Eine Familie zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung.
43 Prozent der Mütter verlassen Mint-Berufe vier bis sechs Jahren nach der Geburt des ersten Kindes, bei den Vätern sind es nur 23 Prozent.
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In Österreich ist der Anteil von Studentinnen an österreichischen Hochschulen im Studienjahr 2022/2023 weiter gewachsen. Mit 56 Prozent sind Frauen an den Hochschulen in der Überzahl. Geht es aber die wissenschaftliche Karriereleiter hinauf, wird der Frauenanteil deutlich kleiner – besonders in den naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern. Mutterschaft ist dafür ein wesentlicher Grund, wie eine aktuelle Studie der Fakultät für technische Chemie und des Frauennetzwerks Fem-Chem zum Thema Elternschaft zeigt. Für die "Parent"-Studie ("Parents in Research and Technology") widmeten sich die Gender-Expertinnen Marita Haas (Ward Howell International) und Bettina Stadler (Forba und Universität Graz) der Frage, ob und wie sich Elternschaft auf eine wissenschaftliche Karriere im Fachbereich Chemie auswirkt.

Das Phänomen, dass einerseits mehr oder gleich viel Frauen ein Studium beginnen, andererseits bei den weiterführenden Karrierestufen in der Wissenschaft immer weniger werden, wird Leaky Pipeline genannt. "Daten deuten darauf hin, dass das an hohe Hürden für Frauen liegt und nicht an einem begrenzten Pool an fähigen Frauen", schreibt die Fakultät für Technische Chemie der Technischen Universität Wien in einer Aussendung.

Herrschende Karrieremuster

43 Prozent der Mütter verlassen Mint-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) nach vier bis sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. Bei Männern sind es nur 23 Prozent. Die noch immer vorherrschenden Karrieremuster passten nicht zu Menschen mit Betreuungspflichten, heißt es vonseiten der Studienautorinnen. "Die meritokratische Vorstellung des idealen Wissenschafters basiert auf der Figur eines Mannes ohne oder nur mit geringen Betreuungspflichten." Dies führe wiederum zur sogenannten "homosozialen" Reproduktion: Junge Wissenschafter:innen, die ihrem Vorgänger ähneln, sind eher bereit, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, als solche, die ein anderes Lebenskonzept oder Karrieremuster haben. Weitere hinderliche Faktoren für Frauen sind eine in große Abhängigkeit von Vorgesetzten in wissenschaftlichen Laufbahnen und die Anzahl und Wirkung von Veröffentlichungen. Sie gelten als der wichtigste messbare Faktor zur Bestimmung von "Exzellenz".

Die Studie untersuchte sowohl Erfahrungen von Eltern in der Wissenschaft als auch von Wissenschafter:innen ohne Betreuungspflichten. Die qualitativen und quantitativen Analysen zeigten, dass Väter und Mütter ihre Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsstadien betreuen. Frauen gehen meistens dann in Karenz, wenn ihre Kinder noch intensive Betreuung brauchen, das beschränkt wiederum die Möglichkeit, während der Karenz wissenschaftlich weiterzuarbeiten. Sowohl Frauen als auch Männer betonten die hohen Leistungsanforderungen, wenn man mit kleinen Kinder hat. Dass man sich deshalb weder dem Kind/den Kindern noch der wissenschaftlichen Karriere zu "100 Prozent" widmen kann, ist aber eher für Frauen ein Problem. "Männer sind aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Wahrnehmung positiver eingestellt", folgern die Studienautorinnen.

Andere Beurteilungskriterien

Was Männer und Frauen eint, sind ihre Sorgen, was die Arbeitsstabilität betrifft. Die Studienautorinnen kritisieren hier die Transparenz. Die Frage nach den "richtigen Schritten" für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere ist kaum zu beantworten.

Aufgrund dieser Ergebnisse sprechen sich die Studienautorinnen für eine Neubewertung von Bewertungskriterien für den akademischen Karriereweg aus. Der "unsichtbaren Arbeit" wie Lehre, Mentoring und Administration solle mehr Wert beigemessen werden. Darüber hinaus soll die Bewertung an den tatsächlichen Zeitaufwand für eine wissenschaftliche Karriere, beispielsweise während einer Arbeitsverkürzung, angepasst werden. Teilzeitstellen sollten bei der Berechnung eines „wissenschaftlichen Alters" Berücksichtigung finden, empfehlen Marita Haas und Bettina Stadler. (red, 21.9.2023)