Theater in der Josefstadt Stützen der Gesellschaft
Der Besuch von Mats (Rosskopf) und Elida (Köstlinger) löst bei Karsten Bernick (von Bargen) Unbehagen aus.
Rita Newman

Knapp 146 Jahre ist es her, dass der Norweger Henrik Ibsen 1877 das Theaterstück Die Stützen der Gesellschaft veröffentlicht hat. Im zweiten Teil seiner Ibsen-Trilogie lässt David Bösch im Theater in der Josefstadt durchsickern, dass sich seither wohl wenig geändert hat. Es gibt sie immer noch, die scheinbaren und die tatsächlichen Verlierer. Und die vermeintlichen Gewinner, die über Leichen gehen.

Das Stück hat Bösch selbst bearbeitet und ins Heute verfrachtet. Der einstige Konsul Karsten Bernick (Raphael von Bargen) ist jetzt Werftbesitzer und Immobilienhai, der in seinem jüngsten Wohnbauprojekt eine glänzende Zukunft sieht. Nachhaltig wie aus dem Bilderbuch, so will es jedenfalls der glattgebügelte Werbespot glaubhaft machen. Er und seine Partner Dr. Rummel und Dr. Schneider (Michael König und Marcello de Nardo) sparen nicht mit Eigenlob, indes versammeln sich die Frauen zum verhassten, aber rituellen Canasta-Spiel. Die Mutter der jungen Lisa (Paula Nocker) ist nach einer ominösen Affäre an "gebrochenem Herzen" gestorben, weshalb sich Karstens Schwester Solveig (Michaela Klammiger) und seine Frau Nora (Silvia Meisterle) Letzterer angenommen haben.

Lügen und Verrat

Bis auf die üblichen Mätzchen einer reichen Kleinstadtfamilie erscheint alles beinah normal. Doch als ungebetener Besuch eintrifft, bröckelt die Fassade: Noras jüngerer Bruder Mats (Oliver Rosskopf) und ihre Halbschwester Elida (Maria Köstlinger) kehren nach langer Abwesenheit zurück, und sogleich fürchtet man sich vor dem drohenden Unfrieden. So habe Mats doch vor 15 Jahren eine schreckliche Tat begangen, für die er schleunigst das Land verlassen musste. Langsam entwirrt sich ein Netz aus Lügen und Verrat, das sich vor allem rund um Karsten Bernick gesponnen hat. Die Büste des Vaters stets im Kopf und auf der Bühne, hat sich dieser zu einem "Raubtierkapitalisten" entwickelt, dessen moralischer Kompass offenbar schon lange falsch ausschlägt.

Theater in der Josefstadt Stützen der Gesellschaft
Businessman Karsten und Konsorten gehen für ihren Erfolg und guten Ruf über Leichen.
Rita Newman

Böschs Fassung von Ibsen (einem "schrecklichen Autor", so Marianne Nentwich als alte Funktionärsgattin Inge) ist im Hier und Jetzt angekommen, was die (Un-)Worte des 21. Jahrhunderts schon in der ersten Viertelstunde ehrgeizig beweisen wollen. E-Autos! Laptops! Gendern! Doch wie das Verständnis der modernen Welt sind auch die Figuren und die Handlung zunehmend eindimensional und vorhersehbar geraten. Da sind Businessman Karsten und Konsorten, die für Erfolg und guten Ruf über Leichen gehen. Mats und Elida, die Unruhestifter in Lederjacke und Hippie-Hose, und Nora, die Lady Macbeth im strengen Damenanzug. Der alte Werftarbeiter Aune (André Pohl) muss das Versagen der Führungsetage ausbaden und kann dabei nur verlieren.

Denkanstoß und Daddy-Issues

Viel Leid und ein Schiffsunglück später hat sich schlussendlich wenig geändert. Bernick hält eine pharisäische Rede, und obwohl sein Leben in Trümmern scheint, macht er genau dort weiter, wo er aufgehört hat – hoch oben im Lügenpalast, der auf dem Leid seiner Mitmenschen errichtet ist. Interessanter Denkanstoß ist die Frage, was ihn zu solch einer Person gemacht hat, doch auch das lässt sich bald herausfinden. Stichwort Daddy-Issues. Am Ende bleiben die Stützen trotz einstweiligen Wankens dieselben, und man möchte im Publikum bei Lisas anfänglicher Parole mitgrölen: "Zerstört die Gesellschaft!" (Caroline Schluge, 9.9.2023)