Kaum etwas ist Wien so sehr Liebkind und Hassobjekt zugleich wie der Schanigarten. Sich zu ihm zu positionieren ist deshalb eine Gratwanderung. Das ist Markus Figl, Bezirksvorsteher in Wien-Innere Stadt (ÖVP), und seinen grünen Amtskollegen Markus Reiter in Neubau und Martin Fabisch in der Josefstadt sehr bewusst. Stellvertretend für alle drei leitete Figl eine gemeinsame Pressekonferenz am Mittwoch daher so ein: "Wir sitzen alle gerne im Schanigarten. Das gehört zum Lebensgefühl in dieser Stadt dazu." Das große Aber ließ – wie könnte es beim Schanigarten anders sein – nicht lange auf sich warten.

Anlass für den parteiübergreifenden Auftritt ist eine Regelung, die der Wiener Landtag am Donnerstag mit den Stimmen von SPÖ und Neos beschließen wird. Demnach dürfen Schanigärten ab sofort ganzjährig geöffnet bleiben – ohne dass zwischen Sommer- und Winterbetrieb unterschieden wird.

Bisher dauerte die Schanigartensaison von 1. März bis 30. November. Im Winter mussten Tische und Stühle von den Gehsteigen und aus den Parkspuren entfernt werden. Eine erste Lockerung setzte 2016 ein: Da erlaubte die Stadt Gastronominnen und Gastronomen auch von Dezember bis Februar, Schanigärten aufzustellen – allerdings nur in abgespeckter Form.

Ganzjährig draußen Gäste zu bewirten wurde in den vergangenen Jahren in Wien sukzessive erleichtert.
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Eine weiter Änderung brachte die Corona-Pandemie: Damit Wirtinnen oder Barbetreibern Umbauarbeiten und Bürokratie erspart bleiben, konnten sie ab Winter 2020/2021 die Bewilligungen für ihre Schanigärten einfach bis Februar verlängern und diese in den vollen Sommerdimensionen stehen lassen. Dass genau diese Corona-Regelung zur Dauereinrichtung werden könnte, deutete sich im März bereits an. Anfang September verkündeten Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) und Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck schließlich die Einigung. Und überrumpelten damit die Bezirksvorsteher, wie die drei Vertreter nun kritisierten.

Kampf um Platz

Die Dosis mache das Gift, bemühte City-Vorsteher Figl den berühmten Arzt Paracelsus. Das gelte auch bei Schanigärten. "Ich habe kaum einen Quadratmeter, an den es nicht verschiedenste Ansprüche gibt", sagte Figl. Der Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum durch Schanigärten, Kioske, Punschhütten, Christbaumstände und dergleichen sei in dichtbesiedelten Bezirken wie der Inneren Stadt besonders hoch. Bleiben die zuletzt rund 4.000 Schanigärten in Wien das ganze Jahr über stehen, verschärfe das den Kampf um Platz zusätzlich, prophezeite Figl. "In einer wachsenden Stadt brauchen wir Freiräume. Unser Wunsch ist, dass mit dem öffentlichen Raum verantwortungsvoll umgegangen wird."

Wie dieser Umgang aussieht, das wollen die Bezirkschefs mitbestimmen: "Wir wollen steuern können", appellierte Neubaus Vorsteher Markus Reiter an die rot-pinke Stadtregierung. Er befürchtet durch die ganzjährige Schanigartenöffnung Nachteile für den Handel – und den Branchenmix in den Geschäftsstraßen seines Bezirks. Denn: Vermieterinnen und Vermietern ermögliche die Neuregelung, für Geschäftslokale in Erdgeschoßzonen von Gastronomen einen höheren Zins zu verlangen als etwa von Händlerinnen. Das werde eine Verdrängung des Handels zur Folge haben, warnte Reiter.

Die Grünen im Rathaus hätten die Winteröffnung während der Pandemie in ihrer Zeit als Koalitionspartner der SPÖ mitgetragen, räumte er ein. Allerdings sei dies damals lediglich als temporäre Maßnahme gedacht gewesen. Dass sie nun plötzlich fix bleibt, sei der Bevölkerung kaum verständlich zu machen, sagte Parteikollege Martin Fabisch aus der Josefstadt. "Ich bin da etwas in Erklärungsnotstand."

