Zinshaus in Wien
Wirklich Wohlhabende in Österreich besitzen im Regelfall Zinshäuser oder Anteile an Unternehmen.
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Es ist paradox. Für die Väter des modernen Liberalismus und Kapitalismus galten Erbschaften ganz oder zumindest ab einer bestimmten Höhe als verpönt. Der bloße Zufall der Geburt begründe keinen Anspruch auf den Erwerb von Vermögen, urteilte einer der Vordenker des Liberalismus, Jeremy Bentham (1748–1832). John Stuart Mill (1806– 1876) war ein großer Verfechter progressiver Erbschaftssteuern.

Diese Lektionen sind in den vergangenen Jahrzehnten in Vergessenheit geraten. Die freie Marktwirtschaft hat global einen Siegeszug angetreten, mehr und mehr Länder haben sich dem Kapitalismus zugewendet. Parallel dazu schwindet die Bedeutung von Erbschaftssteuern. Sie wirken ein wenig wie aus der Zeit gefallen. "Umfangreiche Ausnahmeregelungen und niedrige Steuersätze haben schon immer dafür gesorgt, dass die Bedeutung der Erbschaftssteuer für die Finanzierung des Staatshaushaltes nie sehr groß war", sagt die Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Forschungsinstitut Wifo. Zahlen der Industrieorganisation OECD zeigen, dass sogar diese kleine Bedeutung noch kleiner werden kann. In den 1960er-Jahren kam global ein Prozent der Staatseinnahmen aus Erbschaftsteuern, bis 1980 sank der Anteil auf 0,66 Prozent und 2020 waren es nur noch 0,37 Prozent. Auch wenn es die Steuer in 17 EU-Staaten noch gibt, haben sie sechs europäische und fünf außereuropäische Länder in den vergangenen Jahrzehnten abgeschafft, darunter Schweden, Norwegen und Kanada.

Lohnende Debatte

Keine Steuer ist sehr beliebt, aber insbesondere Erbschaftssteuern haben in der Bevölkerung meist keinen guten Stand. Vor allem konservative Parteien punkten damit, ihre Abschaffung zu verlangen.

Entgegen diesem Trend tobt in Österreich eine Debatte über das Für und Wider der Steuer. Diese Woche hat die SPÖ die Details ihrer Millionärsabgaben vorgestellt. Neben einer Vermögenssteuer beinhaltet das Konzept auch eine Erbschaftssteuer. ÖVP und FPÖ sind dagegen, Herbert Kickl spricht von einem "Anschlag" auf Familien, Unternehmer und Leistungsträger. Die ÖVP warnt vor neuer Belastung, die wieder den Mittelstand treffen werde.

Mit Blick auf die international geringen Einnahmen stellt sich ohnehin die Frage, ob die Debatte überhaupt lohnt? Antwort: Ja, tut sie.

Steigendes Potenzial

Denn das Potenzial einer richtig gemachten Erbschaftssteuer wird mit Jahr zu Jahr größer. Nach aktuellen Schätzungen auf Basis von Vermögensdaten der Nationalbank und der Lebenserwartung, werden derzeit in Österreich um die 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr vererbt, sagt der Ökonom Wilfried Altzinger von der WU Wien. Tendenz steigend. Die Generation der vermögenden Babyboomer stirbt über die kommenden Jahrzehnte aus.

Ein Paper des Wifo zeigt, dass eine Trendumkehr stattfindet. Wo es die Erbschaftssteuer gibt, wird sie künftig mehr bringen. In Italien und Finnland sollen sich die Einnahmen bis 2040 verdoppeln, in anderen Ländern verdreifachen. Deutschland nimmt derzeit knapp zehn Milliarden Euro mit der Abgabe ein. Bis 2050 sollen es 20 Milliarden sein. Umgelegt auf Österreich wären das zwei Milliarden Euro. Viel Geld also.

Ein zutiefst liberales Projekt
der Standard

Die zu hohen Erwartungen der Befürworter

Aber ist die Steuer sinnvoll? Die Debatte wird deshalb so verbissen geführt, weil Gegner wie Befürworter die Steuer für ideologische Projektionen nutzen. Für viele Linke ist sie ein Meilenstein für mehr Gerechtigkeit, für Gegner symbolisiert sie den Staat, der selbst Tote nicht in Ruhe lässt. Dabei ist beides übertrieben, wenn nicht falsch.

