Kornfeld mit Windrädern in Sachsen-Anhalt
Ein Überschuss an erzeugter Windenergie kann nicht nur im Stromnetz zu Problemen führen, auch die Erzeugenden haben dadurch häufig Nachteile. Im Burgenland entsteht nun eine Pilotanlage, um auch diese Überschüsse sinnvoll nutzen zu können.
APA/dpa/Jan Woitas

Warum Windkraftbetreiber Wasserstoff lieben, lässt sich anhand einer skurrilen Geschichte erzählen: Es ist Freitag mittags. Endlich bläst ein ordentlicher Wind. Alle Windräder drehen sich. Es wird so viel Strom erzeugt, dass Österreich kurzfristig zu 100 Prozent erneuerbare Energie produzieren und verbrauchen könnte. Aber plötzlich kommt die Meldung aus den Lastverteilern der E-Control: Es ist genug. Es gibt keine Verbraucherinnen und Verbraucher mehr. Europa macht die Luken dicht fürs Wochenende. Der Wind aber bläst weiterhin. An der Strombörse fallen die Preise, niemand will den Strom abnehmen. Wer weiterhin Strom liefert, bekommt kein Geld, sondern zahlt eine Pönale.

Problematischer Starkwind

Was kurios klingt, hat physikalische Gründe. "Im Stromnetz kann immer nur genau so viel Strom zirkulieren, wie gerade benötigt wird", sagt Marcus Keding. Er leitet die Forschung Burgenland, eine Forschungseinrichtung, die sich zu gut 75 Prozent im Eigentum der FH Burgenland und zu knapp 25 Prozent im Eigentum der Wirtschaftsagentur Burgenland befindet.

Wenn es zu wenig Stromverbrauch gibt, etwa in der Nacht oder am Wochenende, ist der schönste Starkwind keine Einnahmequelle, sondern eher ein Problem. An manchen Starkwindtagen kann es dann vorkommen, dass Windkraftbetreiber einen Teil ihrer Anlagen stilllegen müssen. "Das schaut für Laien dann so aus, als ob einige Windräder kaputtgegangen wären."

Währung statt Belastung

Laufen die Windräder weiter, wird Strom zu Negativpreisen produziert. So kann es Tage geben, an denen für den Betrieb der Windräder im Burgenland 40.000 Euro Strafe gezahlt werden, sagt Keding. Denn in der Logik der Netzbetreiber muss nun etwa ein "selbstloses" Speicherkraftwerk einspringen und seine Pumpen anwerfen, um den Überschussstrom zu verbrauchen. Der Verbund pumpt damit etwa Drau-Wasser hinauf in den Stausee hinter der Kölnbrein-Sperre. Physikalisch ist so alles wieder gut. Verbrauchter und erzeugter Strom halten sich die Waage. Für Windstromproduzierende ist die Situation ökonomisch eher unbefriedigend.

Wer als Windkraftbetreiber daher Wasserstoff produzieren könnte, der hätte es gut. Denn damit wird der Überschussstrom plötzlich zu einem Geschäft. Kein Windkraftbetreiber müsste mehr händeringend zwischen Pest und Cholera entscheiden, also Strafe zahlen oder Windräder abschalten. Jede Kilowattstunde des überschüssigen Wochenend- oder Nachtstroms könnte vor Ort gespeichert werden.

Die Methode, die das ermöglicht, die Elektrolyse, ist ausgereift. Sie wurde in Zeiten der Industrie 1.0 erfunden und schon von Jules Vernes im 19. Jahrhundert gelobt, der grünen Wasserstoff als "Kohle der Zukunft" rühmte. "Für die Wasserstofferzeugung vor Ort braucht es nicht viel", sagt Keding, "nur Wasser und einen Elektrolyseur."

