Erschöpfte Frau sitzt am Boden neben einem kleinen Kind
Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass ein Fünftel der Mütter und Väter bereut, Kinder bekommen zu haben.
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Wiebke träumte davon, Mutter zu werden, seitdem sie klein war. Mit Ende 20 lernt die Wienerin ihren Partner kennen und ist überzeugt: Der nächste Schritt ist ein gemeinsames Kind. Mit Anfang 30 bekommt das Paar eine Tochter, einige Jahre später folgt ein Sohn. Heute meint Wiebke, sie habe damals keine Ahnung gehabt, wie sehr die Geburt ihrer Kinder ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher trennen würde. Mit dem Wissen von heute würde sie sich nicht noch einmal für Kinder entscheiden.

Mit diesem Gefühl ist Wiebke nicht allein. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2015: Ein Fünftel der deutschen Mütter und Väter gibt an, dass sie die Entscheidung, Kinder zu bekommen, rückgängig machen würden. In ihrem 2015 erschienenen Buch "Regretting Motherhood" beschäftigte sich die israelische Soziologin Orna Donath intensiv mit der Thematik: Sie sprach mit 23 Frauen im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70 – allesamt Mütter, die es bereuten, Kinder bekommen zu haben, und sich in ihrer Mutterrolle gefangen fühlten. Donath traf dabei offenbar einen wunden Punkt. Ihre Studie löste eine heftige Debatte aus, die Empörung in sozialen Medien war groß. Darf eine Mutter das denn sagen? Kann man es bereuen, Kinder bekommen zu haben – und sie trotzdem lieben?

Als die Debatte über bereute Mutterschaft entbrennt, ist Wiebkes Tochter knapp ein Jahr alt. Sie ist ein schwieriges Baby, schreit viel und schläft wenig. Wiebke ist restlos überfordert und sucht den Fehler bei sich selbst. "Ich hab kaum noch geschlafen und gegessen, mir ging es so dreckig", sagt die 39-Jährige. Als sie zum ersten Mal über das Phänomen der bereuten Mutterschaft liest, kann sie sich damit ganz und gar nicht identifizieren. Nach einem Jahr bricht Wiebke zusammen und ist fest entschlossen, dass sich etwas ändern muss. Sie beginnt sich mit feministischen Perspektiven auf Mutterschaft auseinanderzusetzen, liest Bücher dazu und folgt in den sozialen Medien Müttern, denen es ähnlich geht wie ihr.

Die Schattenseiten der Mutterschaft

Sich negativ über die eigene Mutterrolle zu äußern gilt nach wie vor als Tabubruch. Nur wenige Mütter trauen sich, offen über die Schattenseiten der Mutterschaft zu sprechen. Dabei werde Muttersein eher schwieriger als einfacher, meint Margit Hartmann, die als Psychotherapeutin und Hebamme in Wien arbeitet. Den Grund dafür sieht sie in den gesellschaftlichen Erwartungen: "Heute musst du nicht nur Kinder haben, sondern auch noch glücklich sein dabei und Karriere machen und immer schick ausschauen." Darüber hinaus werde den Müttern das Gefühl vermittelt, sie müssten das alles alleine schaffen. Das Bereuen der Mutterschaft sei häufig auf mangelnde Unterstützung zurückzuführen. "Da sind Partnerinnen und Partner gefordert, Familienmitglieder, aber auch öffentliche Einrichtungen und die Politik."

Die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter belasten auch Johanna*, seitdem sie vor fast drei Jahren Mutter wurde. Ihre Tochter war geplant, Johanna wurde sofort schwanger. "Schon in der Schwangerschaft hat es begonnen, dass alle dir sagen, was du zu tun und zu lassen hast", sagt die 30-Jährige, die in der Nähe von St. Pölten wohnt. Bereits als sie ihr neugeborenes Baby nach der Geburt aufgelegt bekommt, spürt sie, dass sie keine richtige Bindung zu ihm aufbauen kann. "Ich hab mir gedacht: 'Gebt das Kind weg!' Ich hab nicht gewusst, was ich mit ihm anfangen soll."

