Wien – Die Interessengemeinschaft IG Autorinnen Autoren übt scharfe Kritik an der ORF-Geschäftsführung und der Auslegung, welche Nebenbeschäftigungen die ORF-Journalistinnen und -Journalisten ausüben dürfen – und vor allem welche nicht. Im ORF müssen Nebenbeschäftigungen der Angestellten grundsätzlich genehmigt werden. Das betrifft in erster Linie Moderationen und Präsentationen, die bestimmten Richtlinien unterliegen.

Eine Ethikkommission arbeitet gerade an einer Verschärfung dieses Regelwerks. Die neuen Compliance-Regeln sollen neben der Causa Nebenbeschäftigungen auch die Social-Media-Aktivitäten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umfassen.

Die Buch Wien
Die IG Autorinnen Autoren sieht für die Buch Wien eine "existenzgefährdende Dimension", wenn der ORF bei der restriktiven Handhabung der Nebenbeschäftigungen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleibt.
IMAGO/SEPA.Media

Buchpräsentationen und andere Veranstaltungen

In einer Mail an die ORF-Geschäftsführung unter Generaldirektor Roland Weißmann heißt es: "Die IG Autorinnen Autoren hört von mehr und mehr Literaturveranstaltern, dass langfristig vereinbarte Moderationen mit ORF-Redakteurinnen und -Redakteuren vom ORF untersagt wurden und daher nicht wie vereinbart und angekündigt durchgeführt werden können. Betroffen davon sind nicht nur Buchpräsentationen, wie es zunächst geheißen hat, betroffen sind auch Veranstaltungen, die sich aktuellen Themen widmen. Davon betroffen sind zudem nicht nur, wie es ebenfalls zunächst geheißen hat, leitende Redakteurinnen wie Kaja Gasser, wegen angeblicher Unvereinbarkeit mit ihrer Funktion, betroffen ist, wie es derzeit aussieht, wen immer es gerade trifft."

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Die Nebenbeschäftigungen von ORF-Journalistinnen und -Journalisten sorgen für Diskussionen.
APA/EVA MANHART

Die Leidtragenden dieser Maßnahmen seien etwa die "Österreichische Gesellschaft für Literatur, das Literaturhaus Wien, das Literaturhaus Graz, die Europäischen Literaturtage, die Lavant Gesellschaft und natürlich die beteiligten Autorinnen und Autoren und das Publikum", moniert die IG Autorinnen Autoren in der Mail, die dem STANDARD vorliegt. "Durch dieses Vorgehen des ORF wird ein jahrzehntelang aufgebautes Miteinander von Literaturkundigen im ORF mit literarischen Veranstaltern zerstört, und es wird den Beteiligten wider besseres Wissen kommerzielles Handeln unterstellt."

"Stopp dieser Auftrittsverbote"

Die IG Autorinnen Autoren nennt etwa explizit ORF-Literaturkritikerin Katja Gasser, der jetzt reihenweise Moderationsjobs verweigert würde. Sie hätte als leitende Literaturredakteurin im ORF keinerlei Programmentscheidungsgewalt. Auf sie treffe "keine andere Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit zu als auf alle anderen ORF-Redakteurinnen und -Redakteure auch". Die langjährige ORF-Journalistin kuratierte zuletzt als künstlerische Leiterin den Auftritt Österreichs als Gastland der Leipziger Buchmesse 2023. Gasser sei aber bei weitem nicht die einzige ORF-Journalistin, die von dem Verbot betroffen sei. Die Interessengemeinschaft befindet sich dazu laut eigenen Angaben im Austausch mit ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz. Gefordert werden der "sofortige Stopp dieser Auftrittsverbote" und die "Offenlegung der Richtlinie bzw. diesbezüglich allfälliger Feststellungen des ORF-Ethikrats".

Der ORF kappe "Außenkontakte"

Für die Buch Wien, bei der es eine ORF-Hauptbühne gebe und bei der zahlreiche ORF-Redakteurinnen und -Redakteure auftreten, hätte dieses Auftrittsverbot eine "existenzgefährdende Dimension", kritisieren die IG Autorinnen Autoren. Die Buch Wien geht heuer von 8. bis 12. November über die Bühne. Und: "Wir können im jetzigen Vorgehen des ORF leider nur Willkür zur Beschädigung der ohnehin nur sehr schwach im ORF-TV präsenten Literatur erkennen, deren Außenkontakte nun auch noch nach allen Richtungen gekappt werden, nachdem ihre Verbindungen der kurzen Wege zu den Literaturredaktionen durch die Übersiedlung vom Funkhaus auf den Küniglberg bereits gekappt wurden."

ORF: "Wahrung von Objektivität und Unabhängigkeit"

Der ORF verweist auf STANDARD-Anfrage darauf, dass es darum gehe, Interessenkonflikte zu vermeiden: "Journalistische und programmgestaltende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF sind gesetzlich zur Unabhängigkeit verpflichtet. Zur Gewährleistung dieser Unabhängigkeit gibt es intern mehrere Regulative, unter anderem Regelungen zu Nebenbeschäftigungen. Diese wurden zuletzt Anfang des Jahres verschärft und sind derzeit Gegenstand einer Evaluierung durch eine extern besetzte Ethikkommission."

Der ORF ersuche um Verständnis, dass er "besonders sensibel bei Nebenbeschäftigungen – insbesondere bei jenen von leitenden Redakteur:innen – entscheidet, da in jedem Fall ein Interessenkonflikt zwischen einer privaten, extern bezahlten Nebenbeschäftigung und der journalistischen Verantwortung für die entsprechende Berichterstattung vermieden werden soll. Zur Wahrung von Objektivität und Unabhängigkeit werden Nebenbeschäftigungen nicht in allen Fällen genehmigt werden können."

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat die ORF-Ethikkommission im Frühjahr 2023 installiert, nachdem es zahlreiche Diskussionen über Chats, Transparenz und Nebenbeschäftigungen sowie Social-Media-Richtlinien gegeben hatte. Geleitet wird sie von Ingrid Deltenre, ehemalige Direktorin des Schweizer Fernsehens und Generaldirektorin der European Broadcasting Union (EBU). (Oliver Mark, 25.9.2023)