Im Gastblog schreibt Péter Techet über die aktuellen politischen Entwicklungen in der Slowakei.

In der Slowakei leben mehr als 400.000 Ungar:innen, was mehr als sieben Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Dennoch konnte keine ungarische Partei bereits bei den letzten Wahlen 2020 mehr als fünf Prozent erreichen. Die ethnische Zugehörigkeit bestimmt immer weniger das Wahlverhalten in der Slowakei: Nach der letzten Umfrage des AKO-Forschungsinstitutes wollen nur 41 Prozent der ungarischen Wähler:innen für eine der antretenden ungarischen Parteien stimmen.

Gespaltene Parteienlandschaft der ungarischen Minderheit

Während die Dominanz der ungarischen Minderheitenpartei RMDSZ/UDMR in Rumänien seit 1990 nie erfolgreich herausgefordert, geschweige denn gebrochen wurde, war die ungarischsprachige Öffentlichkeit in der Slowakei immer pluraler. Bereits in der demokratischen Tschechoslowakei entstanden mehrere ungarischen Parteien entlang ideologischer Unterschiede: die "Ungarische Christlich-Demokratische Bewegung", die "Ungarische Bürgerliche Partei" und die Bewegung "Zusammenleben". Daneben bestand später auch eine winzige Partei mit dem langen Namen "Ungarische Volksbewegung für Versöhnung und Wohlstand", die eng mit dem autoritären Regierungschef Vladimír Mečiar in der unabhängigen Slowakei zusammenarbeitete.

Parlament in Bratislava
Die Rolle ungarischer Minderheitenparteien im slowakischen Parlament hat eine große Geschichte. Diese scheint sich in der jüngsten Zeit drastisch zu ändern.
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Die christdemokratischen und liberalen Kräfte schlossen sich erst 1994 zu einer gemeinsamen Wahlpartei zusammen, weil das Wahlgesetz unter Mečiar derart verschärft wurde, dass sie allein den Einzug in das Parlament nicht hätten schaffen können. Die so entstandene "Partei der Ungarischen Koalition" (MKP/SMK) spielte bei der Demokratisierung der Slowakei nach 1998 eine wichtige Rolle, sie beteiligte sich auch an der Regierung von Mikuláš Dzurinda zwischen 1998 und 2002. Zu dieser Zeit stimmten fast alle ungarischsprachigen Wähler:innen für die MKP/SMK, was der Partei Wahlergebnisse um zehn Prozent sicherte.

Die parteipolitische Einheit zerbrach aber bereits 2009: Nachdem die MKP/SMK einen neuen Vorsitzenden gewählt hatte, gründete der vorherige Parteivorsitzende Béla Bugár eine neue Partei. Bugár erfreute sich wegen seines jovialen Stils und konservativ-liberaler Anschauung auch unter den slowakischen, liberalen Wähler:innen einer gewissen Popularität. Seine Partei "Híd/Most" wollte – wie auch ihr Name zeigte – eine "Brücke" zwischen "Ungarn" und "Slowaken" bauen. Nach 2010 schaffte nur die Bugár-Partei den Einzug in das Parlament. Sie wurde Teil der rechtsliberalen Regierung unter Iveta Radičová zwischen 2010 und 2012.

Als Bugár aber 2016 auch der Regierung von Robert Fico beitrat, verließen viele slowakischen Intellektuellen die "Híd/Most". Bugár rechtfertigte die kontroverse Entscheidung mit der staatspolitischen Verantwortung, eine rein populistische Regierung verhindern zu wollen. Weil aber die "Híd/Most" die Koalition auch nach dem Mord am investigativen Journalisten Ján Kuciak 2018 nicht aufkündigte, stürzte sie in eine tiefe Krise. Bei den Parlamentswahlen von 2020 flog sie aus dem Parlament. Die andere ungarische Partei, MKP/SMK, die sich inzwischen in "Partei der Ungarischen Gemeinschaft" umbenannt hatte, konnte die Fünf-Prozent-Hürde seit 2006 nie wieder überspringen.

Auch diesmal keine ungarische Partei?

