"Hier sind alle sehr zufrieden", sagt Inês Poeiras, Geschäftsführerin bei Caminhos da Infância. Seit Juni arbeiten die 23 Angestellten des Kindergartens in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon nur noch vier Tage die Woche. "Engagement und Kreativität haben zugenommen. Wenn das Team mit seinem Privatleben zufrieden ist, läßt es sich besser auf die Bedürfnisse der Kinder ein", zieht Poeiras nach zwei Monaten eine vorläufige Bilanz.

Der Kindergarten betreut 86 Kinder fünf Tage die Woche. "Die Einteilung der Schichten war unsere größte Sorge. Wir dachten, alle wollen Montag oder Freitag frei", erinnert sich Poeiras. Um so größer war dann die Überraschung, als die Liste kam, auf der alle ihren Wunschtag eingetragen hatten. Einig wollten den Montag, andere den Mittwoch, wieder andere den Donnerstag – sie hatte sich zu früh Sorgen gemacht.

Einige Einschränkungen sind notwendig. So kann das Küchenpersonal freitags nicht freinehmen, weil da die kommende Woche geplant wird. Und die Erzieherinnen für die Allerkleinsten müssen montags da sein, weil nach dem Wochenende Babys und Eltern mehr Aufmerksamkeit brauchen. "Das einzige Problem, das es noch zu lösen gilt, ist die Kommunikation", meint Poeiras. Es sei nicht leicht, einen Tag zu finden, an dem alle da sind.

Ein junger Mann auf der Straße hebt die Hand zum Gruß.
Ich bin dann weg! Wer an einem solchen Pilotprojekt teilnimmt, kann sich eher aus dem Arbeitsalltag verabschieden als andere.
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Caminhos da Infância ist eines von 39 Unternehmen, die an dem sechsmonatigen Pilotprojekt teilnehmen, das vom Arbeitsministerium der portugiesischen Regierung unter dem Sozialdemokraten António Costa ins Leben gerufen wurde, um zu untersuchen, ob und wie eine Viertagewoche funktionieren kann. "In den letzten Jahrzehnten haben der technische Fortschritt und auch die soziodemografische Entwicklung die Art, wie wir arbeiten, stark verändert", sagt Pedro Gomes, Koordinator des Pilotprojekts. Der Portugiese ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Birkbeck in London und Autor eines der Standardwerke zur Viertagewoche: "Friday is the New Saturday".

Gewerkschaft wenig begeistert

Von ursprünglich 99 interessierten Unternehmen wagten im Juni 39 den Schritt zur Umsetzung der kürzeren Arbeitswoche. Es sind Beraterfirmen, Technologie- und Handelsunternehmen, eine Abteilung in einem industriellen Großbetrieb und Einrichtungen aus dem sozialen Bereich. Für alle gilt: keine Lohneinbußen und eine Senkung der Wochenarbeitszeit auf 32 bis maximal 36 Stunden. Portugal hat immer noch eine 40-Stunden-Woche. Aber laut OECD arbeiten 72 Prozent länger als das.

Als das Projekt vorgestellt wurde, waren weder Unternehmerverbände noch Gewerkschaften allzu begeistert. Bei den Unternehmern wunderte das Gomes nicht wirklich, bei den Gewerkschaften schon eher. "Ich glaube, für sie war Arbeitszeitverkürzung immer das Ergebnis eines Arbeitskampfs. Dass das jetzt plötzlich von Unternehmen eingeführt wird, passt nicht in das bisherige Bild", erklärt er sich das. Gomes hofft auf eine Mentalitätswandel. Zuletzt hat er einen Vortrag bei der deutschen IG Metall gehalten.

Zu viele Sitzungen

"Für die Beschäftigten ist die Viertagewoche Wohlbefinden, Zeit mit der Familie und für eigene Ideen und Projekte", wirbt Gomes. Dem stehe die Sorge der Unternehmer um die Produktivität gegenüber. Für Gomes kein Widerspruch, denn "ein ausgeruhter Arbeiter arbeitet besser und mehr und wird weniger krank". Hinzu komme eine andere, effektivere Art zu arbeiten. Die reine Anwesenheit im Unternehmen sei nicht gleich der produktiven Zeit. In vielen Unternehmen gebe es viel zu viele und viel zu lange Sitzungen. Effektivere Kommunikationsstrukturen würden ebenso Zeit freisetzen wie die Nutzung von Technologie, um Abläufe zu automatisieren. "Solange nicht alle Unternehmen die Viertagewoche haben, ist diese gar ein Wettbewerbsvorteil, wenn es um die Anwerbung von Fachpersonal geht", sagt Gomes.

Der portugiesische Premierminister Antonio Costa an einem Rednerpult.
Das Pilotprojekt wurde vom Arbeitsministerium der portugiesischen Regierung unter dem Sozialdemokraten António Costa ins Leben gerufen.
EPA/TIAGO PETINGA

"Anders als etwa im Nachbarland Spanien bekommen die Teilnehmer am Pilotprojekt keine finanzielle Unterstützung durch den Staat", fügt er hinzu. Nur so spiegle das Ergebnis am Ende die tatsächlich wirtschaftliche Entwicklung wider. Bei Listor, Importeur und Großhandel für Bodenbeläge, sieht es nach den ersten zwei Monaten nicht schlecht aus. "Unsere Verkäufe nehmen weiterhin zu", sagt Finanzdirektor Luis Cordeiro. "Wir haben die Arbeitsabläufe neu organisiert, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene", erklärt Cordeiro. Die Angestellten haben wahlweise am Montag oder Freitag frei. Die Motivation der Angestellten habe zugenommen, die Fehlzeiten seien zurückgegangen. "Es war nicht einmal notwendig, mehr Personal einzustellen", sagt Cordeiro, der den neuen freien Tag mit seinem Sohn schätzt.

"Dieses Modell hat die Produktivität jedes Einzelnen eindeutig verbessert", bestätigt die Angestellte María José Carvalhido, die im Einkauf bei Listor für ausländischen Lieferanten zuständig ist. "Ich habe viel mehr Zeit für meine persönlichen Belange und vor allem für die Familie", sagt sie. Nur wenn es viel zu bestellen gebe oder wenn jemand krank wird, "dann kommt es schon zu mehr Arbeitsbelastung als früher", sagt sie. Doch bisher sei alles zu meistern gewesen. Carvalhido hat wie alle anderen in den Büros auch das, was sie bei Listor einen "Spiegel" nennen: eine Kollegin, die genau weiß, was sie tut. Beide gleichzeitig können sich nicht freinehmen. So wird für Kontinuität im Ablauf gesorgt.

Ob Listor nach dem Pilotprojekt bei der Viertagewoche bleibt, hat die Geschäftsführung noch nicht entscheiden. "Geht es nach der Belegschaft, dann ganz sicher", sind sich Cordeiro und Carvalhido einig. (Reiner Wandler aus Madrid, 18.9.2023)