Schachbrett mit Figuren, eine Hand greift zum Bauern
Schacherfolge sind für Frauen gegen Frauen schneller zu erzielen als gegen Männer. Um Schach für Frauen populärer zu machen, gibt es eigene Frauenbewerbe und schon seit 1927 eine eigene WM.
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Eröffnung, Mittelspiel, Endspiel. Eines führt ins andere, das ist speziell im Schachsport so, und generell im Leben. So hat kürzlich eine Entscheidung des Weltschachverbands nicht nur für Aufregung gesorgt, sondern weitere Fragen aufgeworfen. Die Fédération Internationale des Échecs, kurz Fide, verbot Transgenderspielerinnen die Teilnahme an Frauenturnieren und orientierte sich damit an Beschlüssen anderer Weltverbände. Leichtathletik, Radsport und Schwimmen argumentierten, dass Transgendersportlerinnen nach einer männlichen Pubertät einen unfairen Vorteil hätten, Stichwort Testosteron, Stichwort Muskelaufbau. Für deutlich mehr Irritation sorgte die Fide-Entscheidung. Nicht wenige meinten, es müsste doch wohl völlig egal sein, wer da wo zum Zug komme. Weil: körperlicher Vorteil? Im Schach?

Es ist nicht völlig egal. Schließlich spielen Männer besser Schach als Frauen. Es gibt eine offene Weltrangliste, das inkludiert theoretisch Männer, Frauen und – no na net – auch Transgenderpersonen. In der Praxis bleiben die Männer unter sich. "Das hat den Hauptgrund", sagt Denise Trippold, "dass viel mehr Männer Schach spielen." Der Anteil weiblicher Mitglieder in Schachvereinen liegt hierzulande bei knapp acht Prozent und damit circa im internationalen Schnitt.

Denise Trippold, österreichische Meisterin im Schach
Denise Trippold ist Vorsitzende der Frauenkommission im österreichischen Schachbund und holte heuer zwei Meistertitel. "Ich bin ein Wettkampftyp."
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Trippold (25) ist Vorsitzende der Frauenkommission im österreichischen Schachbund (ACF) und spielt selbst ausgezeichnet, heuer gewann sie die Meistertitel im Turnier- wie im Blitzschach. Doch wo sie mit ihrer aktuellen Elo-Zahl – die bildet die Spielstärke ab – von 2148 in der offenen Rangliste liegt, weiß sie gar nicht. Es ist ihr nicht so wichtig. Auf die Top 100 in Österreich fehlen circa 100 Elo-Punkte. "Es wäre schon super, das zu schaffen", sagt die Niederösterreicherin, die in Graz Psychologie studiert, weibliche Fide-Meisterin (WFM) ist und weibliche internationale Meisterin (WIM) werden will. "Aber wichtiger sind Erfolge, Titel. Ich bin ein Wettkampftyp."

Schacherfolge sind für Frauen gegen Frauen schneller zu erzielen. Deshalb gibt es eigene Frauenbewerbe, deshalb wird seit 1927 ein eigener WM-Titel vergeben – nachdem das Schachbrett jahrhundertelang nur Männern die Welt bedeutet hatte.

Die heulende Katze

Man(n) wollte den Sport öffnen, ihn für Frauen interessant machen. Nun hat eine Frau mit einer Elo-Zahl um 2500 wohl bessere Verdienstmöglichkeiten als ein gleich starker Mann. Gleichzeitig heult die Katze auf, weil sie sich so heftig in den Schwanz beißt. Wenn Frauen im Schach von kleinauf unter sich bleiben, bedingt das, dass sie in der offenen Klasse im Hintertreffen sind. Weil ihnen von Anfang an Duelle, vor allem auch Trainings mit Stärkeren fehlen. "100 oder 150 Elo Unterschied zwischen Trainingspartnern sind kein Problem, 200 vielleicht das Limit", sagt Trippold. "Aber ein Großmeister wird nicht mit mir trainieren. Das bringt ihm nichts, und das bringt mir nichts."

