Die Slowakei feierte Anfang dieses Jahres ihren dreißigsten Geburtstag, doch von der Aufbruchsstimmung der frühen 1990er-Jahre ist heute im Land nicht mehr viel übrig. Ende September stehen Parlamentswahlen an, die für die Zukunft des Landes ausschlaggebend sein könnten. Auf Platz eins bei den Meinungsumfragen rangiert derzeit Robert Fico, kein unbeschriebenes Blatt. Bereits drei Amtszeiten lang war er Ministerpräsident der Slowakei, in seiner letzten musste er zurücktreten, nachdem 2018 der junge Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte ermordet wurden. Es war die Stunde der Hoffnung in der Slowakei, als nach den Wahlen im März 2020 die neue Regierung unter Ministerpräsident Igor Matovič versprach, gegen die Korruption anzukämpfen. Doch stattdessen folgten drei Jahre des Chaos, der fliegenden Wechsel und Neubesetzungen in der Regierung, bis nach mehreren Regierungsumbildungen für 30. September 2023 vorzeitige Neuwahlen beschlossen wurden.

Robert Fico bei einer Wahlkampfveranstaltung. Der Politiker ist in der linken Bildhälfte zu sehen, vor schwarzem Hintergrund spiegelt sich orange-rötliches Licht.
Steht Umfragen zufolge vor einem Wahlsieg: der slowakische Ex-Premier Robert Fico.
Foto: EPA / Martin Divisek

Nun, während sich in der Bevölkerung Enttäuschung und Misstrauen über das Versagen der Regierung breitmachen, kehrt Fico mit seiner bereits totgesagten Partei Smer zurück und sammelt die Stimmen der Verdrossenen, der Älteren und jener, die sich nach Autorität sehnen, und das sind überraschend viele. Sollte er stimmenstärkster Kandidat werden, droht dem Land ein Abdriften von einer liberalen Demokratie hin zu einem autokratischen Regime wie in Ungarn und Europa kommt ein strategisch wichtiger Verbündeter gegen Russland abhanden. Denn Fico fährt diesmal einen stark prorussischen, anti-westlichen Kurs und arbeitet gezielt mit dem Narrativ der Ukraine und dem Westen als den wahren Schuldigen dieses Konflikts. Und trifft in der Bevölkerung damit erstaunlicherweise auf offene Ohren.

Chaotisches Durcheinander

Wie kann es sein, dass die Slowakei, in der Vergangenheit doch bereits von Russlands Herrschaft gebrandmarkt, sich ausgerechnet jetzt diesem Land positiv zuwendet?

Im Gegensatz zu Tschechien ist Russland in der Slowakei nie wirklich als Feindbild wahrgenommen worden. Selbst in den vergangenen 20 Jahren, in welchen die Slowakei sich westlich orientierte und der EU sehr positiv gegenüberstand, sah man Russland nie als böse an. Der Kommunismus hat gerade den ärmeren Menschen auf dem Land durch die Industrialisierung viel Gutes gebracht, und vor allem die ältere Generation hat das Gefühl, dass man sich damals "um sie kümmerte". Im Gegensatz dazu herrscht in der heutigen Demokratie der Slowakei ein chaotisches Durcheinander an unzähligen Kleinparteien, die zumeist auf dem Ego der einzelnen Politiker fußen statt auf konkreten Parteiprogrammen. Und da präsentiert sich Fico als einer, der mit einem recht einfachen Narrativ den Menschen verspricht, das Land wieder zu einen und den Staat mit einer starken Hand aus dem Chaos in die Ordnung zu führen.

Einfache Botschaften

Ein autokratisches System hat für viele etwas seltsam Tröstendes: Simplizität. Und einfach ist die Message von Fico allemal. Osten gut, Westen böse. Autoritäre Systeme ziehen immer Menschen an, die sich mit Meinungsverschiedenheiten grundsätzlich schwertun und Pluralität nicht gut aushalten. Ein demokratischer Diskurs bedeutet Diskussion, Toleranz und eine Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, und das ist vielen schlicht zu komplex.

Und damit will ich Slowaken nicht als einfältig darstellen oder zumindest nicht als einfältiger als die Bürgerinnen und Bürger anderer Länder, die ebenfalls den Verlockungen der simplen Parolen rechtspopulistischer Parteien und ihrer autokratischen Tendenzen verfallen, und diese sind längst nicht mehr nur in Osteuropa anzutreffen: Man denke etwa an Großbritannien und den Brexit, oder an die USA unter Donald Trump.

"Ein Erbe der kommunistischen Diktaturen ist eine relativ hohe Toleranz für steile Machthierarchien."

Hinzu kommt, dass hier ein ganz altes, konservatives Wertesystem bedient wird, das tief in die Psyche vieler Menschen eingegraben ist. Das Ideal der Uniformität, die der Kommunismus seinen Bürgerinnen und Bürgern aufzwang, ist in vielen Köpfen noch immer die einzig zulässige Daseinsform. Das zeigt sich auch in der offen ausgetragenen Ablehnung gegenüber der LGBTQ- Community und der Fremdenfeindlichkeit. Hier wird Menschen inmitten eines globalen gesellschaftlichen Wandels vorgegaukelt, man würde dafür sorgen, dass alles beim Alten bliebe. Das mag trösten. Aber es ist ein Versprechen, das nur mit autoritären Mitteln zu erfüllen ist. Vielen ist das recht.

Nur wenige Politikerinnen

Ein weiteres Erbe der kommunistischen Diktaturen in vielen ehemaligen Ostblockstaaten ist nämlich eine relativ hohe Toleranz für steile Machthierarchien und eine gewisse Affinität zu maskulinen, dominanten Figuren, wie Wladimir Putin und Robert Fico es sind. Auch in der slowakischen politischen Landschaft finden sich nur wenige Frauen. Die bekannteste unter ihnen, Staatspräsidentin Zuzana Čaputová, hat in den letzten Jahren einige Male regulierend in das Chaos der amtierenden Regierungen eingegriffen und sich immer wieder für Rechtsstaatlichkeit und Moral starkgemacht. Doch dafür musste sie sich nicht nur mit heftigen Anfeindungen gegen sie und ihre Familie, sondern auch Demütigungen ob ihres äußeren Erscheinungsbildes auseinandersetzen. Sie kündigte an, nach Auslaufen ihrer Amtszeit im kommenden Jahr nicht wieder zu kandidieren. Sie sei schlicht "zu erschöpft".

Trotz derzeit düsterer Prognosen bleibt zu hoffen, dass die demokratischen Kräfte das Ruder noch herumreißen können. Nur wenige Prozente hinter der bei Umfragen auf Platz eins rangierenden Smer steht die linksliberale Partei Progressive Slowakei. Ihr Vorsitzender Michal Šimečka ist mit 39 Jahren einer der Jüngsten auf dem politischen Parket. Es gibt sie also, die junge Generation, die statt in die Vergangenheit endlich in eine Zukunft blicken will, die grün, liberal und modern ist. Es bleibt der Slowakei sowie Europa zu wünschen, dass es ihnen gelingen möge. (Susanne Gregor, 17.9.2023)