Wolodymyr Selenskyj, der frühere Schauspieler, Komiker, Regisseur und Drehbuchautor, spielt seit mehr als eineinhalb Jahren die größte Rolle seines Lebens, fernab jeglicher Leinwände und Bildschirme. Er ist das Gesicht und die Stimme des ukrainischen Widerstands gegen die russischen Aggressoren. Das gehört mehr oder weniger zum Jobprofil eines Staatspräsidenten – doch wie er seine Rolle interpretiert und ausfüllt, ist trotzdem beeindruckend.

Wolodymyr Selenskyj in den USA
Wolodymyr Selenskyj ist am Montag in den USA angekommen.
AFP/ANGELA WEISS

Selenskyj agiert dabei als Tausendsassa: Er muss ein Land im Kriegszustand führen; er muss die Bevölkerung zum Durchhalten motivieren; er muss nebenbei darauf achten, nicht ermordet zu werden; außerdem muss er in einer andauernden Werbetour sicherstellen, dass die lebensnotwendige Unterstützung durch andere Länder nicht abebbt.

Nun steht ihm diesbezüglich die bisher wohl wichtigste Mission bevor. In dieser Woche will er bei den Vereinten Nationen jene Länder überzeugen, die sich im Ukrainekrieg noch nicht auf seine Seite geschlagen haben, vor allem Brasilien und Indien. Dass es sich diese Staaten komplett mit Russland verscherzen wollen, ist unwahrscheinlich. Doch man kann davon ausgehen, dass Selenskyj sich etwas überlegt hat, um sie mit aller verbalen Macht dazu zu bewegen.

Kritik an Ukraine-Hilfe

Noch wichtiger ist aber, welchen Eindruck Selenskyj auf die US-Innenpolitik machen wird. Mit Präsident Joe Biden und dessen Demokraten hat er zuverlässige Verbündete, doch die Republikaner und ihre Präsidentschaftskandidaten haben die Milliardenhilfen für die Ukraine als Wahlkampfthema entdeckt. Trump, DeSantis und Co ziehen die Anti-Ukraine-Karte und monieren, das viele Geld sei verschwendet, schließlich würde die ukrainische Gegenoffensive nicht vorankommen.

Ende September wird der Kongress über ein weiteres Hilfspaket in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar abstimmen. Es ist das erste Votum über die Ukraine-Unterstützung, seit die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus übernommen haben. Biden muss hier noch Überzeugungsarbeit leisten. Praktischerweise hat Selenskyj für ihn ein Geschenk im Gepäck: die Erfolgsmeldung, dass nahe Bachmut die russische Verteidigungslinie durchbrochen wurde.

Doch ob das reicht, um die Republikaner zu überzeugen, noch dazu, wo laut Umfragen mittlerweile eine Mehrheit der US-Bevölkerung gegen neue Ukraine-Hilfen ist? Selenskyj muss in Washington Eindruck machen, und zwar mächtig. (Kim Son Hoang, 19.9.2023)