Man kann das Ewiggestrige auch übertreiben. Wie etwa dann, wenn nationalsozialistische Wiederbegeisterung allein den heimischen Freiheitlichen nicht mehr ausfüllt und daher nach austrofaschistischen Rezepten aufgepeppt werden soll. Die Rettung Wiens aus der Türkengefahr hat mit mehrhundertjähriger Verspätung schon Engelbert Dollfuß instrumentalisiert, um sich daraus einen Vorwand für seine christliche Diktatur zu schneidern. Jetzt sucht die Kickl-Truppe in europäischer Umgebung Verbündete für eine Erneuerung der Idee. Diesmal sollen die Türken vor Wien von 1683 als Geburtshelfer einer rechtsextremen Volkskanzlerschaft fungieren und gleichzeitig als Kronzeugen gegen die Türken in Wien von 2023 (alle Migranten mitgemeint) herhalten. Das alljährliche Jubelfest dazu soll am 12. September stattfinden.

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Seine Partei attackiert Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: FPÖ-Chef Herbert Kickl.
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Zwar waren es geistige Väter unserer Freiheitlichen, die mit Dollfuß nicht so gut konnten, aber das ist noch lange kein Grund, dessen Idee nicht zu übernehmen. Lässt sich damit doch heute die Angst vor einer Umvolkung schüren, so wie damals die Angst vor zu viel der Demokratie. Wer sein politisches Geschäft überwiegend in Fremdenfeindlichkeit betreibt, darf keine Gelegenheit auslassen, der autochthonen Bevölkerung vorzuführen, dass nur er sie vor Gefahren der Fremde bewahren kann.

Nichts anderes hat der sogenannte Kultursprecher der Wiener Freiheitlichen versucht, als er seines Amtes waltete und in bester, seit Jörg Haider begründeter Parteitradition Elfriede Jelinek beflegelte. Man muss dazu erinnern, worauf sich seine Empörung bezog. Natürlich zunächst darauf, dass Jelinek überhaupt Ehrenbürgerin von Wien werden durfte. Und dann auf ihre Feststellung bei der Überreichungszeremonie. Sie sagte: In einem Land, wo so viele Landeshäuptlinge ohne Not und Zwang mit Protofaschisten, Neofaschisten und Neonazis zusammengehen, muss man Wien mit seiner Multikulturalität und Integrationskraft des Fremden hochhalten.

Positiver Hinweis

An den Faschisten und Neonazis in dieser Feststellung wird sich der Kultursprecher kaum gestoßen haben. Er will nur nicht, dass man sie überall sieht. Was seine Empörung auflodern ließ, war der positive Hinweis auf in Wien vorhandene Multikulturalität und Integrationskraft. Wer in jedem nicht hier Geborenen ein verderbliches Element des Bevölkerungsaustausches sieht, dem ist jedes Plädoyer für ein friedliches Zusammenleben eine pathologische Zumutung. Den Satz musste der Kultursprecher zunächst gar nicht kennen, die Freiheitlichen haben gegen die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Elfriede Jelinek gestimmt. Eines muss man ihm und seinen Gesinnungsgenossen indes zugutehalten: Noch haben sie nicht dazu aufgerufen, Jelineks Bücher zu verbrennen. Aber Österreich hat ja auch noch keinen Volkskanzler. Vorerst muss noch reichen, dass ein blauer Schnösel den Wienerinnen und Wienern auf Plakaten versichert, er lasse sie nicht im Stich.

Wer auf die Rezepte eines Dollfuß zurückgreifen muss, darf sich auch an den Phrasen der Haider-Zeit berauschen. Die FPÖ ist ja nicht für ihren Hang zu Originalität bekannt. Den Wählerinnen und Wählern ist damit allerdings auch in Erinnerung gerufen, dass sie seit Haider von niemandem so oft im Stich gelassen wurden wie von ihm und allen, die ihm in Partei und Regierungen folgten. (Günter Traxler, 14.9.2023)