Ziel der Befürworter einer Erbschaftsteuer wie in der SPÖ ist es, eine "gerechtere Verteilung des Wohlstandes" zu erreichen. Auf den ersten Blick ist das einleuchtend. Vermögen ist ungemein ungleich verteilt. Das reichste ein Prozent hält je nach Berechnungen in Österreich ein Viertel bis zur Hälfte des gesamten Nettovermögens. Haushaltsbefragungen zeigen, dass unter Reichen deutlich öfter vererbt wird.

Also drängt eine Erbschaftsteuer Vermögensungleichheit automatisch zurück? In der Realität ist der Zusammenhang komplexer. Die OECD hat diverse Studien zu dem Thema ausgewertet. Ihr Ergebnis: Die Mehrzahl neuerer Untersuchungen für die USA und Europa sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Erbschaften in einem ersten Schritt die relative Vermögensungleichheit senken. Das liegt daran, dass für Familien, die weniger haben, selbst eine kleine oder mittlere Erbschaft einen großen Vermögenszuwachs bedeuten kann. Wenn wohlhabende Eltern an ihre gutbetuchten Kinder vererben, ändert das den Anteil der Superreichen am Gesamtvermögen wenig.

"Die große Umverteilung darf man nicht erwarten", Ökonom Stefan Bach

Ein Beispiel dazu: A und B erhalten eine Erbschaft. A bekommt von seinen Eltern 1000 Euro und B 5000 Euro. A hatte davor kein Geld, B schon 4000 Euro. Durch die Erbschaft hat sich die relative Vermögensungleichheit verringert, obwohl B mehr geerbt hat. Denn A hält nun zehn Prozent am Gesamtvermögen der beiden, vorher hatte er nichts.

Freilich ist richtig, dass der absolute Vermögenszuwachs bei Wohlhabenden größer ist. Und nach zehn Jahren kehrt sich das Verhältnis um. Auf diese längere Sicht erst sorgen Erbschaften generell für eine ungleichere Verteilung, wie die Ökonomen Arash Nekoei und David Seim für das deutsche Ifo-Institut auf Basis schwedischer Daten zeigen. Die meisten Menschen geben ihre Erbschaften aus, die Zahl der Autokäufe steigt. Reiche Erben investieren und sparen – und werden reicher. Das spricht laut der OECD dafür, dass es hohe Freibeträge und hohe Steuersätze bei Großvermögenden braucht.

Aber hier kommt ein zweites Problem dazu: Die wirklichen Superreichen erwischt man nicht. "Die große Umverteilung darf man nicht erwarten", sagt der Ökonom Stefan Bach vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über die Erbschaftssteuer. In Deutschland zeige sich, dass die Abgabe von 95 bis 99 Prozent der wohlhabendsten Bürger bezahlt werde. Bei den Top-ein-Prozent helfen Steuerberater aus. Nicht umsonst locken deutsche Berater ihre Kunden online mit dem Spruch, dass die Erbschaftsteuer nur "Dummensteuer" sei.

Doppelt zahlen? Falsche Argumente der Gegner

Mögen die Hoffnungen der Befürworter überzogen sein, so sind die liebsten Argumente der Gegner einer Nachlasssteuer falsch. Oft wird behauptet, dass eine Abgabe auf die Erbschaft zu einer Doppelbesteuerung führe. Der tote Vermögende habe ja schon Abgaben für sein Einkommen an den Staat abgeliefert.

Das ist richtig. Aber es wird nie Geld, sondern immer ein Rechtssubjekt besteuert: Die Erben, die das Vermögen leistungslos erhalten, haben noch nie dafür gezahlt. Sogar wenn man der Kritik folgt, geht sie ins Leere. Denn wir werden ständig doppelt besteuert. Wer eine Tomate im Markt kauft, tut das meist mit schon belastetem Einkommen.

Ein anderes Argument der Gegner lautet, dass Österreich schon Hochsteuerland sei und daher nicht noch eine zusätzliche Abgabe dazukommen dürfe. Wir sind aber ein Hochsteuerland für Arbeit. Die Arbeitskosten sind hierzulande am vierthöchsten unter allen Industrieländern. Zugleich stammt nur etwas mehr als ein Prozent der staatlichen Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern. Vermögen wird also fast gar nicht angetastet.