Die ungarischen Politiker:innen riefen 2021 eine neue Einheitspartei ("Allianz") ins Leben. Sie zerfiel aber bereits ein Jahr danach: Teile der ehemaligen Bugár-Partei verließen die Einheitsliste, nachdem der umstrittene Politiker ungarischer Abstammung namens György Gyimesi als Kandidat der "Allianz" aufgestellt worden war. Gyimesi, ein ehemaliger Verbündeter des Ex-Ministerpräsidenten Igor Matovič, positioniert sich als "kleiner Orbán" der ungarischen Minderheit: Von der Migrationsfrage über die LGBTIQ-Rechte bis zum Ukrainekrieg vertritt er Meinungen, die mit jenen der Fidesz-Partei von Orbán identisch sind.

Für mehrere Politiker:innen der früheren "Híd/Most"-Partei war es daher inakzeptabel, mit ihm bei den Wahlen gemeinsam anzutreten; sie bilden deswegen eine Wahlkoalition mit den konservativ-liberalen "Blauen" von Dzurinda. Weil auch eine dritte Partei, das "Ungarische Forum", mit einer eigenen Liste antreten wird, ist es rein mathematisch kaum möglich, dass zumindest eine der ungarischen Parteien in den Nationalrat einzieht. Stimmen die jetzigen Umfragen, wird die ungarische Minderheit im künftigen Parlament in Bratislava weiterhin nicht mit einer eigenen Partei, sondern durch einzelne, ungarischstämmige Politiker:innen vertreten sein. Die linksliberale Partei "Progressive Slowakei" hat sogar eine eigene ungarische Plattform.

"Nationale Interessen" als bloße Rhetorik

Während Viktor Orbán unter den ungarischen Minderheiten von Rumänien und Serbien ähnlich zentralisierte Strukturen en miniature (mit einer dominierenden Partei beziehungsweise stark kontrollierten Medien) aufbauen konnte, wie sie in Ungarn bereits bestehen, scheiterte er an der Widerstandfähigkeit von großen Teilen der ungarischen Minderheit in der Slowakei. Die "Híd/Most" und das "Ungarische Forum" lehnen eine Orbánisierung der Slowakei und der dortigen ungarischen Politik entschieden ab, und auch die ungarische Medienlandschaft ist pluraler als in Ungarn oder in den anderen ungarischen Minderheiten. Die Tageszeitung "Napunk" (die ungarischsprachige Ausgabe von "Denník N") ist etwa die freieste Stimme unter allen ungarischsprachigen Tageszeitungen der ostmitteleuropäischen Region, sie wird deswegen auch in Ungarn gelesen.

Die Fidesz interessiert sich aber für die ungarische Minderheit in der Slowakei kaum, die Orbán-Partei hat dort längst einen anderen Verbündeten: die linksnationalistische "Smer"-Partei von Robert Fico. Diese merkwürdige Allianz zwischen Links- und Rechtsnationalisten ist die Folge einer pragmatisch-opportunistischen Machtpolitik von Orbán. Er will eine wahrscheinlich erfolgslose ungarische Partei wie die "Allianz" nicht allzu offen unterstützen. Zugleich wäre für die jetzige ungarische Regierung eine mögliche Fico-Regierung aus außenpolitischen Gründen wichtiger als die parlamentarische Vertretung der ungarischen Minderheit. Budapest würde eine nationalistisch, EU-kritisch und prorussisch orientierte Regierung in Bratislava gut "brauchen", zumal sich die ungarischen Beziehungen zu Polen, einem traditionellen Verbündeten in der EU, infolge des Ukrainekrieges verschlechterten.

Orbán versteht sich zwar gerne als Verteidiger der Auslandsungarn in den Nachbarstaaten. In der Slowakei unterstützt er aber im Wahlkampf einen Politiker, der als Ministerpräsident zwischen 2006 und 2010 eine äußerst ungarnfeindliche Politik verfolgte, etwa 2009 ein Gesetz verabschiedete, das die Verwendung der ungarischen Sprache in der Öffentlichkeit diskriminiert. Der Antiliberalismus und die Putin-Nähe von Fico scheinen aber für die heutige Budapester Regierungspartei relevanter zu sein als die vielbeschworenen "nationalen" Interessen der ungarischen Minderheiten. (Péter Techet, 21.9.2023)