Flüchtlingskind auf Lampedusa
Tausende Migranten erreichten in den vergangenen Tagen die italienische Insel Lampedusa.
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Für manche Probleme gibt es keine schnellen Lösungen, sosehr sich die Politik auch bemüht. Die Massenmigration über das Mittelmeer gehört dazu. Weder sind rechte Parteien in der Lage, den Zustrom auf seeuntüchtigen Schlepperbooten zu stoppen, wie die italienische Regierung gerade beweist. Noch haben linke Strategien, die sich auf die Fluchtursachen in den Herkunftsländern konzentrieren, eine Chance auf Erfolg. Weder die Armut noch die Folgen der Klimakrise lassen sich in Afrika in absehbarer Zeit wirksam bekämpfen. Und wenn man bedenkt, dass durch ein Zusammenspiel von Geografie und Geschichte Italien in Form der Insel Lampedusa nur knapp 190 Kilometer von einem Nordafrika entfernt ist, in dem jedes Land von Krisen und Katastrophen erschüttert wird, dann darf es nicht verwundern, dass täglich Hunderte diese gefährliche Überfahrt wagen.

Stoppen lässt sich das nicht, zumindest nicht mit legalen Mitteln. Die systematischen Pushbacks, mit denen Griechenland den Migrationsdruck auf seinen Inseln verringert hat, verstoßen gegen EU-Recht und Völkerrecht. Dass die italienische Rechts-außen-Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine ähnliche Politik erwägt und dafür die Unterstützung von der EU fordert, darf nicht überraschen.

Doch darauf kann Brüssel nicht eingehen. Deshalb ist die Aussage von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch auf Lampedusa, eine neue EU-Militärmission im Mittelmeer sei denkbar, mit Skepsis aufzunehmen. Es gibt wenig, was die EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf hoher See tun kann, damit weniger Flüchtlinge nach Europa kommen.

Freiwillige Aufteilung stößt auf wenig Gegenliebe

Die Vorschläge, die von der Leyen auf Lampedusa präsentiert hat, sind alle vernünftig, aber zumindest derzeit nicht sehr realistisch. Rückführungsabkommen mit den Herkunftsstaaten scheitern laufend, das Abkommen mit Tunesien, das auf andere Staaten in Nordafrika ausgeweitet werden soll, wird vom autokratischen tunesischen Präsidenten Kais Saied nur zögerlich umgesetzt. Die freiwillige Aufteilung von Flüchtlingen in der EU – eine verpflichtende wird von den Osteuropäern sabotiert – stößt auf wenig Gegenliebe. So hat Deutschland gerade die Aufnahme von Asylwerbern aus Italien ausgesetzt. Und die Einrichtung humanitärer Korridore für legale Einwanderung, die NGOs ständig fordern, bleibt angesichts der flüchtlingsfeindlichen Stimmung in so vielen Ländern eine Utopie.

Dennoch ist die Botschaft der Kommissionschefin notwendig und sollte überall gehört werden: Migration ist ein gesamteuropäisches Problem und muss europäisch angegangen werden. Wenn Staaten nur darauf schauen, dass sie selbst von Flüchtlingen verschont bleiben, dann verschärft sich die Lage wieder anderswo. Jedes Land fordert Solidarität von den Partnern und verweigert sie allzu oft selbst.

Deshalb ist die erste Reaktion von Kanzler Karl Nehammer auf die italienische Misere, mit neuen Grenzkontrollen zu Italien zu drohen, die falsche. Gerade weil sich der Zustrom nach Österreich verringert hat, könnte Wien zumindest als Geste die Aufnahme von einigen Flüchtlingen aus Lampedusa anbieten. Aber in einer Zeit, in der eine Partei, die mit einer illusorischen "Festung Österreich" wirbt, damit fast ein Drittel der Wähler anspricht, ist auf solch vernünftige Großzügigkeit nicht zu hoffen. (Eric Frey, 17.9.2023)