Einfach das Ende der Welt Kosmos Theater Wien
Der Protagonist Louis tritt in seinem Elternhaus in ein emotionales Wespennest.
Bettina Frenzel

Die Emotionen kochen unter der Oberfläche. Ein Damoklesschwert unterdrückter Gefühle und subtiler Aggressivität hängt am dünnen Rosshaar über dem Theatersaal, der zunehmend beklemmend scheint. Er gibt Einblick in eine Familie, deren heiler Welt längst unheilbare Risse zugefügt worden sind. Von Konflikten zerfressen, scheint die Hoffnung auf ein Happy End schon in den ersten Minuten aussichtslos.

Es ist der Höhepunkt der Aids-Epidemie, als Jean-Luc Lagarce 1990 Einfach das Ende der Welt veröffentlicht. In Frankreich gehört sein Stück längst zur Schullektüre, im Kosmos-Theater ist es nun erstmals auf einer österreichischen Bühne zu sehen. Matthias Köhler inszeniert das Kammerspiel in einem sterilen Bühnenraum, einer weißen Zelle (Ausstattung: Patrick Loibl), und lässt so die inneren Kämpfe der Protagonisten noch weiter nach außen treten. Als der erfolgreiche Autor Louis (Nicolas Streit) nach zwölf Jahren mehr oder weniger unerklärter Abwesenheit in das Haus seiner Kindheit zurückkehrt, verschweigt er der Familie seine fortgeschrittene Aids-Erkrankung. Er kommt, um Abschied zu nehmen, und tritt in ein Wespennest, in dem es vor Unausgesprochenem nur so surrt.

Explosives Minenfeld

Seine Schwägerin Catherine (Clara Liepsch) trifft Louis zum ersten Mal, sie bemüht sich zunächst noch um einen freundlichen Umgang. Doch die Unterhaltung gleicht einem Minenfeld, ein falsches Wort reicht, um eine Explosion zu zünden. Die kleine Schwester Suzanne (Annabel Hertweck) gerät an den mittleren Bruder Antoine (Daniel Wagner), dieser wiederum streitet mit seiner Frau Catherine. Und irgendwo dazwischen wähnt sich Mutter Martine (Martina Spitzer), die sich um familiäre Einigkeit bemüht, aber auch ihre eigenen Vorbehalte nicht hintanstellen kann.

Einfach das Ende der Welt Kosmos Theater Wien
Martine (Spitzer) und Antoine (Wagner) konfrontieren Louis mit dessen Abwesenheit.
Bettina Frenzel

Nach anfänglicher Holprigkeit nimmt das Spiel rasant Fahrt auf: Die Figuren bewegen sich auf der Bühne wie auf einem Schachbrett, sie wechseln ihre Positionen zügig und geradlinig, kaum einer scheint aus der bestehenden Ordnung ausbrechen zu können. Louis' Unbehagen wächst, während immer mehr Vorwürfe auf ihn einprasseln. Sein bevorstehender Tod bleibt bis zum Schluss unerwähnt, und ist doch stets mit im Raum. Klimatische, aber auch emotionale Höhepunkte des Stücks entstehen vor allem dann, wenn es die Figuren für einen kurzen Moment schaffen, ihren Zwängen zu entfliehen, und sich direkt an das Publikum wenden. So lässt ein Monolog der Gruppe über die Folgen der Aids-Epidemie den Saal betroffen zurück. Bis zum Schluss steht das Unerwähnte im Raum, unaufgelöst und spürbar unangenehm. Louis hat am Ende trotzdem "nichts mehr zu sagen". (Caroline Schluge, 7.9.2023)