Ein Stahlarbeiter reinigt einen Zylinder im Stahlwerk Salzgitter in Deutschland. 
Die energieintensive Industrie ist mehrfach belastet: Der CO2-Preis steigt und verteuert Energie, die ohnehin teurer ist als vor zwei Jahren.
Reuters / Fabian Bimmer

Brüssel/Wien – Die deutschen Ministerpräsidenten machten am Mittwoch in Brüssel Druck in Richtung Subventionierung von Industriestrom. Die Speerspitze bildet Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der seit Monaten eine milliardenschwere Stütze für den "Brückenstrompreis" bis zum Jahr 2030 fordert, um der energieintensiven Industrie vorgebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Weltregionen auszugleichen. Bei ihrem Treffen in Brüssel versuchten die Landeschefs die EU-Kommission zu überzeugen, die gleichermaßen skeptisch ist wie die Regierung in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ansonsten drohe, dass viele Unternehmen in Deutschland "über kurz oder lang ihre Tore schließen", warnte der SPD-Politiker im ZDF-"Morgenmagazin".

Der Widerstand gegen die Maßnahme, deren Kosten allein in Deutschland auf 23 Milliarden Euro taxiert werden, ist allerdings beträchtlich. Neben Scholz ist auch Finanzminister Christian Lindner gegen eine derartige Dauersubvention. Der FDP-Chef weiß den Wissenschaftlichen Beirat seines Ministeriums hinter sich, der eine staatlich subventionierte Deckelung für ausgewählte Betriebe nicht nur als Wettbewerbsverzerrung ablehnt. Mit der bestehenden Strompreiskompensation gebe es bereits eine Stütze in Milliardenhöhe, die allerdings Ende 2023 auslaufe.

Sechs Cent pro Kilowattstunde

Darüber hinaus stehe ein solcher "Brückenstrompreis" von sechs Cent pro Kilowattstunde (kWh) – die Maßnahme soll auslaufen, sobald ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht – im Widerspruch zur CO2-Bepreisung in Form des EU-Emissionshandels, der explizit zum sparsamen Einsatz von Energie und vor allem zum schrittweisen Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare animieren soll. Da die Zahl der Zertifikate schrittweise verringert wird, steigt der CO2-Preis automatisch und treibt so den Strompreis in die Höhe.

Bei einem Gesamtjahresverbrauch an Energie im verarbeitenden Gewerbe von 220 Terawattstunden würde der angepeilte Industriestrompreis von sechs Cent pro kWh aktuell rund sieben Milliarden Euro pro Jahr kosten, wird in dem Gutachten vorgerechnet. Würden nur den bereits jetzt im Wege der "besonderen Ausgleichsregelung" begünstigten Branchen Vorteile gewährt, kostete der Brückenstrompreis noch immer 4,8 Milliarden Euro pro Jahr. Das Zusammenwirken der beiden Subventionen sei in dem von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegten Konzept für den von ihm befürworteten Industriestrompreis nicht thematisiert worden, heißt es in dem Papier spitz.

"Besser Bürokratie abbauen"

Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt der deutschen Regierung, die Rahmenbedingungen für den Erneuerbarenausbau deutlich zu verbessern, Fachkräfte auszubilden und Bürokratie abzubauen, anstatt Industriestrom zu subventionieren. Die Vorstellung, höhere Strompreise in Deutschland stellten ein Übergangsphänomen dar, sei irreführend. Aus derzeitiger Sicht sei nicht einmal klar, ob der Strombedarf in Zukunft durch eigene erneuerbare Energien zu niedrigen Preisen zu decken sein werde.

Zudem könnte ein Brückenstrompreis notwendige strukturelle Anpassungen verzögern und dazu verleiten, "Wertschöpfungen, die international nicht wettbewerbsfähig sind, mit öffentlichen Mitteln aufrechtzuerhalten", heißt es wörtlich. Und: "Mittel, die zum Ausbau der Infrastruktur dringend notwendig sind, würden gleichsam in die Verwaltung des Mangels gesteckt anstatt in die Behebung des Mangels."

Auch für Österreich relevant

Dass der Industriestrompreis teuer erkauft würde, räumt auch der Ministerpräsident ein, in dessen Bundesland Volkswagen ansässig ist. Sehr hohe Kosten entstünden allerdings auch bei einem Niedergang der wegen hoher Strompreise nicht mehr wettbewerbsfähigen Grundstoffindustrie, warnte Weil. Dies würde allerdings zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Es sei auch ein europäisches Thema, wenn der Kollaps vieler Unternehmen drohe, betonte Weil.

Für Österreichs Industrie ist der deutsche Industriestrompreis höchst relevant, denn Deutschland ist der wichtigste Handelspartner, und die Zulieferindustrie wäre im Nachteil – es sei denn, Österreich legte auf die milliardenschwere Energiekostenhilfe noch zusätzlich drauf. (Luise Ungerboeck, 6.9.2023)