Nachhaltige Geschäftsmodelle

Mit diesem Apparat können die Wassermoleküle per Elektrolyse fein säuberlich mit dem "Strafzoll-Strom" in ein Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatome getrennt werden. Wasserstoff-Abnehmer gibt es genug. Denn klimaneutral produzierter Wasserstoff wird der neue Rohstoff für so ziemlich alle Kohlenwasserstoffverbindungen, die bislang aus fossilen Quellen stammten. Im Burgenland probt Keding nun die grüne Wasserstoff-Zukunft Österreichs. Dabei geht es nicht nur darum, klimaneutral zu werden, sondern auch darum, dass nachhaltige Geschäftsmodelle entstehen.

Dafür hat Keding Forschungsgelder von FFG, Green Energy Lab und dem Klimafonds des Klimaschutzministeriums eingeworben und sich aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRA) einen modernen Elektrolyseur angeschafft. Den hat er strategisch an einem Energieknotenpunkt in Neusiedl am See platziert. Die Windräder auf der Parndorfer Platte sind nah und an dem Projekt sind selbstverständlich auch die Burgenland Energie und die Gemeinde Neusiedl beteiligt. Der Elektrolyseur sei zwar noch ziemlich klein und könne erst wenig Wasserstoff erzeugen, sagt Keding: "Aber das ist Absicht."

Zuerst sollen einmal alle Beteiligten mit dem Produzieren und dem Umgang mit dem neuen Energieträger vertraut werden. "Das gelingt mit einer kleinen Demo-Anlage besser als mit einer großen." Man will in anwendungsorientierter Forschung Erfahrungen sammeln und auch reale Produktionsbedingungen erforschen. Denn bekanntlich steckt der Teufel oft im Detail.

Windparks rüsten auf

Spätestens in eineinhalb Jahren soll die Anlage in Betrieb gehen. Abnehmer für den erzeugten Wasserstoff hat Keding genug. Denn die Gemeinde Neusiedl betreibt ein Wärmekraftwerk, ein Fernwärmenetz und eine große Wärmepumpe. Auch diese kann mit Überschussstrom betrieben werden. Jetzt werde man untersuchen, wann es sich auszahlt, zusätzlich Wasserstoff via Brennstoffzellen zu verstromen. Etwa an Starkwindtagen, aber nicht nur.

Zudem wolle man Wasserstoff für die Gebäudeheizung via Brennstoffzellen am Forschung-Burgenland-Standort Pinkafeld testen und unter Umständen Busse per Brennstoffzellen via Wasserstoff aus Überschussstrom betreiben.

Hat man genug Erfahrungen gesammelt, soll die Elektrolyseanlage in die Höhe skaliert werden. Modul um Modul. Denn auch wie groß die Wasserstoffproduktion werden soll, ist eine Forschungsfrage, sagt Keding. "Es geht darum, das Größenoptimum für die Geschäftsmodelle unserer Forschungspartner auszuloten." Über Wasserstoffabnehmer in Großchargen braucht sich aber auch niemand Sorgen machen. Die OMV ist nicht weit. Sie will sich in einer klimaneutralen Zukunft auf die Produktion von Sustainable Aviation Fuels (SAF) spezialisieren. Und für grünes Kerosin ist grüner Wasserstoff ein möglicher Rohstoff.

Zukunftsmusik

Dasselbe gilt für die klimaneutrale Stahlproduktion. Auch die benötigt grünen Wasserstoff in rauen Mengen. "Die Voestalpine ist zwar nicht an unserem Projekt beteiligt. Aber auch sie erprobt im Burgenland die Wasserstoffelektrolyse aus Windkraftstrom."

Geht alles gut, könnten die neuen Wasserstoffgeschäftsmodelle dazu beitragen, mehr Tempo in Richtung der Klimaneutralität zu bringen. So wie im Burgenland werden in vielen Windparks Europas gerade Elektrolyseanlagen entwickelt, um in die Höhe skaliert zu werden. Die Vision ist jedenfalls klar: Österreich soll bis 2040, Europa bis spätestens 2050 klimaneutral werden. (Norbert Regitnig-Tillian, 18.9.2023)