Der Viadukt Kalte Rinne der berühmten Semmeringbahn wurde im Jahr 1854 eröffnet und wird bis heute von Zügen befahren.
Der Viadukt Kalte Rinne der berühmten Semmeringbahn wurde im Jahr 1854 eröffnet und wird bis heute von Zügen befahren.
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Brücken werden zwar nicht für die Ewigkeit gebaut, aber sie sind nachhaltige Infrastruktur. Am Semmering fährt die Bahn noch über Viadukte, die zu Zeiten Kaiser Franz Josephs gebaut wurden. Langlebig sind sie auf jeden Fall. Die Frage, wie viel "Restlebenszeit" in einer Brücke noch schlummert, ist bis jetzt aber objektiv schwierig zu beantworten gewesen. Denn an Brücken nagt, wie an allen anderen Bauwerken auch, der Zahn der Zeit.

"Brücken haben aber kein eingebautes Lamperl, das aufleuchtet, wenn es kritisch wird", sagt Anna Huditz vom Austrian Institute of Technology (AIT). Zwar bringen Modellrechnungen Annäherungen. Da diese aber nur mit theoretischen Material- und Belastungsdaten arbeiten, blieb die Frage der realen Restlebensdauer offen. Eine Antwort würde aber nicht nur die Brückenerhalter interessieren. Schließlich kostet der Brückenneubau nicht nur viel Geld, sondern setzt wegen der energieintensiven Produktionsprozesse von Beton und Stahl viel CO2 frei.

Unterschätzte Lebensdauer

Wie nachhaltig Brücken wirklich sind, dieser Frage hat man sich im FFG-geförderten Comet-Forschungsprojekt "Rail4future" angenommen. Daran beteiligt sind neben der ÖBB und dem Klimaschutzministerium eine Reihe von Forschungsinstitutionen, darunter das Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung Forschungs-GmbH, Joanneum Research, die Technischen Universitäten Graz und Wien und das AIT. Um die Restlebensdauer genauer bestimmen zu können, wurde zuerst eine reale Brücke mit Sensoren ausgestattet und ein digitales Modell entwickelt. Diese Simulation wurde mit empirisch gemessenen Belastungsdaten gefüttert. Sie stammten von eigens installierten Messstellen der ÖBB-Infrastruktur, an denen die Last jeder einzelnen Waggonachse dokumentiert wurde, die übers Jahr die Brücken querte.

Das interessante Ergebnis, sagt Huditz: "Die Simulationsrechnungen mit echten Lastdaten zeigen, dass die Restlebensdauer von Brücken häufig unterschätzt wird, und zwar bis zu einem Faktor vier." Hat eine 100-jährige Stahlbrücke etwa nach den Normberechnungen noch eine theoretische Restlebensdauer von fünf Jahren, so zeigt die Simulation mit realen Beanspruchungsdaten, dass sie noch 20 Jahre benutzt werden kann – und zwar ohne Sicherheitseinbußen, wie Huditz versichert.

Pilotversuch mit Laserlicht

Nach dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" hat das AIT parallel dazu noch eine innovative Methode entwickelt, mit der Brückenüberprüfungen in Zukunft auf noch objektiveren Grundlagen beruhen können. "Das Problem ist, dass visuelle Brückenkontrollen immer auch einen subjektiven Faktor haben", sagt Huditz.

Brückenprüfer erheben sichtbare Veränderungen, etwa Risse, Feuchtstellen, Rostfahnen, Abwitterungen und lagemäßige Veränderungen von Pfeilern, Lagern und Tragwerken. Mitunter werden bei den Inspektionen auch Materialtests vor Ort durchgeführt, um Risiken und die Dringlichkeit von Reparaturen besser einschätzen zu können. "Ob sich ein sichtbarer Riss vergrößert hat oder nicht, ist aber bei minimalen Änderungen oft schwer zu beurteilen, und Haarrisse, die beginnende Materialermüdung anzeigen, können noch unsichtbar sein."

Schlaue Sensorik

Abhilfe soll faseroptische Sensorik bringen. Dazu wurde ein Großversuch im ÖBB-Brückenwerk in St. Pölten durchgeführt. Im Mai wurde das ausgebaute Tragwerk einer Bahnbrücke bis zum Bruch belastet. Die Frage war, ob Mängel mittels der Messdaten ermittelt werden können. Dafür wurden in Pilotversuchen Glasfasern an hochbelasteten Stellen aufgeklebt, durch die pulsiertes Laserlicht geleitet wird.

Bei der Kontrolle schließt ein Prüfer einen sogenannten Interrogator, im Prinzip eine Laserpistole, an die Glasfaser an. Dabei wird gepulstes Licht mit bekannten Wellenlängen in den Lichtleiter gesendet, das von natürlichen Einschlüssen in den Fasern reflektiert wird. "Damit lassen sich auf einer Länge von 100 Metern Dehnungen auf einen Tausendstelmillimeter genau ermitteln", sagt Huditz.

Angezeigt wird auf dem Gerät auch, wo genau die Abweichung aufgetreten ist. Auf diese Weise können etwa Haarrisse an Trägerelementen frühzeitig erkannt und die Mängel behoben werden. "Damit könnte die Restlebensdauer einer Brücke optimal genutzt und ein Brückenneubau weiter in die Zukunft verschoben werden", erläutert Huditz. (Norbert Regitnig-Tillian, 28.9.2023)