Wien – Für die am Mittwoch beschlossenen Maßnahmen, mit denen an den Schulen der Schutz der Schülerinnen und Schüler vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt verbessert werden soll, ist weiterhin kein zusätzliches Geld vorgesehen. Bereits in den Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) hatten die Kinder- und Jugendanwaltschaften und andere Interessensvertretungen betont, dass ein effektiver Kinderschutz nur mit zusätzlichen Ressourcen für die Schulen möglich sei.

Kinder in einer Schulklasse, man sieht den Rücken eines Kindes
An Schulen sollen neue Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt gesetzt werden. Mehr Geld gibt es dafür aber nicht.
Myriam Tirler via www.imago-imag

Finanzierung über "Umschichtungen"

In der Novelle vorgesehen sind u. a. ein Verhaltenskodex "für alle am Schulleben beteiligten Personen", eine Risikoanalyse und ein Kinderschutzteam für jede Schule sowie Regelungen zur Vorgangsweise bei möglichen Gefährdungen bis hin zu Betretungsverboten. Zusätzliche Ressourcen soll es dafür aber keine geben, wie es in der "wirkungsorientierten Folgenabschätzung" zur Gesetzesnovelle heißt, die am Mittwoch den Ministerrat passiert hat. Die Änderungen hätten zwar Folgewirkungen für die Lehrerfort- und Weiterbildung an den Pädagogischen Hochschulen, die Zusatzkosten sollen aber über Umschichtungen gedeckt werden, heißt es dort. Abgesehen davon erwartet sich das Ministerium weiterhin keine finanziellen Auswirkungen.

Dabei hatten in den Stellungnahmen zahlreiche NGOs – von der Kinder- und Jugendanwaltschaft über das Rote Kreuz bis zu den Kinderfreunden – davor gewarnt, dass die geplanten Maßnahmen ohne entsprechendes Budget nicht ausreichend wirken könnten. "Unter den gegebenen Umständen können wir uns also nicht darauf verlassen, dass das ohnehin überlastete System Schule dem Thema Kinderschutz flächendeckend und verbindlich die nötige Aufmerksamkeit geben wird (oder kann)", lautete etwa die Einschätzung von SOS-Kinderdorf-Geschäftsführer Christian Moser. Die Interessenvertretungen rechnen mit "nicht unbeträchtliche Kosten" für Schulungen oder externe Unterstützung. Dazu brauche es ein Budget für externe Mitarbeiter der Kinderschutzteams, um Interessenskonflikte zu vermeiden, für jene Lehrerinnen und Lehrer, die in den Kinderschutzteams mitarbeiten sollen, und für Maßnahmen wie verpflichtende Fortbildungen oder Workshops zur Sensibilisierung von Schulpersonal, Schülern und Eltern zu jeglichen Formen von Gewalt.

Auf einen anderen Kritikpunkt will das Ministerium indes offensichtlich eingehen. So hatten Pflichtschullehrer- und BMHS-Gewerkschafter in ihren Stellungnahmen moniert, dass jeder Standort verpflichtend in einem partnerschaftlichen Prozess ein Kinderschutzkonzept erarbeiten soll. Das ist zwar im Gesetzesentwurf nach wie vor vorgesehen. Allerdings hat Bildungsminister Polaschek zuletzt inhaltliche Vorgaben seines Ressorts angekündigt. "Das werden vorgefertigte Texte sein, wo die Schulen nur mehr schulspezifische Dinge hineinschreiben müssen."

