Michael Succow ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und beschäftigt sich als Biologe und Agrarwissenschafter seit Jahrzehnten mit Humuswirtschaft, Bodenschutz und Landwirtschaft. Seiner Meinung nach sollte hierzulande kein Mais mehr angebaut und die freien Äcker stattdessen als Weideflächen genutzt werden. Landwirtinnen und Landwirte könnten trotzdem gut wirtschaften, ist der Biologe und Agrarwissenschafter überzeugt.

STANDARD: Herr Succow, der Sommer neigt sich dem Ende zu. Wie ist es um unsere landwirtschaftlichen Flächen bestellt?

Michael Succow: Der Klimawandel läuft unabwendbar mit immer stärkerer Intensität. In Deutschland hatten wir eine Frühjahrstrockenheit. Also zwei, drei Monate keinen Regen, dafür einen Ostwind, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Dann eine Hitzewelle im Sommer mit einzelnen gewaltigen Starkregenfällen, wie ich sie auch noch nicht kenne in Mitteleuropa, und jetzt im frühen Herbst eine ungewöhnliche Wärme mit 30 Grad. Das alles bringt eine Austrocknung der Landschaft mit sich. Die meisten Seen haben tiefe Wasserstände, die flacheren sind bereits ausgetrocknet. Und das gilt nicht nur für den östlichen Teil Deutschlands, sondern auch für den Süden. Selbst im regenreichen Niedersachsen herrscht Austrocknung.

STANDARD: Was müssen Landwirtinnen und Landwirte verändern, damit auf den Äckern auch weiterhin Kulturpflanzen wachsen können?

Succow: Trinkwasser ist ein hohes Gut, das immer knapper wird. Wir haben Gebiete im mitteldeutschen Raum, im Osten Deutschlands, in den neuen Bundesländern, die kein Grundwasser mehr bilden. Das liegt an hochintensiven Kulturen wie Mais, die wahnsinnig viel Wasser brauchen. Und das Wasser, das noch zu Grundwasser wird, ist so hochbelastet mit Schadstoffen und Dünger, dass es als Trinkwasser nicht mehr verwendet werden kann. Mittlerweile wird sogar schon darüber nachgedacht, Entsalzungsanlagen an der Ostsee zu bauen und das Wasser in großen Leitungen in die Städte zu bringen. Die Landwirtschaft hat den Wasserhaushalt hochgradig verändert und gestört. Was es braucht, ist eine ökologisch orientierte Landwirtschaft.

STANDARD: Es gibt bereits viele Bio-Bäuerinnen und -Bauern. Was sind Ihre konkreten Ideen?

Succow: Dem Landwirt oder der Landwirtin, unter dessen Acker noch Grundwasser entsteht, das ich trinken kann, gehört eine Prämierung. Wenn wir noch zukunftsfähig werden wollen in den nächsten Jahrzehnten, müssen Subventionen für reinen Flächenbesitz jetzt und sofort aufhören. Die Äcker müssen umgestellt werden auf ökologischen Landbau, das bedeutet auf Humus und Regenwürmer setzen und weg von den schweren Maschinen – das ist zu honorieren.

STANDARD: Wie gelingt Humuswirtschaft?

Succow: Ich bin als Bauernsohn groß geworden, bei meinen Eltern war Humusmehrung das Allerwichtigste. Humuswirtschaft bedeutet den Boden mit organischer Substanz füttern, damit auch der Regenwurm Nahrung hat. Er durchlöchert den Boden und macht Infiltration des Niederschlags möglich. Der Regenwurm frisst die organischen Reste der Pflanzen ebenso wie Bodenpartikel und scheidet diese Kombination als Dauerhumus wieder aus. Das führt zu höchster natürlicher Bodenfruchtbarkeit. Aber das ganze System Regenwurm ist bei der agrarindustriellen Landnutzung weitestgehend zerstört. Hundertwasser, der große Künstler und Visionär, hat einen Satz geprägt: Alle großen Zivilisationen dieser Erde waren am Ende, als der Humus zerstört war. Wir werden folgen, wenn wir diese dünne Haut des Lebens nicht erhalten, nicht vermehren. Deshalb steht der Humus im Mittelpunkt und mit ihm der Regenwurm.

