Die Wiener Rapperin Esra Özmen, die mit ihrem Bruder das Duo EsRap bildet, wohnt seit der Kindheit in Ottakring. Sich selbst und ihre minimalistische, improvisierte Wohnung sieht sie als Momentaufnahme.

"Aufgewachsen bin ich mit meinen Eltern und meinen zwei Brüdern in einer klassischen Altbauwohnung, Zimmer-Küche-Kabinett, mit Duschkabine in der Küche und Klo am Gang. Krass eng, aber es war okay. Eines Tages gab es einen Brand nebenan, und wir mussten die Wohnung verlassen. Im Sandleitenhof haben wir dann eine Notfallwohnung bekommen. Und nun wohne ich hier, auch im Gemeindebau, 35 Quadratmeter, zum ersten Mal allein in meinem Leben.

Ein Screenshot ihres Lebens: Rapperin Esra Özmen in ihrer Gemeindebauwohnung in Wien-Ottakring.
Ein Screenshot ihres Lebens: Rapperin Esra Özmen in ihrer Gemeindebauwohnung in Wien-Ottakring.
Pilo Pichler

Meine Großeltern in Izmit waren Nomaden, so wie all die Generationen davor. Und auch, wenn wir die Ersten waren, die sich sesshaft gemacht haben, so sind wir im Herzen doch Nomaden geblieben. Wir hatten nicht viel, zum einen, weil wir uns mehr nicht hätten leisten können, zum anderen, weil die Familie immer schon damit erfahren war, aus fast nichts etwas mehr zu machen. Mein Vater ist Bauspengler, und wenn der Gürtel kaputt ist, dann spenglert er sich halt eine neue Schnalle, und wenn der Brillenbügel abgebrochen ist, sieht man ihn am nächsten Tag mit einem Stück Dachblech im Gesicht. So tickt unsere Familie, und so ticke ich auch.

Es ist eine Art angewandter, improvisierter Minimalismus. Meine Küche ist multifunktional. Wenn ich will, kann ich die Arbeitsfläche auch zum Bügeln verwenden, voll praktisch. Und das Tee- und Gewürzregal eignet sich auch dazu, Glühbirnen an die Decke zu schrauben. Doch das Wichtigste ist sowieso der Herd zum Kochen und Teemachen. Ich hab eine elektrische Kochplatte, kann im Sitzen kochen und brauche auch gar nicht mehr aufzustehen, wenn ich aus dem Çaydanlýk Tee einschenke. Wenn Besuch kommt, dann gibt es Tee. Gib her deine Tasse! Zucker?

Die Arbeitsfläche kann auch zum Bügeln verwendet werden.
Die Arbeitsfläche kann auch zum Bügeln verwendet werden.
Pilo Pichler

Und sonst hab ich ein paar Stühle und Hocker, einen Topf, eine Pfanne, einen Esstisch, ein Bett, eine zweite Leiter, die ich als Bücherregal nutze, am Fensterbrett liegen Boxhandschuhe zum Üben, und dann gibt es noch einen Metallspind vom Obi, der perfekte Kleiderschrank! Ich glaub, das war's. Die Menschen sagen immer, Übersiedeln ist so was Schweres, alles sehr kompliziert und überall Bananenkisten, und dann findet man wochenlang nix. Das Problem hatte ich nicht.

Esra Özmen könnte sich mittlerweile einen Schrank aus Vollholz leisten – „ich weiß nur nicht, ob ich das will“.
Esra Özmen könnte sich mittlerweile einen Schrank aus Vollholz leisten – „ich weiß nur nicht, ob ich das will“.
Pilo Pichler

Ich kann von meiner Musik mittlerweile gut leben, ich könnte mir wahrscheinlich eine schöne Küche und einen hochwertigen Schrank aus Vollholz leisten. Ich weiß nur nicht, ob ich das will. Ich bin gut im kreativen Umgang mit Mangel und Knappheit, das ist das, was ich gelernt habe, das ist das, was mir Spaß macht. Ich genieße mein abgefucktes Leben.

Abgesehen davon, dass ich mir denke: Hut ab vor jedem, der in der Lage ist, so große Entscheidungen zu treffen. Ich kann das nicht. Ich würde Monate brauchen, um mich für eine Küchenfront zu entscheiden.

Die Boxhandschuhe liegen auf dem Fensterbrett bereit.
Die Boxhandschuhe liegen auf dem Fensterbrett bereit.
Pilo Pichler

Ich weiß nicht, ob ich heute schon wissen möchte, wer ich in fünf oder zehn Jahren sein werde, geschweige denn, wie und wo ich wohnen werde. So wie auch meine Kunst immer nur eine Momentaufnahme ist, so ist auch dieses Wohnen hier nur ein Screenshot der heutigen Esra. Nichts ist jemals fertig – nicht die Musik, nicht die Kleidung, nicht die Wohnung, nicht der Alltag und schon gar nicht der Mensch.

Alles ist in Veränderung, und morgen und übermorgen wird der Screenshot ein anderer sein. Manchmal passiert es sogar, dass ich einen alten Song hernehme und ihn umschreibe und weiterentwickle – weil auch ich mich seit damals weiterentwickelt hab.

Mit ihrer elektrischen Kochplatte kann Esra Özmen auch im Sitzen kochen.
Mit ihrer elektrischen Kochplatte kann Esra Özmen auch im Sitzen kochen.
Pilo Pichler

Der Rap hat mir gezeigt, dass Sprache nicht so sein muss, wie sie in den Büchern steht. Es gibt mehr als nur Klassensprache. Wenn sich in Wien türkische und arabische Wörter mit österreichischen zu einem Mischsalat vermengen, das ist doch geil, oder? Das ist Wien!

Auch ich bin so eine Mischung, eine Mischung aus Tschusch, Kanak und Wienerin, und meine Wohnung sowieso. Ich mach grad mein Doktorat in Philosophie, ich rappe mich weiter durchs Leben, will viel Geld machen mit Konzerten und mir eines Tages eine Wohnung am Yppenplatz kaufen." (Wojciech Czaja, 25.9.2023)

Videointerview mit dem Hip-Hop-Duo EsRap: "Nicht alle dürfen Tschusch sagen"
DER STANDARD