Jetzt ist schon wieder was passiert. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung um das Geburtshaus Adolf Hitlers in Braunau ist neu entflammt. Öl ins Feuer gießt der Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Braunau?, der gerade in den österreichischen Kinos anläuft. Er zeichnet ein vielschichtiges Porträt des schwierigen Umgangs der in Braunau lebenden Menschen mit dem "Hitler-Haus" in ihrer Nachbarschaft. Regisseur Günter Schwaiger reflektiert darin auch die verklärende Erinnerung an den Nationalsozialismus in seiner eigenen Familie.

Braunau Hitler Geschichte Österreich
Seit Jahrzehnten wird über die Nutzung des Geburtshauses von Adolf Hitler in Braunau debattiert. Neu entfacht hat die Debatte ein aktueller Dokumentarfilm mit steiler These.
APA/BARBARA GINDL

Die Aufregung entzündet sich daran, dass der Film dieses Stück österreichischer Geschichtskultur nicht bloß dokumentiert, sondern auch vehement Partei ergreift. Schwaiger und sein Mitstreiter, der Braunauer Lokalhistoriker Florian Kotanko, ziehen aus einem Zeitungsartikel von 1939 über Hitlers Widmung des Hauses für die NSDAP-Kreisleitung einen gewagten Schluss: Die geplante Errichtung einer Polizeistation auf Anordnung des Innenministeriums sei als "administrative Nutzung" ganz "im Sinn Hitlers". Ihre Sympathie gilt der vormaligen Nutzung durch den Verein Lebenshilfe, der Menschen mit Beeinträchtigung begleitet.

Unkritischer Zugang

Obgleich ich diese Sympathie teile, halte ich das Schwingen der Hitler-Keule für problematisch in sowohl geschichtswissenschaftlicher als auch geschichtspolitischer Hinsicht. Das geschichtswissenschaftliche Problem betrifft den unkritischen Umgang mit dem zum "Archivfund" stilisierten Zeitungsartikel aus dem Onlineportal Anno der Nationalbibliothek. Was ist der Tatsachengehalt dieser Quelle? Die in den Lokalnachrichten der Regionalzeitung Neue Warte am Inn vom 10. Mai 1939 versteckte Kurzmeldung besagt, dass über Wunsch des "Führers" dessen Geburtshaus für Kanzleiräume der Kreisleitung umzubauen sei. Eine entsprechende Anordnung Hitlers lässt sich damit zwar nicht ausschließen, aber auch nicht hinreichend belegen.

Mehr noch, die bevorzugte Lesart, dass Hitler eine "administrative Nutzung" des Hauses verlangte, scheint fraglich. Einerseits hatte der "Führer" im Mai 1939, mitten in den diplomatischen und militärischen Vorbereitungen eines Weltkrieges, wohl andere Sorgen als die Raumnöte der Braunauer NSDAP. Andererseits kam der Stadt- und Parteiführung unter Bürgermeister und Kreisleiter Friedrich Reithofer die Zeitungsmeldung gerade recht. Sie befand sich im Clinch mit dem Ratsherrn und Gauheimatpfleger Eduard Kriechbaum, der gegen den Ausbau Braunaus zum Industriezentrum in "amerikanischem Tempo" durch das Aluminiumwerk in Ranshofen agitierte. Er wollte die Stadt als Tourismusoase positionieren – mit Hitlers Geburtshaus als "nationalem Wallfahrtsort" des "Dritten Reiches".

Alternative Lesart

Damit gewinnt eine alternative Lesart Kontur: dass die Braunauer "Betonierer" um Reithofer den "Führerwillen" allzu frei ergründeten und die Meldung in ihrer Hauspostille lancierten, um den "Heimatschützern" um Kriechbaum den Wind aus den Segeln zu nehmen. Übrigens zog die Kreisleitung allem Anschein nach nie in Hitlers Geburtshaus ein. All diese Kontextinformationen stammen nicht aus Geheimdokumenten, sondern aus im Internet unter braunau-history.at veröffentlichten Quellen. Dennoch wurden sie in der aktuellen Debatte bislang völlig ignoriert.

Selbst wenn sich Hitlers Zweckwidmung durch weitere Quellen belegen ließe, bleibt das geschichtspolitische Problem: Die Einrichtung einer Polizeistation setze die von Hitler gewünschte "administrative Nutzung" nachträglich um. Damit schießen die Braunauer Aktivisten maßlos übers Ziel: Die Bundespolizei von 2023 ist nicht die Nazi-Partei von 1939. Ob Schwaiger und Kotanko damit ihrer Sache einen guten Dienst erweisen, darf bezweifelt werden.

"Der Masterplan, das Haus durch einen millionenteuren Umbau in eine Polizeistation zu "neutralisieren", mag architektonisch ambitioniert sein – geschichtspolitisch wirkt er hilflos."

Fragwürdig scheint aber auch der geschichtspolitische Kurs der Wiener Zentralbehörden. Das Innenministerium setzte zwar eine beratende Expertenkommission zur Nutzung des "Hitler-Hauses" ein. Jedoch waren die Akteure vor Ort nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen und fühlen sich nun "überfahren" – das wird in den Statements im Film allzu deutlich. Der Masterplan, das Haus durch einen millionenteuren Umbau in eine Polizeistation zu "neutralisieren", mag architektonisch ambitioniert sein – geschichtspolitisch wirkt er hilflos. Die dem "Hitler-Haus" seit über 80 Jahren zugeschriebenen Deutungen, welcher Art auch immer, lassen sich nicht obrigkeitsstaatlich wegverordnen. Alt- und Jungnazis werden sich davon kaum abhalten lassen, an ihren Wallfahrtsort zu pilgern – auch das zeigt der Film.

Statt dieses defensiven Kurses bräuchte es eine geschichtspolitische Offensive um diesen umkämpften Gedächtnisort. Eine lebendige, gegen Faschismus und auf Demokratie gepolte Geschichtskultur erfordert jedenfalls die Partizipation der Menschen, die an diesem Ort leben – und mit ihm leben müssen. Wie des im Film auftretenden Passanten, der den von einem Hitler-Verehrer vor dem Geburtshaus niedergelegten Kranz wütend in einen Mülleimer wirft. (Ernst Langthaler, 12.9.2023)