Ausweg Zonierung?

Verhindern können die drei Bezirksvorsteher die Neuregelung nicht mehr. Sie haben aber Vorschläge, um die befürchteten Folgen abzumildern. Erstens fordern sie sogenannte Zonierungsverordnungen für ihre Bezirke. Darin kann dauerhaft festgeschrieben werden, welche Teile einer Straße wie genutzt werden sollen: etwa wo Schanigärten aufgebaut werden dürfen, wo Punschhütten stehen sollen und welche Flächen frei bleiben. Im ersten Bezirk wurden bereits vor knapp zwei Jahren für Kärntner Straße, den Graben, den Stephans- und der Herbert-von-Karajan-Platz derartige Verordnungen erlassen.

Der Vorteil daran: Ob ein Schanigarten an einem bestimmten Ort möglich ist, hängt nicht mehr nur von der Entscheidung des Magistrats ab. Dort müssen Gastronominnen und Gastronomen Anträge stellen. Erstbewilligungen werden für ein Jahr ausgestellt, weitere für bis zu sieben Jahre. Derzeit haben Lokalinhaberinnen und -inhaber quasi einen Rechtsanspruch auf einen Schanigarten. Existiert eine Zonierungsverordnung, ist dem nicht mehr so – es soll dadurch weniger Wildwuchs geben. Und: Für alle ist im Vorhinein klar, welche Nutzungen möglich sind, die Politik spart sich Diskussionen mit Einzelnen.

Zuständig für derartige Verordnungen ist Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ). Aus der ihr zugeordneten Magistratsabteilung 19 heißt es, dass die Bezirksvorstehungen des siebten und achten Bezirks "betreffend Zonierungsplänen" bisher nicht an den Magistrat herangetreten seien. Für den ersten Bezirk prüfe man derzeit Ergänzungen zu den bestehenden Zonierungen. Dem widerspricht Bezirkschef Reiter: Seit fünf Jahren liege ein Zonierungskonzept für die Mariahilfer Straße beim Magistrat vor.

SPÖ verspricht Kontrollen

Zweitens seien Kontrollen und eine rasche Evaluierung – am besten im Frühling 2024 – entscheidend, sagen die Bezirksvorsteher. Die Stadt verschärft mit der Ganzjahresöffnung auch die Vorgaben, an die sich Gastronominnen und Gastronomen halten müssen. So müssen Wirte und Barbetreiberinnen für ein gesittetes Verhalten ihrer Gäste sorgen und bei unangemessenem Verhalten der Gäste die Nutzung des Schanigartens einschränken. Zusätzlich muss ein Schanigarten im bewilligten Zeitraum grundsätzlich immer betriebsbereit sein und darf auch bei niedrigen Temperaturen nicht als Lagerfläche genutzt werden – was laut Fabisch ein großer Aufreger ist. Er hat allerdings Zweifel, dass der Magistrat genügend Personal für Kontrollen hat.

SPÖ und Neos verteidigten die Neuregelung am Mittwoch. "Von der ÖVP bin ich gewohnt, dass sie Wien eher als Museum, denn als pulsierende Metropole sieht - bei den Grünen ist mir das aber neu", stichelte der pinke Wirtschaftssprecher Markus Ornig. Die Neuregelung reduziere den Verwaltungsaufwand und sichere ein Stück Lebensqualität, teilte SPÖ-Gemeinderat Kurt Stürzenbecher mit. "Auf Wunsch der Bezirke" würden in den nächsten drei Jahren verstärkte Kontrollen stattfinden, stellte er in Aussicht. Das Versprechen dürfte nicht nur an den türkisen und die beiden grünen Bezirkschefs gerichtet sein, sondern auch eine Botschaft an die roten Vorsteherinnen und Vorsteher in dichtbesiedelten Innenstadt-Bezirken sein: Wie zu hören ist, teilen diese nämlich die türkis-grüne Kritik. (Stefanie Rachbauer, 20.9.2023)