"Dido" von Choreograf Korhan Basaran.
Julia Kampichler

Tragische Wende für Dido, die mythische Gründerin und Regentin von Karthago. Von den Winden des Mittelmeers wird, wie Vergil schildert, der Trojaner Aeneas an die Küste vor der Stadt getrieben. Er enttäuscht ihre Liebe, sie nimmt sich das Leben.

Eine Legende, die bestens zu dem Titel "Sea Change" des aktuellen Festivals Europa in Szene passt, das von der Compagnie Wortwiege in Wiener Neustadt veranstaltet wird. Am Festivalausklang beteiligt sich jetzt der türkische Choreograf Korhan Basaran mit seinem 2022 in Ankara uraufgeführten Tanzsolo Dido. Zur Erinnerung die Landkarte: Troja wird auf dem Gebiet der heutigen Türkei vermutet, Karthago in Tunesien, und Aeneas gilt als Stammvater von Rom. Die mediterrane Sache zwischen Dido und Aeneas wurde zum antiken Blockbuster – bis hin zu zahlreichen Opern, darunter Henry Purcells Dido and Aeneas.

Choreografie eines Monologs

Korhan Basaran (46) beruft sich auf Vergil und Marlowe als Grundlagen für sein effektvolles Tanzsolo, das er als Choreografie eines Monologs über das Leid der Dido, aber auch über die Reue des Aeneas inszeniert. Dido wird als starke Frau beschrieben, die eigentlich den Niederungen der Fleischeslust entsagt hat. Doch sie wird von den Göttinnen Venus und Juno in ihre Leidenschaft für Aeneas getrieben, den Gott Merkur mit Nachdruck von ihr entfernt.

Wie zeitgemäß ist das! Bis heute produzieren manipulative "höhere Mächte" wie zum Beispiel die Unterhaltungsindustrie die meistverbreiteten Vorstellungen von "Liebe". So konnten sich die Konvention der übertriebenen Erwartung, aber auch die Tradition der Enttäuschung erhalten.

Zweierlei Lamentation

Patentrezepte dagegen tischt Basaran nicht auf. Er serviert etwas Besseres: Bei ihm darf die Tragödie eine solche bleiben. Dafür öffnet er den großen poetischen Raum der Klage neu. Hier ist es natürlich das Lamento der beiden über ihre Verluste und inneren Zerstörungen. Aber auch darüber, auf die Manipulationen hereingefallen zu sein, und ob der Scham angesichts des damit verbundenen Verrats an sich selbst.

Seinen mit Vergil und Marlowe erstellten Monolog mischt Korhan Basaran mit einer expressiven Verkörperung in närrischer Verkleidung, atmosphärisch starken Projektionen und passend kräftigem Sound.

Zum Abschluss des Wiener Neustädter Festivals Europa in Szene präsentiert die Wortwiege am Samstagabend noch einmal das filmische Musiktheater Orlando Trip von Anna Luca Poloni und Christian Maïr (Fox On Ice). Und am Sonntagvormittag findet als "Salon Europa" eine Gesprächsrunde über "Verwandlungskünste" statt, mit unter anderen der britischen Schauspielerin Emily Cox und der türkischen Regisseurin Azelia Opak. (ploe, 22.9.2023)