Es sind die hohen jüdischen Feiertage, an denen Jüdinnen und Juden um Vergebung für schlechte Taten bitten – und diese auch gewähren –, unabhängig davon, ob diese Taten absichtlich oder aus Versehen begangen wurden. Wir bitten auch um Vergebung für Unrecht, das wir begangen haben, weil wir tatenlos zusahen, als andere Böses taten.

Wien Nationalsozialismus Erinnerung Gedenken Staatsbürgerschaft
Seit 2020 können Nachkommen von Opfern des NS-Regimes mit ausländischer Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten.
Getty Images/Andreas Kilian

Der Prozess der Vergebung ist keine Wissenschaft. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob wir es richtig oder falsch machen. Wenn es um böse Taten geht, ist der Holocaust eine Kategorie für sich. Es gab mehrere Ebenen des Bösen. An der Spitze standen Adolf Hitler und wichtige Mitglieder seiner Partei, die böse Taten konzipierten und ausführten. Es gab Menschen, die "Befehle befolgten" und selbst schreckliche Dinge taten. Es gab die Menschen, die dafür stimmten, dass die Nazis an die Macht kamen. Und es gab "Unbeteiligte", die einfach nichts taten, um das Böse zu verhindern.

Wer und wie kann ihnen vergeben werden? Gibt es dafür eine zeitliche Begrenzung? Geht die Schuld auf ihre Kinder oder ihr Land über? Ist dies heute noch relevant?

Mein Großvater Daniel Laszlo und meine Großmutter Edith Vincze Laszlo waren Juden. Sie haben in Wien Medizin studiert. Danach lebten sie als Gastwissenschafter und Ärzte in Deutschland, als die Nazis ihren Aufstieg begannen. Als Juden und mit einem neugeborenen Kind (meinem Vater) eilten meine Großeltern zurück nach Wien. Dort veröffentlichte meine Großmutter wissenschaftliche Arbeiten und praktizierte Psychologie und Neurowissenschaften mit Anna Freud, und mein Großvater war ein bahnbrechender Denker in der Medizin.

Wie ein Held begrüßt

Wie Sie sicher wissen, war auch das kein sicherer Ort für Jüdinnen und Juden, denn das österreichische Volk verhalf den Nazis an die Macht. Im Jahr 1938 befanden sich mein Vater und seine Eltern in der Wohnung der Familie in der Währinger Straße 58, als die Nazis einmarschierten. Hitler selbst wurde wie ein Held begrüßt. Eine riesige Parade, die Hitler feierte, ging direkt unter der Wohnung meiner Familie vorbei. Es gab Soldaten, Panzer und zehntausende jubelnde Österreicher. Mein Vater und seine Eltern haben das alles gesehen. Nach vielen Kämpfen gehörten mein Vater und seine Eltern schließlich zu den relativ wenigen, die das Glück hatten, in die Vereinigten Staaten zu entkommen. Ein Großteil unserer Familie saß jedoch in Europa fest und wurde von den Nazis getötet.

Als mein Vater 85 Jahre alt wurde, fuhren drei Generationen unserer Familie nach Wien und sahen, wo er als Kind gelebt hatte. Wir besuchten auch den Ort, an dem seine Eltern Ärzte gewesen waren. Es war sehr bewegend.

Zurück zur Frage der Vergebung an den hohen Feiertagen: Vergebung bedeutet nicht Vergessen. Wir dürfen niemals vergessen, was geschehen ist. Die Österreicherinnen und Österreicher wollten Hitler ins Land holen, nachdem er Mein Kampf geschrieben hatte, in dem er zum Völkermord an den Juden aufrief. Verlangt das jüdische Gesetz also von uns, ihnen zu vergeben? Wollen sie Vergebung? Sie wollen es und haben es seit langem demonstriert.

Holocaust Erinnerung Gedenken
Ein Foto des Vaters John (ursprünglich Hans) Laszlo, als er 85 Jahre alt war und vor dem Wohnhaus stand, in dem er lebte, als die Nationalsozialisten einmarschierten.
Foto: Privat

Vor Jahrzehnten traf ich den damaligen Botschafter Österreichs in den Vereinigten Staaten, Helmut Türk. Er bemühte sich um jüdische Führungspersönlichkeiten und knüpfte Beziehungen. Seitdem habe ich mehrere österreichische Botschafter getroffen. Sie alle taten dasselbe und organisierten Veranstaltungen zur Erinnerung an Österreichs Rolle im Holocaust. Gibt es immer noch Antisemitinnen und Antisemiten in Österreich? Traurigerweise gibt es sie, wie so ziemlich überall sonst auch.

Kürzlich wurde ich eingeladen, bei den Vereinten Nationen in Wien eine Auszeichnung für meine Arbeit zu Behindertenfragen entgegenzunehmen. Vor mehr als 3000 Menschen aus 70 Ländern erinnerte ich die Zuhörer auf der Bühne der Uno an Österreichs Nazi-Vergangenheit. Ich trug meine Anstecknadel mit dem Löwen von Juda – einem großen Davidstern – und sprach darüber, wie die Nazis Jüdinnen und Juden und Menschen mit Behinderungen gleichermaßen töteten. Die Österreicherinnen und Österreicher und andere im Publikum waren dankbar für die Erinnerung und entschlossen, mehr zu tun und es besser zu machen. Obwohl die heutige jüdische Gemeinde nur einen winzigen Bruchteil der Größe der jüdischen Bevölkerung vor dem Holocaust ausmacht, blüht sie heute in Wien auf.

Teil der Tradition

In diesem Jahr habe ich ein Programm der österreichischen Regierung zur Aufarbeitung der Verbrechen des Holocaust in Anspruch genommen und die österreichische Staatsbürgerschaft für mich und unsere Kinder erhalten. Es gibt eine Menge Papierkram zu erledigen, und die Botschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter waren sehr hilfsbereit. Ich bin der österreichischen Regierung und meinen vielen österreichischen Freunden dankbar für ihre Offenheit, ihre Geschichte anzuerkennen und aus ihr zu lernen, um eine bessere Zukunft für alle zu fördern.

Für mich war es bedeutsam, einen Kreis zu schließen und die Staatsbürgerschaft zurückzuerhalten, die unserer Familie von den Nazis verweigert wurde. Es war und ist ein Teil der Vergebung und ein wichtiger Teil unserer Tradition. Es ist nicht leicht, und ich glaube nicht, dass Menschen, die selbst Opfer der Nazis waren, unbedingt vergeben können. Was meinem Vater und seiner Familie – meinen Vorfahren – zugestoßen ist, war unmenschlich.

Ich weiß nicht, ob meine längst verstorbenen Großeltern es gutheißen würden, wenn ich die österreichische Staatsbürgerschaft annehme. Aber wenn man bedenkt, wie schwer es für sie war, aus Europa herauszukommen, stelle ich mir vor, dass sie froh wären, wenn meine Kinder mehrere Staatsbürgerschaften und europäische Pässe als Optionen hätten. Eine klare Lehre aus dem Holocaust ist, dass es gut ist, Fluchtmöglichkeiten zu haben, wenn schreckliche Dinge geschehen. (Jennifer Laszlo Mizrahi, 22.9.2023)