Die eine Ausnahme, die es gab, bestätigt die Regel. Wir reden nicht etwa von Beth Harmon aus Das Damengambit – die Netflix-Serie ist ein Märchen. Real war Judit Polgár, die sehr jung nur noch in der offenen Klasse antrat und Anfang 1992 mit 15 Jahren und vier Monaten den Großmeistertitel verliehen bekam, damit den "Altersrekord" von Bobby Fischer brach. Die Ungarin schlug "bei den Männern" alles, was Rang und Namen hatte, der Brite Nigel Short nannte sie "eine Killerin, die das Matt zwanzig Züge im Vorhinein wittert".

Ausnahme Judit Polgár

Polgár (beste Elo-Zahl 2735) ist die einzige Frau mit einstelligem Fide-Ranking. 2005 war sie, noch dazu nach einer Babypause, Nummer acht der Welt, 2011 EM-Dritte. 2014 trat sie zurück. Im Guardian hielt sie fest: "Ich hätte dieses Niveau nie erreichen können, hätte ich nur um Frauentitel gespielt." Polgár griff Short an, der gemeint hatte, das männliche Gehirn sei "anders verdrahtet", ergo Schach-affiner als das weibliche. "Sein Schluss hält der Prüfung nicht stand. Auch wenn Frauen anders denken und konkurrieren, können wir Gleiches leisten wie Männer: sei es in der Wissenschaft, der Kunst oder im Schach."

Ob Männer im Schach einen biologischen Vorteil haben könnten, darüber wird immer wieder diskutiert. Als die Fide begründete, warum Transgenderfrauen von Frauenturnieren ausgeschlossen sind, wurde sie kryptisch: "Natürlich haben Männer und Frauen dieselbe intellektuelle Kapazität. Aber im Schachsport könnten auch Faktoren wie die physische Ausdauer eine Rolle spielen."

Es gibt jede Menge Gründe dafür, dass weniger Frauen als Männer Schach spielen. Historisch gewachsen ist es. Umfeld, Erziehung, Sozialisierung kommen oft dazu. In Schachkreisen hört man oft, dass Buben vor allem gewinnen wollen. Trippold sagt, etlichen Mädchen sei es "zunächst wichtiger, im Verein Freundinnen zu finden". Sie selbst messe sich gerne auch mit Männern, sei es im Training, sei es im Turnier. "Aber ich kann nachvollziehen, dass sich eine Frau unwohl fühlt, wenn sie die einzige unter Männern ist."

So wie Polgár auf Weltschachebene hat es auch in Österreich eine gegeben, die die einzige unter Männern war, eine echte Ausnahmeerscheinung, Eva Moser. Die Steirerin wurde 2003 als erste Österreicherin zum weiblichen Großmeister (WGM) ernannt, trug seit 2004 auch den Titel eines Internationalen Meisters. 2006 feierte sie ihren größten Erfolg, als sie den Staatsmeistertitel in der offenen Klasse gewann. Bei einem Turnier in Augsburg über den Jahreswechsel 2013/14 erzielte sie ihre erste Großmeisternorm. Ab 2015 musste sich Moser aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr vom Wettkampfschach zurückziehen. 2019 verstarb sie im Alter von nur 36 Jahren an Leukämie.

Konzentration auf Wichtiges

Oft bedingen Schwanger- und Mutterschaften, dass Frauen sich nicht mehr wie Männer auf den Sport konzentrieren können. Beispiel dafür ist die beste heimische Spielerin, Regina Theissl-Pokorna (Elo 2317). Sie tritt wie auch die zweitbeste, Katharina Newrkla (Elo 2236), die sich auf ihren Beruf konzentriert, aus Zeitgründen fast nur noch international an. Weniger wichtige Bewerbe in Österreich werden oft ausgelassen.

Immer wieder gibt es Aktionen, um Frauenschach zu fördern. Die Fide rief 2022 das "Jahr der Frau" aus, initiierte Projekte, hob Preisgelder an. Das alles unterstützt Frauen im Schach und wirkt in die Breite, es hilft aber nicht, die Leistungsdifferenz zu den Männern zu verringern. Doch was wäre, würde es nur noch eine Rangliste geben? Wären dann zehn Frauen unter den Top 100, wäre eine unter den Top Ten? Und wäre eine Frau irgendwann Nummer eins? "Wir wissen es nicht", sagt Denise Trippold. Und wie die Dinge liegen, werden wir es so bald auch nicht erfahren. (Fritz Neumann, 10.9.2023)