STANDARD: In Österreich wird viel Mais, Kartoffel, Zuckerrübe und Weizen angebaut. Sind diese Kulturen zukunftstauglich?

Succow: In Teilen nicht mehr. Der Mais zum Beispiel ist eine subtropische Frucht, die keinen Frost erträgt. Sie kann erst im Mai gesät werden und hat dann ein halbes Jahr Zeit, um drei Meter hoch zu werden und wahnsinnige Kolben anzusetzen. Das gelingt nur bei ausreichend Wasser, höchstem Einsatz von Dünger und Pestiziden. Das ist eine Frucht, die überhaupt nicht hier angebaut werden darf.

STANDARD: Wie sieht unsere Ernährung dann aus, wenn kein Mais mehr angebaut wird?

Succow: Dieser Mais wird ja vor allem an Tiere verfüttert, unter anderem an Kühe, die 25 Liter Milch pro Tag produzieren müssen. Das ist ein Tier, das natürlicherweise Gras frisst. Diese armen Kühe sind Hochleistungsanlagen und kriegen Mais und Soja, also Früchte, die sie früher nicht kannten und die sie nicht wiederkäuen können. Zudem stehen sie den ganzen Tag, haben kaum Bewegung und haben in dieser abnormen Haltung eine stark verkürzte Lebensdauer. Rinder müssen auf der Weide sein, das wird dann auch ökonomisch sein. Dann haben wir gesunde Milch von gesunden Kühen und damit gesunde Menschen.

Michael Succow
Michael Succow fordert ein Drittel der Ackerflächen als Weideland zu nutzen.
Annett Melzer

STANDARD: Landwirtinnen und Landwirte leben von dem Ertrag, den sie auf ihren Feldern ernten. Sie fordern, ein Drittel der Ackerflächen als Weideland zu nutzen. Wie soll sich das wirtschaftlich ausgehen?

Succow: So wie wir jetzt Landwirtschaft betreiben, mit riesigen Maschinensystemen und ungeheurem Bodendruck, zerstören wir unsere Böden. In diesen Landschaften ist der Regenwurm ausgestorben. Das Ergebnis ist, dass wir auf diesen Äckern eine enorme Erosion haben. Der Niederschlag, der jetzt im Sommer meist als Starkregen kommt, versickert nicht mehr in den Böden, sondern rinnt oberflächlich ab. Das Wasser sammelt sich dann in den Senken und versickert auch dort nicht. Das Wasser kann also nur noch verdunsten. Daher haben wir in diesen Landschaften nur geringe Bodenwasserbildung. Hier muss daher organischer Landbau mit Humuswirtschaft stattfinden. Das heißt, mit Zwischenfrüchten im Winter den Boden bedecken, weg von den Sommerkulturen und nacktem Boden im Winter. Wir haben viel Wissen, wie wir das handhaben, damit trotzdem alle mit gesunder Nahrung satt werden. Studien zeigen, dass wir auch bei etwas geringeren Erträgen durch eine regenerative Landwirtschaft und eine artgerechte Tierhaltung bei verringertem Fleischkonsum in Mitteleuropa genug Nahrung für alle produzieren können.

STANDARD: Wenn wenn das alles nicht passiert, wie Sie sich das überlegt haben, wie lange dauert es noch, bis das System kippt?

Succow: Wir sind jetzt schon am Kipppunkt. Wir haben zunehmend Agrarlandschaften, wo der Ertrag trotz Düngers und Pestiziden sinkt, weil der Boden ruiniert und der Wasserhaushalt gestört ist. Wir sind am Ende einer verfehlten Landnutzungspolitik. Wir müssen korrigieren, nicht weitermachen. (Julia Beirer, 26.9.2023)