Wertschätzung hat im Job für die meisten Beschäftigten einen besonders hohen Stellenwert, wie zahlreiche Umfragen belegen. Eine schlechte Beziehung zu Vorgesetzten gilt hingegen als häufiger Kündigungsgrund. Hat eine Führungskraft also zu einzelnen Mitarbeitenden einen besonders guten Draht, erleben diese sich als erfolgreich, legen sich noch mehr ins Zeug und unterstützen auch ihr Team stärker. So dachte man jedenfalls lange.

Allerdings scheint das nur die halbe Wahrheit zu sein. Forschende der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg und der Erasmus-Universität Rotterdam haben in einer Studie die Schattenseite solcher Erfolgsgefühle beleuchtet und herausgefunden: Fühlen sich Mitarbeitende höher in der Gunst der Chefin oder des Chefs als ihre Kollegen, dann behindern manche von ihnen sogar eher ihre Teammitglieder, als ihnen zu helfen.

Businessfrau wirft Kollegen skeptischen Blick zu
Eine bessere Behandlung durch Vorgesetzte führt laut einer Studie häufig zu arrogantem Verhalten gegenüber den Kollegen.
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Vom Gedankenspiel zum realen Leben

In zwei Online-Befragungen mit mehreren Hundert Teilnehmenden aus Großbritannien und den USA haben die Forschenden untersucht, wie die Beziehung zwischen Führungskraft und Beschäftigten das Verhalten der Mitarbeitenden untereinander beeinflusst. Im Rahmen der Untersuchung führten die Wissenschafter zunächst zwei Gedankenexperimente durch: Die Teilnehmenden lasen eine kurze fiktive Geschichte über ihre Arbeit in einem Team. Entweder wurden sie von der Führungskraft bevorzugt oder genau so behandelt wie andere Teammitglieder. Danach beantworteten die Teilnehmenden Fragen zu ihrem Empfinden von Stolz und ihrem Verhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise ob sie deren Ideen heruntermachen würden oder eher nicht.

In einem zweiten Experiment sollten die Teilnehmenden eine Situation beschreiben, in der sie sich entweder anderen überlegen fühlten oder sie stolz auf etwas Erreichtes waren, ohne sich dabei überlegen zu fühlen. Eine weitere Gruppe schrieb zur Kontrolle ganz unvoreingenommen über einen für sie typischen Arbeitstag. Auch in diesem Experiment beantworteten die Teilnehmenden im Anschluss Fragen zu ihrem Verhalten im Team.

Und wie ist das im realen Arbeitsleben? Das haben die Forschenden wiederum in einer sogenannten Tagebuchstudie mit Berufstätigen aus verschiedenen Branchen untersucht: Die Teilnehmenden berichteten zwei Wochen lang zweimal täglich, wie sie die Behandlung durch die Führungskraft wahrnahmen, was sie dabei fühlten und wie sie sich gegenüber Kolleginnen und Kollegen verhielten, also ob sie beispielsweise hinter deren Rücken schlecht über sie redeten oder ihnen wichtige Informationen vorenthielten.

Wertschätzendes Lob

"Unsere Ergebnisse zeigen: Eine bessere Behandlung durch die Führungskraft führt häufiger zu überheblichem Stolz und arrogantem Verhalten gegenüber den Kolleg:innen", fasst Studienautor Benjamin Korman zusammen, der inzwischen an der Universität Konstanz tätig ist. "Das gilt vor allem, wenn die bevorzugten Mitarbeitenden zu Dominanz neigen und den empfundenen höheren Rang behalten möchten. Dann sind manche sogar bereit, ihren Kolleg:innen zu schaden."

Eine mögliche Erklärung: Mitarbeitende vergleichen sich miteinander und schließen aus einer besonders guten Behandlung durch die Führungskraft eventuell auf einen höheren Rang. "Führungskräfte sollten sich bewusst machen, dass ihr Umgang mit ihrem Team sich darauf auswirkt, wie die Mitarbeitenden miteinander umgehen", empfiehlt Korman. Wie sollten Führungskräfte also vorgehen, damit im Team keine Schieflage entsteht? "Alle Mitarbeitenden wertschätzen und gute Arbeit natürlich auch anerkennen", betont Christian Tröster, Studienautor und Professor für Leadership and Organizational Behavior an der KLU.

"Es kommt jedoch darauf an, wie man jemanden ins Licht stellt", ergänzt er. Führungskräfte sollten Einzelne nur für konkrete Leistungen – am besten im Rahmen eines Zweiergesprächs – loben. Wenn Anerkennung in der Gruppe hervorgehoben wird, dann im Idealfall für das ganze Team oder die Organisation. So könne sich authentischer Stolz entwickeln, der motiviere und zu besseren Leistungen ansporne, ohne dass andere darunter leiden müssten. (dang, 13.9.2023)