Dabei wurde der Übeltäter in einem der Gebäude eingesperrt, die zum Trocknen der Speikwurzeln dienten – eine Maßnahme, die noch länger nachwirkte, denn man erkannte solchermaßen Bestrafte noch einige Zeit danach an ihrem Aroma.

Mit der aktuellen Nutzung und Bedeutung des Speiks, also seiner Gegenwart, befasst sich Christina Pichler-Koban vom E.C.O. Institut für Ökologie in Klagenfurt. Dazu wird sie auch Interviews mit diversen Stakeholdern führen, etwa Speikbauern und den verarbeitenden Speick-Werken. Nachhaltige Nutzungen für Valeriana celtica zu finden obliegt Unesco-Zukunftsforscher Michael Shamiyeh, Gründer des Center for Future Design (CFD) an der Kunstuniversität Linz, der zu diesem Zweck ebenfalls mit Menschen und Institutionen zusammenarbeiten wird, die an der Pflanze Interesse haben.

Denkbar wären etwa vermehrt lokale Verwendungen des Speiks – oder auch größere Ernten: "Immerhin ist er über Jahrhunderte zentnerweise ausgegraben worden", wie Jungmeier zu bedenken gibt, "wie viel Entnahme unter heutigen Bedingungen nachhaltig wäre, ist unklar." Dass die vorsichtige Nutzung der Pflanze nicht schadet, sondern im Gegenteil nützt, konnte eine Studie der Wiener Universität für Bodenkultur schon vor 30 Jahren zeigen. Bei der traditionellen Ernte wird der Wurzelstock nämlich mit dem Speikkramperl zerteilt, und die im Boden bleibenden Reste treiben im nächsten Frühjahr stärker aus. Dass die Pflanze heute noch genutzt werden durfte oder darf, ist auf diese Untersuchung zurückzuführen.

Breite Wissensvermittlung

Einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden die Ergebnisse des Projekts, das noch bis September 2024 läuft, auf verschiedene Weise. So wird Marianne Klemun ihre Erkenntnisse nicht nur als Buch präsentieren, sondern auch in einem Kamingespräch. Unter dem Titel "Marianne erzählt" soll es Wissenswertes über die Wunderwurzel zu hören geben. Zudem sind diverse Workshops geplant sowie die Herausgabe einer Monografie zum Speik und Handlungsempfehlungen zum Management genetischer Ressourcen an seinem Beispiel.

Unesco-Biosphärenparks, von denen es in Österreich derzeit vier gibt, sind international repräsentative Landschaftstypen, in denen Naturschutz und menschliche Nutzung vorbildhaft zusammenspielen. Um diesen Einklang zu erhalten und noch besser zu machen, wird viel geforscht, unter anderem zum optimalen Management der betreffenden Flächen.

In den Nockbergen gibt es seit 2013 eine Forschungskooperation ("Science Link Nockberge") zwischen dem Biosphärenpark und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, zu der seit 2020 auch die Fachhochschule Kärnten gehört. Dabei werden in erster Linie Studierende bei ihren Forschungsarbeiten unterstützt. Bisher gingen 24 Abschlussarbeiten und eine Dissertation aus der Kooperation hervor. Eine Übersicht bietet die Nockothek unter oremo.e-c-o.at. (Susanne Strnadl, 9.9.2023)