Im Community-Artikel plädiert Rechtsanwalt Johann Schilchegger für ein offeneres Denken bei der Nachfolgeplanung.

Jeder von uns ist einzigartig und in gewissem Sinne auch unersetzlich. Das mag unbescheiden klingen, zeigt sich aber besonders deutlich bei gründergeführten Unternehmen, sobald sich erste Alters- oder Überforderungsanzeichen einstellen. Natürlich ist man heutzutage mit 60 something noch topfit, Ärzt:innen finden für einen dritten Stent locker Platz, und überhaupt lässt sich neuerdings auch aus der Reha tadellos online weiterarbeiten. Allein die Vorstellung, "meinen" Betrieb jemals in andere, also notgedrungen zweitbeste Hände übergeben zu müssen, erscheint emotional unerträglich, de facto unmöglich und infolgedessen geradezu absurd. Veränderung bedeutet in dieser Denkweise das Eingeständnis eigener Schwäche und struktureller Ineffizienz, mindestens aber den Abschied von gewohnten Handlungsmustern und Bequemlichkeiten.

Das "Waldrapp-Dilemma"

Ähnlich ergeht es dem Waldrapp. Der renommierte Biologe und Verhaltensforscher Kurt Kotrschal beschreibt in seinem Buch "Mensch – woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen" den Waldrapp als einen auf ein bestimmtes Futterareal fokussierten Vogel, der (wohl nicht zuletzt deswegen) vom Aussterben bedroht ist und im Rahmen eines aufwendigen Forschungsprojekts an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau nach 350 Jahren Absenz 1997 wieder angesiedelt werden konnte. Das Problem: Seine Nahrungssuche beschränkt sich auf bestimmte Wiesen rund fünf bis zehn Kilometer entfernt von den Brutstätten, und zwar auf immer dieselben, unabhängig davon, ob in benachbarten Böden allenfalls mehr Würmer, Engerlinge und Insekten zu finden wären.

Zwei Waldrappen sitzen auf einem Zaun
Der Waldrapp ist in seiner Nahrungssuche sehr eingeschränkt. So lassen sich manchmal auch Nachfolgeplanungen beschreiben.
APA/dpa/Felix Kästle

Solange sich die Kolonie noch irgendwie am angestammten Futterplatz ernähren kann, käme auch kein Jungtier jemals auf die Idee, sich nach besseren Alternativen umzusehen. Erst in letzter Konsequenz, sobald das gewohnte Territorium lebensbedrohlich erschöpft oder von Fressfeinden belagert ist, begeben sie sich auf die Suche nach neuen Futterplätzen, ohne dies jemals gelernt oder gewollt zu haben. Das wird in der Wissenschaft sehr treffend als "ökologische Irrationalität" bezeichnet.

Ebenso irrational verhalten wir Menschen uns üblicherweise in der Nachfolgeplanung. Am liebsten ignorieren wir jedes Erfordernis diesbezüglicher Veränderung. Ersatzweise beharren wir auf dem Primat der Familie, obwohl nicht erst seit Bismarck allgemein bekannt sein sollte, dass die genetischen Abkömmlinge nicht immer auch die geeignetsten Unternehmenslenker:innen und zuverlässigsten Versorger:innen ihrer Angehörigen sind. Eigentlich könnte man es aber besser machen als der vom Aussterben bedrohte Waldrapp, nämlich rechtzeitig die bequemen Pfade verlassen und einen Blick auf Nachbarwiesen werfen, wo sich vielleicht einige begabte Talente und eine Reihe rechtlicher Möglichkeiten für außerfamiliäre Arrangements tummeln.

Zweifellos würde das letzten Endes nicht nur dem Unternehmen und einem selbst helfen, sondern auch dem überforderten Nachwuchs, der vielfach schon lange kein junger Waldrapp mehr sein wollte, sondern Geigenbauer:in, Pilot:in, Kindergartenpädagog:in oder Weltraumforscher:in. (Johann Schilchegger, 14.9.2023)