Die Wälder im Zentrum Portugals standen 2017 in Flammen. Das Ausmaß der Brände war enorm – 110 Menschen starben. Der Klimawandel habe die Flammen zusätzlich befeuert, das hätten Wissenschafter bestätigt, so der Vorwurf von sechs Kindern und Jugendlichen aus Leiria und Lissabon, die nun rechtliche Konsequenzen fordern. Die jüngste Klägerin ist mittlerweile elf, die älteste 24 Jahre alt.

Mithilfe der Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network (Glan) haben sie eine Beschwerdeschrift beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingebracht. Das Außergewöhnliche: Die Vorwürfe richten sich gegen alle 27 EU-Staaten, Norwegen, Russland, Großbritannien, die Türkei und die Schweiz. Ursprünglich richtete sich die Beschwerde auch gegen die Ukraine. "Nach der russischen Invasion in der Ukraine wurde diese allerdings zurückgezogen", heißt es auf der Website.

Die Kinder und Jugendlichen werfen den Ländern vor, die Klimakrise verschärft und damit die Zukunft ihrer Generation gefährdet zu haben. Ziel der Menschenrechtsbeschwerde ist laut Glan unter anderem, dass die Länder ihre Emissionen rapide reduzieren und ihre nationalen Klimaziele deutlich ambitionierter verfolgen.

Ein Mann steht auf einem Balkon, umgeben von Rauchschwaden, vor ihm brennt ein Wald.
Ob der verheerenden Waldbrände in Portugal 2017 ziehen sechs Kinder vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
imago/GlobalImagens

Verhandlung als Ausnahme

Drei Jahre nachdem die Kinder die Beschwerde eingebracht haben, wird am Mittwoch nun mündlich über den Fall verhandelt. Für Verfahren am EGMR ist das eine Ausnahme. "Das zeigt, dass der Gerichtshof dem Fall eine überragende Bedeutung beimisst", sagt Wilhelm Bergthaler, Professor am Institut für Umweltrecht der JKU Linz. "Der EGMR signalisiert damit deutlich, dass er das Verfahren für grundlegend hält und er öffentlich Farbe bekennen muss."

Rechtlich stützen sich die Kinder und Jugendlichen auf zentrale Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wie das Recht auf Leben und das Recht auf Privat- und Familienleben. Das Argument: Die Staaten halten internationale Vorgaben im Klimaschutz nicht ein und verletzen damit ihre Schutzpflichten gegenüber den Bürgern. Die Kinder monieren zudem einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung. Die jüngere Generation sei für einen längeren Zeitraum von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen als ältere Menschen.

Klage "geschickt geschrieben"

Nach der Verhandlung am Mittwoch werden die Richterinnen und Richter weiter über den Fall beraten. Eine Entscheidung könnte bereits nächstes Jahr fallen, möglicherweise sogar früher, vermutet Bergthaler. Der Umweltjurist gibt der Beschwerde "tendenziell gute Chancen". Die Beschwerde sei "geschickt geschrieben", sodass der EGMR eine Chance bekommt, sich in Klimafragen als "moderner und zukunftsgerichteter Gerichtshof" zu positionieren. "Man weiß natürlich nie, ob die Beschwerdeführer zur Gänze obsiegen. Denkbar wären auch Mittelwege."

Österreich wird bei der Verhandlung vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt vertreten und hat sich mit mehreren Schriftsätzen im Verfahren verteidigt. Aus Sicht der Republik kann man nicht mit "ausreichender Sicherheit" sagen, dass die Erderwärmung für die konkreten Gefahren, die von Waldbränden ausgehen, verantwortlich ist. Selbst wenn dies der Fall wäre, hätte Österreich "keine Möglichkeit gehabt, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen", heißt es in einer Stellungnahme an den EGMR. Deshalb könne der Staat nicht für die Brände verantwortlich sein. Auch Gefahren, die weit in der Zukunft liegen, stellen keine Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention dar.

Im Fall einer Verurteilung würde der EGMR eine Konventionsverletzung feststellen und könnte die Staaten theoretisch zu Entschädigungszahlungen verpflichten. Mit einer dramatischen finanziellen Belastung rechnet Bergthaler zwar nicht, das Verfahren könnte aber enorme Ausstrahlungswirkung haben – vor allem nach Österreich. Hierzulande steht die Menschenrechtskonvention im Verfassungsrang und ist direkt anwendbar. Und bei der Auslegung der Konvention orientiert sich der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) stark an jener des EGMR.

Weitere Verfahren aus Österreich

"Was die jungen Menschen in Portugal machen, ist mutig", sagt Laila Kriechbaum, "sie übernehmen Verantwortung für ihre Zukunft, was die Regierungen in Europa bisher rücksichtslos verwehren." Seit vier Jahren ist Kriechbaum bei Fridays for Future (FFF) aktiv. Ihrer Meinung nach klagen die Kinder ein, was die Regierungen versprochen haben, nämlich das 1,5-Grad-Ziel.

Die 20-Jährige hat auch an der Vorbereitung zur Klimaklage der zwölf Kinder und Jugendlichen in Österreich mitgearbeitet. Die Klage wurde vom Verfassungsgerichtshof aus "formalen Gründen" zurückgewiesen. Die Antragssteller im Volksschul- und Jugendalter hatten die Kinderrechte durch fehlende Maßnahmen für den Klimaschutz gefährdet gesehen und ein verschärftes Klimaschutzgesetz gefordert. Diesen Mittwoch ist das Gesetz, das Länder und Bund zur Reduktion der Emissionen verpflichten soll, bereits seit 1.000 Tagen unwirksam.

Michaela Krömer, Rechtsanwältin der Klimaklage, kündigte an, weitere Verfahren in Zusammenhang mit den Kinderrechten vorzubereiten. Das bestätigt auch Kriechbaum. Die Kinder würden sich mit einem Antrag nochmals an den Verfassungsgerichtshof wenden, und "darin werden alle formalen Einwände berücksichtigt werden". Ob dies genügt, damit die Kinder angesichts ihrer "mangelnden Beschwerdemöglichkeiten, die sie derzeit im österreichischen Rechtssystem haben, ihre Rechte geltend machen können", sei ungewiss. Auch beim EGMR hat Anwältin Krömer bereits eine Klage aus Österreich eingebracht.

Kriechbaum sieht die Kinder und Jugendlichen im Übrigen nicht von Klimaaktivistinnen und -aktivisten instrumentalisiert. "Kinder erleben die Waldbrände und wissen, was das mit ihrer Gesundheit macht, sie können dann nicht zur Schule gehen und verstehen, dass dieser Zustand nicht zugelassen werden sollte", sagt sie. Für Kriechbaum ist die Klage der portugiesischen Kinder schon jetzt erfolgreich. Das misst sie daran, dass der EGMR die hohe Dringlichkeit des Antrags erkannt hat. (Julia Beirer, Jakob Pflügl, 27.9.2023)