Johannas Tochter ist ein problemloses Baby und ihr Partner ein engagierter, liebevoller Vater. Doch Johanna kommt nicht in ihrer Mutterrolle an, sie hat das Gefühl, etwas stimmt nicht, es geht ihr schlecht. Wenn sie versucht, mit Leuten darüber zu sprechen, hört sie immer wieder nur, dass sei am Anfang normal und würde sich schon noch ändern. "Das ist eigentlich das größte Problem, finde ich: dass man nicht anerkennt, wenn eine Mutter Probleme hat", sagt sie. "Man muss mit den Leuten streiten und fast schreien." Ursprünglich wollte Johanna zwei Jahre Karenz nehmen, bereits nach sechs Monaten kehrte sie geringfügig zu ihrer Arbeit zurück. Heute arbeitet die Niederösterreicherin 30 Stunden im Handel in einem Sportgeschäft – ein Ausgleich zum Familienleben, den sie dringend brauche, meint sie.

Kein Zurück mehr

Mittlerweile hat Johanna zu ihrer fast dreijährigen Tochter eine gute Bindung aufbauen können. Im Gespräch betont sie immer wieder, wie sehr sie sie liebt. Hätte sie vor vier Jahren gewusst, wie es für sie sein würde, Mutter zu sein, hätte sie sich dennoch anders entschieden. "Ich habe mich selbst in der Mutterrolle verloren", sagt sie. "Hobbys, die man davor hatte, verschwinden, seine Freundinnen sieht man kaum noch."

Für Frauen gibt es in den meisten Fällen kein Zurück mehr, wenn sie sich einmal für ein Kind entschieden haben. "Von einem Partner kann man sich trennen, einen Job kann man kündigen", sagt Psychotherapeutin Hartmann. "Vom eigenen Kind kann man sich als Mutter eigentlich nicht trennen." Tut man es doch, müsse man mit gesellschaftlicher Ächtung rechnen. Dabei sei jede Mutter schon an ihre Grenzen gestoßen und hätte am liebsten die Koffer gepackt, glaubt Hartmann. "Für die Mütter, die zu mir kommen, ist es oft so entlastend, wenn ich sage, das ist ganz normal, das darf sein", erzählt sie. Der "Muttermythos", also die Vorstellung, Mutterschaft liege in der Natur von Frauen und würde somit automatisch zu ihrem Glück führen, sei in unseren Köpfen tief verankert.

Wiebke kann die Reuegefühle lange nicht zulassen, sie bekommt sogar noch ein zweites Kind. Heute arbeitet die 39-Jährige, die einen Magister in Sozioökonomie hat, hauptberuflich als Bloggerin und klärt auf ihrem Instagram-Account über "Regretting Motherhood" und feministische Mutterschaft auf. Dort spricht sie offen über die schönen wie auch die schmerzhaften Seiten der Mutterschaft: die Fremdbestimmung, die Sorgen, die Liebe, die so groß sei, dass es wehtue. Hunderte Mütter teilen in den Kommentaren von Wiebkes Postings ihre Erfahrungen, sie schreiben ihr, wie dankbar sie für ihre Ehrlichkeit sind. Dem gegenüber stehen Nachrichten, die von Unverständnis bis hin zu Hass reichen – auch dass man ihr ihre Kinder wegnehmen sollte, muss Wiebke häufig lesen.

"Unreflektierte Märchenwelt"

Nicht nur mit ihren Instagram-Followern, auch mit ihren Kindern will Wiebke offen über ihre Gefühle sprechen. "Mit meiner Neunjährigen rede ich schon darüber, wie anstrengend Mutterschaft ist, altersadäquat natürlich", sagt sie. Ihre Tochter solle nicht, wie sie, in eine "unreflektierte Märchenwelt" hineinrutschen, sondern später eine echte Wahl treffen können, ob sie Kinder bekommen möchte oder nicht. Auch Johanna will mit ihrer Tochter über ihre Reuegefühle sprechen, wenn sie alt genug ist. Besonders wichtig ist beiden Müttern dabei, ihren Kindern zu vermitteln, dass sie keine Schuld tragen. "Meine Tochter ist ein wunderbarer Mensch. Sie kann nichts dafür, was ich mit der Mutterschaft verbinde", sagt Johanna. Die Reuegefühle ehrlich gegenüber dem Umfeld zu kommunizieren könne für die betroffenen Mütter eine erhebliche Entlastung darstellen, meint auch Hartmann. Vor allem aber rät sie ihnen: "Suchen Sie sich eine Weggefährtin, jemanden, dem es genauso geht."

Für Johanna kommt ein zweites Kind nicht infrage, sie hat sich sterilisieren lassen. Nun die Sicherheit zu haben, dass sie nicht noch ein Kind bekommen wird, habe ihr sehr geholfen. Die Mutterschaft fällt ihr auch leichter, je älter und selbstständiger ihre Tochter wird: "Ich bekomme schrittweise mein eigenes Leben zurück." (Clara Wutti, 28.9.2023)