Martha Schultz
"In der nächsten Duden-Ausgabe will ich 'Rabenmutter' nicht mehr finden." Martha Schultz will Bewusstsein schaffen
APA/EXPA/JOHANN GRODER

Martha Schultz sagt, es habe sie mit "stiller Zufriedenheit" erfüllt, dass Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer beim ORF-Sommergespräch den Ausbau der Kinderbetreuung versprach. Nun stellt sie weitere Forderungen an die Landeshauptleute, die sich am Montag treffen. Auf die Qualität komme es an, Vergleichbarkeit und Transparenz – nur das bringe echte Wahlfreiheit für Eltern.

STANDARD: Bundeskanzler Karl Nehammer hat angekündigt, die Betreuungsplätze für unter Dreijährige massiv ausbauen zu lassen. Zufrieden?

Schultz: Dass jetzt so viel Geld in die Hand genommen wird, freut mich sehr. Es war ein harter Kampf, wir Sozialpartnerinnen haben auch starken Druck gemacht – da waren wir alle einig. Der Kanzler war hier von Anfang an sehr unterstützend, anders als so manche andere.

STANDARD: Wen meinen Sie?

Schultz: Das ist verschüttete Milch. Jetzt ist es so, ich freue mich, und wir müssen dafür sorgen, dass wir qualitativ hochwertige Betreuung bieten können. Da gibt es viel zu tun.

STANDARD: WKO-Präsident Harald Mahrer hat Anfang August ebenfalls den Ausbau der Kinderbetreuung gefordert – und die Gesamtkosten auf 6,3Milliarden Euro beziffert. Wird hier schon wieder zu wenig investiert?

Schultz: Vorerst kommen wir mit 4,5 Milliarden gut über die Runden – wenn wir das Geld richtig einsetzen. Das oberste Ziel sind natürlich 6,3 Milliarden – denn es geht ja nicht nur um die Kleinsten. Wir brauchen Top-Betreuung bis zum Ende der Schulpflicht – am Nachmittag, aber auch in den Ferien. Wir kämpfen im Inland, aber auch auf dem europäischen Arbeitsmarkt um Top-Kräfte, da müssen wir Sicherheit in der Betreuung bieten können. Und ich wünsche mir echte Wahlfreiheit für Eltern, vorher gebe ich keine Ruh’.

STANDARD: Sie treten für den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr ein. Das kommt nun nicht. Kritisieren Sie das?

Schultz: Das macht vorerst nicht viel aus. Wenn wir es richtig angehen, bis in die Gemeinden hinein, ist am Ende genau dieser Rechtsanspruch auch realisierbar. Ich fordere die Landeshauptleute auf, sich in ihren Ländern jeweils die Best-Practice-Beispiele anzusehen – und das dann flächendeckend anzustreben. In Lienz etwa hat man sich mit acht Umlandgemeinden zusammengeschlossen und hat dadurch ein sehr gutes Angebot geschaffen – um solche Modelle wird es in ganz Österreich gehen. Und es muss für die Eltern leistbar sein. Ich sage nicht: "alles gratis"; man kann, gestaffelt, schon einen Beitrag leisten – aber eben sozial verträglich.

STANDARD: Soll Kinderbetreuung steuerlich absetzbar werden?

Schultz: Auf jeden Fall. Dafür bin ich schon immer eingetreten, und ich bleibe dabei.

STANDARD: Sie wollen qualitätsvolle Betreuung – was meinen Sie konkret?

Schultz: Ich ersuche die Frauen- und Familienministerin dringend, hier eine rasche bundesweite Bedarfserhebung zu machen. Wir brauchen so rasch wie möglich einen Qualitätskriterienkatalog, der bundesweit gilt. Da geht’s etwa um einen guten Betreuungsschlüssel, Gruppengrößen, Öffnungszeiten und Schließtage, aber auch Mehrsprachigkeit. Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive, bundesweit einheitliche Gehaltsschemata und gleiche Arbeitsbedingungen. Und nicht zu vergessen die inhaltliche Komponente: Die Elementarstufe muss, wie Volksschulen, einen einheitlichen Lehrplan bekommen. Wir brauchen die beste Kinderbildung. Jedes Kind hat den Anspruch auf gleich gute Chancen im Leben, von Anfang an.

STANDARD: Wie wollen Sie die Vereinheitlichung sicherstellen?

Schultz: Das könnte ich mir nach dem One-Stop-Shop-Prinzip vorstellen. Es muss eine Datenbank geben, in der ich, wenn ich etwa von Wien nach Schwaz umziehen möchte, sofort sehe, welche Kinderbetreuungsmöglichkeiten es dort gibt. Man kann nicht von den Menschen verlangen, flexibler zu werden, wenn sie nicht wissen, worauf sie sich etwa in Sachen Kinderbetreuung einlassen. Wenn alles transparent ist, wird automatisch ein Wettbewerb um die Bereitstellung der besten Betreuungsplätze einsetzen.

STANDARD: Soll die Ausbildung von Elementarpädagoginnen auf Hochschulniveau bleiben?

Schultz: Das ist grundsätzlich eine gute Sache und geht in Richtung Qualitätsoffensive. Aber darüber hinaus werden wir auch Personal brauchen, das keine Matura hat und etwa im Rahmen eines dualen Systems den Beruf erlernt. Wir brauchen ausreichend Personal, und das sicherzustellen wird nicht einfach.

STANDARD: Im Pflichtschulbereich werden die Landeslehrer von den Ländern eingestellt, und der Bund zahlt. Schwebt Ihnen das beim Kindergartenpersonal auch so vor?

Schultz: Ich lege mich da nicht fest. Ich bin überzeugt davon, dass man eine kluge Lösung findet, wenn man nur will. Klar ist jedenfalls: Eine Elementarpädagogin oder ein Elementarpädagoge muss im Burgenland gleich viel verdienen wie in Tirol.

STANDARD: Wie kommt’s, dass die ÖVP plötzlich Ja zur institutionellen Kinderbetreuung sagt?

Schultz: Ich stelle seit einiger Zeit fest, dass hier über die meisten Parteigrenzen hinweg große Einigkeit herrscht. Allen ist klar, dass es so nicht weitergeht. Dass uns überall Arbeitskräfte fehlen, tut ein Übriges.

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Florian Voggeneder

STANDARD: Die Teilzeitquote bei Frauen, die Kinder unter sechs Jahren haben, liegt bei fast 72 Prozent. Können Sie sich vorstellen, Frauenerwerbsquote und finanzielle Unterstützung von Bundesländern zu junktimieren?

Schultz: Das wird man im Fall von konkreten Gesprächen sehen. Vor allem müssen wir Bewusstsein dafür schaffen, dass Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit zusammenhängen. In der nächsten Duden-Ausgabe will ich "Rabenmutter" oder "Rabeneltern" nicht mehr finden.

STANDARD: Viele junge Frauen sagen, sie blieben gerne daheim bei ihren Kindern. Was sagen Sie ihnen?

Schultz: Ich bringe einen Vergleich aus meiner Branche: Niemand wird in einem Wintersportort ein Hotel nachfragen, wenn es keines gibt. Erst müssen Möglichkeiten da sein, dann wird die Nachfrage steigen. (Petra Stuiber, 18.9.2023)