Einen großen Brief in Briefkasten stecken
Im 2019 aufgeflogenen Missbrauchsfall um einen Wiener Sportlehrer mit 40 Opfern gab es bereits im Jahr 2013 eine erste Missbrauchsanzeige. Diese dürfte aber auf dem Postweg zwischen zwei Polizeistellen verloren gegangen sein.
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Wie schwer es sein muss, einen sexuellen Missbrauch durch eine Vertrauensperson oder gar ein Familienmitglied bei den Behörden anzuzeigen, können nur die Opfer selbst sagen. Der Mut oder auch die Verzweiflung, die einen in die Lage versetzt, einen Missbrauch zu melden, ist oft erst Jahre nach den gesetzten Tathandlungen da – vor allem, wenn der oder die Betroffene beim Missbrauch noch ein Kind war. Entschließt sich das Opfer zu diesem Schritt, muss es absolut darauf vertrauen können, dass der Rechtsstaat funktioniert und seine Arbeit macht.

Im Jahr 2013 ist eine solche Missbrauchsanzeige gegen einen unter Schulkindern äußerst beliebten Wiener Pädagogen verschwunden. In Österreich. Wahrscheinlich auf dem Postweg zwischen zwei Polizeistellen. Wie es zu diesem unfassbaren Behördenversagen kommen konnte, ist bis heute unklar. Das Verfahren gegen zwei Polizeibeamte wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs wurde von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vor wenigen Tagen eingestellt. Und selbst wenn sich ein mögliches Verschlampen der Anzeige herausgestellt hätte: Die Vorwürfe wären längst verjährt.

Zurück bleibt in diesem Fall nicht nur das Opfer. Denn 2019 ist eine weitere Missbrauchsanzeige gegen den Sportlehrer eingebracht worden. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Mann in einem Zeitraum von insgesamt 15 Jahren zahlreiche Missbrauchshandlungen gesetzt hat. Zumindest 40 weitere Opfer sind belegt. Wäre die Anzeige 2013 nicht einfach verschwunden, wäre ihr korrekt nachgegangen worden: Hätte der Serientäter sechs Jahre früher gestoppt werden können? Diese beklemmende Frage dürften sich nicht nur Betroffene zu Recht stellen.

Polizei, Staatsanwaltschaft, Justizministerium: Sie dürfen jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Klar: Fehler sind menschlich, sie passieren. Im Rechtsstaat mit seiner Gewaltentrennung müssen aber Sicherheitsnetze so eingezogen werden, dass Anzeigen garantiert nicht verschwinden. Opfer haben hier null Verantwortung: Sie müssen nicht nachfragen, was mit ihrer Anzeige passiert, um einem Versanden des Aktes vorzubeugen. Denn das wäre eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Die betroffenen Behörden müssen den Fall zum Anlass nehmen, um ihre Sicherheitssysteme einem intensiven Check zu unterziehen, damit sich so eine Causa garantiert nicht wiederholen kann. Da sind Innen- und Justizministerium gefordert. (David Krutzler, 22.9.2023)