Zweifel an Wirkung härterer Strafen

Kritisch äußerten sich Experten auch über die Erhöhung der Strafrahmen. Für Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer handle es sich "eher um eine Symbolik", wie er am Mittwoch im Ö1-"Mittagsjournal" sagte. "Ob die Strafverschärfung hier etwas verändern wird, ist in der kriminologischen Forschung sehr zweifelhaft." Dass bei schweren Fällen der Herstellung von Missbrauchsdarstellungen das Strafmaß mit bis zu zehn Jahren gleich hoch sei wie bei direkten Missbrauchsdelikten, sei außerdem infrage zu stellen, so Birklbauer. Dadurch könne "die Wertigkeit der Delikte untereinander aus den Fugen geraten". Ähnlich äußerte sich auch Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation Die Möwe, zur Strafverschärfung. "Das ist per se noch kein Kinderschutz, sondern nur einer von vielen Bausteinen dafür." Die Regierung solle auf das Paket nun auch ein bundesweites Kinderschutzgesetz sowie eine eigene unabhängige Koordinationsstelle folgen lassen.

Lob für Kinderschutzkampagne

Insgesamt sei aber begrüßenswert, dass die Regierung ein Paket beschlossen habe, das den Kinderschutz vorwärts bringen könne, sagt Wölfl. Die Strafrechtsverschärfungen seien zwar "Anlassgesetzgebung", argumentiert sie. Gelungen sind ihrer Meinung nach aber die "vielen präventiven Ansätze" im Paket, wie sie im Ö1-"Morgenjournal" sagt. Mit den Maßnahmen im Strafrecht erreiche man nur die wenigen Tausend Personen, die angezeigt werden. Mit der geplanten Kinderschutzkampagne könne man dagegen deutlich mehr erreichen. Wölfl erwartet sich davon "Aufklärung, dass jede Form von Gewalt, nicht nur sexualisierte, sondern auch körperliche und psychische, für Kinder schädlich ist. Und dass alle wissen, an wen ich mich wenden kann, wenn ich den Verdacht habe, dass einem Kind Gewalt widerfährt."

Auch Martina Wolf, Geschäftsführerin des Bundesverbands der Kinderschutzzentren, kann am Paket vieles erkennen, was man aus Perspektive ihrer Organisation für gut befindet. Die geplanten Kinderschutzkonzepte für Vereine und Schulen müssten dann aber auch tatsächlich umgesetzt werden, betont sie. Gemeinsam mit Kindern solle erarbeitet werden, wie jegliche Art von Übergriffen verhindert werden könne. "Da wird es dann wirklich darum gehen, wie es ausgestaltet ist, wie viel Zeit Einrichtungen haben, es umzusetzen, damit sie es als Entlastung und Hilfe erleben und nicht als zusätzlichen Aufwand", sagt Wölfl. Prinzipiell sei wichtig, hier Ressourcen bereitzustellen. "Der schützende Blick auf unsere Kinder kostet Zeit und Geld."

Kaum Verurteilungen Jugendlicher wegen Sextings

Kinderschutzorganisationen war zudem ein Anliegen, dass Sexting unter Jugendlichen nicht bestraft wird. Wenn etwa ein Jugendlicher ein sexualisiertes Video von seiner Freundin bekommt und es speichert, wäre er laut Gesetz nämlich bereits strafbar. Das Justizministerium plant aber einen Erlass, wonach bei einvernehmlichem Sexting unter gleichaltrigen Jugendlichen von einer Strafverfolgung abzusehen ist.

Gerade bei Jugendlichen gebe das Gesetz ohnehin mehrere Möglichkeiten vor, um etwa auf die Persönlichkeit des Jugendlichen und seine Reife einzugehen, sagt der Vizepräsident der Vereinigung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Bernd Ziska, im "Morgenjournal". Mit einem Erlass im Sinne einer Richtlinie könne das Justizministerium den Staatsanwaltschaften eine zusätzliche Rückendeckung vermitteln, wonach eine überbordende Kriminalisierung Jugendlicher nicht gewünscht sei. In der Praxis dürfte der Erlass aber nicht allzu viel ändern, weil bei Sexting zwar ermittelt werden muss, aber auch jetzt schon kaum Jugendliche deswegen verurteilt werden. (APA, tschi 21.9.2023)