Himmel, was sind sie süß und amüsant, die italienischen Aufschnittbuden mit ihren roten und orangefarbenen Getränken, serviert von gar charmanten jungen Buben, die uns Wienerinnen und Wiener so köstlich um den Finger zu wickeln wissen und servieren dürfen, was sie wollen, zu Preisen, die uns doch ein bisserl schlucken lassen. Zahlen wir aber gerne, na claro, wollen uns schließlich auch so federleicht und italienisch fühlen dürfen. Prosciutto und Mozzarella molto grazie, bissl Salami, poco Mortadella – die paar Fettaugerln machen das Extrawürschtl schließlich auch nicht fett. Und hinterher un Cannolo zum Cappuccino, mir san ja eh fast in Italien, vero?

Carmelo Valenti und Antonio Mungiguerra haben die Hemden nicht ganz so weit auf wie manche Kollegen, sie gehen es ein klein wenig verhaltener, seriöser, einer diskreten Idee vom italienischen Locale entsprechend an. Sicher, die Aufschnittmaschine ist hier auch in Betrieb, wird mit selbst Importiertem aus dem tiefen Süden in Schwung gehalten. Auch Pizza al taglio wird in den Ofen geschoben, schließlich waren die Beiden selber Pizzaiolos, Pizza Mari’, wo denn sonst.

Zwei Männer, die vor einer Vitrine in einem Lokal stehen.
Carmelo Valenti (li.) aus Catania und Antonio Mungiguerra (re.) aus Neapel zeigen der Josefstadt, wie Süditalien schmeckt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Aber es gibt hier auch ganz andere Sachen. Solche, die zwischen zwei Schluck Prosecco oder Aperol nicht wie von selbst im Schlund verschwinden. Genüsse, die man wollen muss. Essen, für das man sich bisher wirklich nach Neapel zu verfügen hatte, oder nach Sizilien. Pasta e Patate con Provola zum Beispiel, Arme-Leute-Küche wie sie im Buche steht: Pasta mista, ein Mix an Pastaformen von Maccheroni bis Farfalle und allem anderen, das in der Pastamanufaktur einst zusammengekehrt und zum Diskontpreis an Bedürftige abgegeben wurde, wird in einem suppigen Sugo mit ein bissl Soffrito, Erdäpfeln, Wasser und einer alten Parmesanrinde gegart.

Eintopf aus Pasta, bei dem aus fast gar nix ein Gericht von großer Harmonie, deftiger Eleganz wird. Ganz besonders, wenn zum Schluss eine Handvoll geriebener Provola-Käse drunterkommt, worauf sich beim Löffeln der cremig molligen, gleichzeitig auch dezidiert bissfesten Köstlichkeit unanständig lange Käsefäden ziehen. Sowas nimmt man in Wien nur auf die Karte, weil man es zu allererst einmal selber essen will – und ganz fest daran glaubt, dass auch die lieben Gäste auf den Geschmack kommen werden. "Wer kostet, kommt wieder", sagt Carmelo und zuckt die Schultern.

Oder Pasta con fagioli e cozze, mit in Muschelsud gegarten Bohnen und ziemlich zerfetzten (aber ganz zarten) Muschelfleischpartikeln in cremiger Sauce, die eine ganz unwahrscheinliche Fülle an Meeresduft und Frische in jeden Löffel zu packen versteht. Tagsüber ist schnelles Essen die Sache, mit Pizza al taglio und Pasta al forno, da wird man um wenig Geld (Teller Pasta um die acht Euro) sehr köstlich satt. Es gibt aber auch da spezielle Sachen, die Parigina zum Beispiel, eine Art Pizza vom Blech, die mit Paradeis, Schinken und Käse belegt und vor dem Backen mit Blätterteig bedeckt wird. Was soll man sagen – die Schinken-Käse-Toasts der Stadt kriegen aus unerwarteter Ecke Konkurrenz.

Polpo molto puro

Oktopussalat auf einem Teller
Der Oktopussalat kommt pur, nur mit etwas Knoblauch, Zitronensaft und Olivenöl, auf den Tisch.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Was man sonst noch wollen muss? Oktopussalat! Vollkommener Purismus, nix als mürbe, saftige Stücke, angemacht mit bissl Knoblauch, ordentlich Zitronensaft und etwas Olivenöl. Besser hat diese Essenz von Ferien und Meer in Wien noch nie geschmeckt. Und abends, wenn im Hinterzimmer einige Tische aufgedeckt sind? Dann kann man auffahren lassen. Dann wird wohl auch gegrillte Salsiccia aus Benevento dabei sein, sehr gut und sehr fleischig. Oder Parmigiana di melanzane, pur und klassisch. Oder Branzino im Ganzen, mit Oliven, Kapern und Kirschtomaten aus dem Rohr geholt, wie man ihn im Süden liebt. Ach ja: Aperol haben sie hier, glaub ich, eh auch. Aber der Gin aus Sizilien kann’s besser. (Severin Corti, 15.9.2023)