Explosion in Bergkarabach
Bei einer Explosion eines Treibstofflagers starben laut Medienberichten 125 Menschen.
AP

Mit jedem Tag verschärft sich die Situation der Zivilisten in der Region Bergkarabach. Tausende Karabach-Armenier versuchen aus Angst vor einem Völkermord aus dem von aserbaidschanischen Truppen zurückeroberten Gebiet zu fliehen. In langen Kolonnen verlassen Fahrzeuge die Enklave in Aserbaidschan, auch für Benzin muss man sich anstellen.

Am Montag führte diese Panik zu einer Katastrophe: Aus bisher ungeklärten Gründen kam es zu einer Explosion eines Treibstoffdepots. Offiziellen Meldungen zufolge wurden 68 Menschen getötet, weitere 105 würden vermisst und fast 300 seien verletzt worden. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte am Dienstagabend das Büro des Ombudsmanns für Menschenrechte der Region. Die Ursache der Explosion war weiter unklar.

Die Nachrichtenagentur Interfax Aserbaidschan hatte sich zuvor auf das armenische Gesundheitsministerium bezogen und von 125 Toten gesprochen. Dutzende Menschen schweben noch in Lebensgefahr, teilte das Gesundheitsministerium der international nicht anerkannten Regierung Bergkarabachs mit. Die medizinischen Kapazitäten der Region reichen nicht, um die Opfer zu versorgen.

Video: 200 Verletzte nach Explosion in Treibstofflager in Bergkarabach
AFP

Bereits 28.120 der 120.000 armenischen Einwohner Bergkarabachs sind schon nach etwas mehr als einem Tag des Exodus in Armenien angekommen, manche waren für die wenige Dutzend Kilometer lange Strecke mehr als 24 Stunden unterwegs.

Das Menschenrechtsbüro der Region appellierte an die internationale Gemeinschaft: Es sei dringend notwendig, insbesondere schwerverletzte Menschen zur Behandlung auszufliegen. "Die medizinischen Kapazitäten Bergkarabachs sind nicht ausreichend, um die Leben der Menschen zu retten", hieß es in der Mitteilung auf der Plattform X (vormals Twitter).

Bergkarabach, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, aber seit den frühen Neunzigerjahren von Armenien kontrolliert wurde, wurde vergangenen Dienstag von aserbaidschanischen Truppen angegriffen. Die Karabach-Armenier mussten sich nach nur einem Tag ergeben. Die Versorgungslage in dem Gebiet hatte sich aufgrund der Blockade durch Aserbaidschan in den vergangenen Monaten ohnehin bereits dramatisch zugespitzt. Die Chefin der US-Entwicklungshilfebehörde USAID rief Baku dazu auf, den Waffenstillstand einzuhalten und Schritte zu setzen, um die Zivilisten zu schützen.

Auf der Straße durch den Latschinkorridor zwischen Bergkarabach und Armenien gibt es derzeit nur eine Fahrtrichtung.
Auf der Straße durch den Latschin-Korridor zwischen Bergkarabach und Armenien gibt es derzeit nur eine Fahrtrichtung.
IMAGO/Alexander Patrin

Die Situation der Menschen sei "erschütternd", sagte Samantha Power. Die Lieferung dringend benötigter humanitärer Hilfe an armenische Zivilisten in Bergkarabach müsse erleichtert werden, und internationale Hilfsorganisationen und unabhängige Beobachter müssten Zugang erhalten, forderte sie von Baku. Washington werde 11,5 Millionen Dollar an humanitärer Hilfe bereitstellen. Power übergab dem armenischen Premier Nikol Paschinjan einen Brief von US-Präsident Joe Biden, in dem dieser den Gewalteinsatz Aserbaidschans verurteilte und Eriwan die Unterstützung der USA versicherte.

Samantha Power ruft Baku dazu auf, Hilfe für die Zivilisten zu ermöglichen
Samantha Power ruft Baku dazu auf, Hilfe für die Zivilisten zu ermöglichen
REUTERS/IRAKLI GEDENIDZE

Am Dienstag telefonierte Kremlchef Wladimir Putin mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi über die Situation der gemeinsamen Nachbarstaaten. Am Tag zuvor hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew getroffen. Dabei wurden offenbar auch Pläne für einen Korridor durch den Süden Armeniens erörtert, um Aserbaidschan mit seiner Exklave Nachitschewan zu verbinden und der Türkei eine Verbindung bis Baku zu ermöglichen. Am Dienstag erklärte Erdogan, der sogenannte Sangesur-Korridor durch Armenien, Aserbaidschan und den Iran müsse fertiggestellt werden.

Armenien sieht die Schuld in dem Desaster bei Moskau, das lange Zeit als Sicherheitsgarant für Eriwan auftrat. Der Kreml weist dies zurück und wirft Armenien eine Annäherung an Washington vor. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte am Dienstag, eine internationale Beobachtermission für Bergkarabach dürfe nur mit Zustimmung Bakus stattfinden.

Experte: Armenien ist eine "ureuropäische Region"

Der Armenien-Experte Herbert Maurer sagte Montagabend in der "ZiB 3" des ORF, dass der Konflikt eine "lange Vorgeschichte" habe. "Im Schatten des Ukraine-Desasters ist es einfacher, kleinere Konflikte zu bereinigen." Auch deshalb, weil die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht so groß sei, meinte der Schriftsteller, der selbst in Armenien gelebt hat.

"ZIB3"-Video: Armenienexperte Herbert Maurer erklärt die Hintergründe des Konflikts in Bergkarabach.
ORF

Armenien sei immer eine "ureuropäische Region" gewesen, erklärte Maurer. Die Armenier seien "nie aggressiv oder expansiv" gewesen, sie wollten nur ihre Kultur und Identität leben, die immer eine europäische gewesen sei, so Maurer in der ORF-Sendung weiter. (Michael Vosatka, APA, Reuters, 26.9.2023)