Aus liberaler Sicht sollte eines beunruhigen: Leistung zahlt sich zu wenig aus. Vermögensaufbau hierzulande gelingt durch Erbschaft vielfach leichter als durch Arbeit. Eine von der Europäischen Zentralbank publizierte Studie der Ökonomen Pirmin Fessler und Martin Schürz zeigt, dass um jenen Sprung in der Vermögensverteilung zu erreichen, der durch eine durchschnittliche Erbschaft gelingt, man in der zehnteiligen Einkommensskala um fünf Dezile nach vorne springen müsste. Das gelingt selten.

Eine Steuer, die besser ist als ihr Ruf

Die Befürworter übertreiben die Vorteile, die Gegner verdammen zu Unrecht. Was gilt also? Die Antwort: Die Erbschaftssteuer ist fernab jeder Ideologie besser als ihr Ruf. Das hat ganz pragmatische Gründe. Ökonominnen und Ökonomen gehen davon aus, dass Preise wirtschaftliche Entscheidungen von Menschen und Unternehmen beeinflussen. Steuern verursachen Kosten, machen Investitionen oder Konsum teurer. Das verzerrt also Entscheidungen. Jemand entscheidet sich etwa dafür, weniger zu arbeiten und die Freizeit zu genießen, weil der Staat hohe Abgaben auf Einkommen erhebt. Das führt zu Wohlstandsverlusten. Aber sterben werden die Menschen auch mit einer Erbschaftssteuer.

Eine Steuer auf Verlassenschaften kann auch negative Folgen haben, etwa Sparen weniger reizvoll machen. Allerdings tut sie das weniger als andere Abgaben. Sie ist verträglicher als die Vermögenssteuer, weil diese laufend Unternehmen belastet, wo Kapital produktiv arbeitet. Eine Erbschaftsteuer erhöht im Gegensatz zu Einkommenssteuern den Arbeitsanreiz. Sie hält kaum von Investitionen und vom Sparen ab: Die Erbschaftssteuer einen Prozentpunkt zu erhöhen mindert das angesparte Vermögen gerade um 0,1 bis 0,2 Prozent, so eine Studie des Ökonomen Wojciech Kopczuk von der Columbia University.

Ein zutiefst liberales Projekt
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Chancengleichheit

Im Gegensatz zur Umsatzsteuer, die ärmere Haushalte stärker belastet, weil diese mehr verkonsumieren, ist sie verteilungspolitisch gerechter. "Erbschaften sorgen dafür, dass Wohlhabende noch mehr Geld zur Verfügung haben. So gesehen ist sie ein Beitrag zu mehr Chancengleichheit", sagt der deutsche Ökonom Stefan Bach, wenn auch vor allem auf "symbolischer Ebene".

Schratzenstaller: "Am Ende ist die Frage, wie setzt man ein Steuersystem so zusammen, dass man Nebenwirkungen minimiert und auf die Verteilung achtet. Da ist die Erbschaftssteuer ein guter Baustein."

Natürlich gibt es Einwände. Ökonom Franz Schellhorn vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria sagt, dass wer den Faktor Arbeit entlasten wolle, bloß den "Ausgabenrausch des Staates" beenden müsse. Da ist angesichts jüngster Milliardenförderungen was dran. Aber warum wäre mehr Entlastung mit der Steuer schlecht?

Praxis-Probleme

Ein anderes Argument lautet: Hohe Abgaben behindern den Vermögensaufbau in Österreich. Das ist richtig. Aber diesen Abgaben stehen Leistungen gegenüber wie Schulen und Straßen. Abgaben zu streichen bringt gerade für untere Einkommensbezieher Nachteile.

Natürlich gibt es viele praktische Probleme. Für Unternehmen kann eine Erbschaftsteuer starke Nachteile mit sich bringen, wenn Erben Unternehmen zerschlagen müssen, um die Kosten zu berappen. Aber es gibt Möglichkeiten der Abhilfe. In Deutschland gelten für Unternehmen großzügige Ausnahmen. In einer Welt voller nicht perfekter Steuern ist die Erbschaftssteuer vielleicht die am wenigsten schädliche. Werden die Einnahmen genutzt, um Arbeit zu entlasten, ist sie ein durch und durch liberales Projekt. (András Szigetvari, 9.9.2023)