Poster mit Aufschrift
Im Kurz-Film gibt es einen unerwarteten Moment.
AFP/ALEX HALADA

Durchaus denkbar, dass sich Karl-Heinz Grasser dieser Tage ein wenig gekränkt fühlt. Vor seinem Buwog-Prozess ist niemand auf die Idee gekommen, "Grasser – der Film" in die Kinos zu bringen, um ihm dabei nicht nur Gelegenheit zur ausgiebigen Selbstverklärung zu geben, sondern auch ausführlich seine Jugendlichkeit, Dynamik und Erfolge zu würdigen und Randthemen wie Provisionen, Schwiegermuttergeld, Eurofighter, Novomatic oder von Offshore-Konten bezahlte Ohrringe entweder zu ignorieren oder durch Kommentare von unabhängigen Experten wie Walter Meischberger, Ernst Karl Plech oder Julius Meinl erklären zu lassen.

Sebastian Kurz hat da offenbar die treueren und auch investitionsfreudigeren Freunde. "Ihr wünscht euch Geheimnisse", sagt der ehemalige türkise Wahlkampf-Kampagnenleiter Philipp Maderthaner in Kurz – der Film, der dann neunzig Minuten lang beweist, dass bloßes Wünschen oft nichts nützt. Dass der ehemalige Kurz-Pressesprecher Johannes Frischmann, eine der Schlüsselfiguren der Inseratenkorruptionsaffäre, enthüllt: "Es wird immer Inserate geben" und Kurz selber zum Fazit "Wir alle würden es genauso wieder machen" gelangt, mag kühn sein, aber wenig überraschend. Auch die von der Kritik bemängelte Nichterwähnung des Begriffs "Message-Control" war vorhersehbar, denn auch in einem Pornofilm wird das Wort "Geschlechtsverkehr" kaum vorkommen.

Der einzige unerwartete Moment des Filmes dauert nur wenige Sekunden und zeigt ein auf dem Tisch des Ex-Kanzlers liegendes Buch. The Hungarian Way of Strategy von Balázs Orbán, dem politischen Direktor von Viktor Orbán. Das Werk preist die Vorzüge der vom ungarischen Premierminister installierten "illiberalen Demokratie" und geißelt die moralische Verkommenheit der westlichen Welt. In einer Online-Kritik heißt es, der Titel des Buches sollte korrekterweise "How to build a dictatorship from stolen money" lauten. Der Buchautor wetterte vor wenigen Tagen gegen "Korruption in der EU", was angesichts des für den Viktor-Orbán-Clan besonders profitablen Missbrauchs von EU-Fördergeldern in Ungarn entweder ein verklausuliertes Schuldbekenntnis oder einen Gipfelpunkt an Chuzpe darstellt.

Message out of control

Was aber will uns Sebastian Kurz mit diesem Zwischenschnitt sagen? Oder ist hier, gegen jede Wahrscheinlichkeit, die "Message" für einen Moment "out of control" geraten?

Dafür sprechen die jüngsten Nachrichten aus Ungarn. Nachdem Viktor Orbán mit seinen Massenbegnadigungen für Flüchtlingsschlepper jeden Balkanroutenschließer zum Gespött gemacht hat, lautet die Presse -Überschrift aus der Vorwoche: "Orbáns großes Versagen im Kampf gegen die Inflation". Diese betrug zwischenzeitlich bei Lebensmitteln sagenhafte 40 Prozent, ist die mit Abstand höchste innerhalb der EU und stürzt das Land in eine tiefe Krise.

Den "ungarischen Weg" zu bewerben ist also für Kurz derzeit ähnlich reputationsförderlich, als hätte er den bei einer Grasser-Hausdurchsuchung entdeckten Autobiografie-Entwurf des ehemaligen Finanzministers auf dem Tisch liegen. Einer der für dieses Fragment gebliebene Werk von Grasser persönlich vorgesehenen Titel lautete übrigens: "KHG – Ihr bekommt mich nie". (Florian Scheuba, 20.9.2023)